Direkt nach der Verhaftung wurde ich für zwei Nächte in die JVA Heilbronn eingeliefert, um von dort in die Isohaft der JVA Stammheim verlegt zu werden. Eine Zelle, wie sie vielleicht manche aus den Dokumentationen über Stammheim kennen, da sie vielfach gefilmt wurde. 24 Stunden am Tage mit sich alleine, die Hofstunde gefesselt auf dem Dach im 8. Stock, rundherum Gitter, aber immerhin mit einer wirklich ansprechenden Fernsicht. Regelmäßige und intensive Zellenkontrollen. Den Besitz von Musik-CDs musste ich mir mit Hilfe meines Anwaltes vor Gericht erstreiten, denn angeblich hätte ich die CDs am Boden anschleifen und damit in den Besitz eines gefährlichen Werkzeugs gelangen können. Erst das Landgericht bot dieser kreativen Bauanleitung Einhalt und ich bekam die CDs ausgehändigt.
Ich hatte das Glück brieflich mit Freund:innen Kontakt zu haben und auch Besuch zu erhalten, wiewohl alles sehr streng überwacht wurde. Mitunter brauchten Briefe Wochen bis sie die Empfänger:innen oder mich erreichten. Alles wurde mitgelesen! Teilweise auch in Kopie zu den Akten genommen oder gar nicht erst ausgehändigt.
Das Urteil – Frühjahr 1997
Nach einem mehrtägigen Prozess wurde ich zu 11 ½ Jahren und anschließender Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (SV) verurteilt. An der Täterschaft gab es ja keine Zweifel, denn am Ende der Geiselnahme wurde ich noch in den Räumen der Bank festgenommen. Da ich es vor Gericht ablehnte Reue zu bekunden oder mich in irgendeiner Weise kooperativ zu verhalten, ging das Gericht mit dem Strafmaß (Höchststrafe für eine solche Geiselnahme wären 15 Jahre gewesen) über die 10 Jahre hinaus. Es wollte zudem nicht ausschließen, dass ich wieder solch eine Straftat begehen würde, zumal ich im Prozess offensiv meine Haltung gegenüber Staat und insbesondere die Justiz vertreten hatte, was mir später weitere Verurteilungen wegen Bedrohung und Beleidigung (§§ 241, 185 StGB) einbringen sollte. Und so wurde die SV angeordnet.
Exkurs: Sicherungsverwahrung – was ist das?
Es waren die Nationalsozialisten die mit Gesetz vom 24.11.1933 in die SV in das damalige Reichsstrafgesetzbuch einführten. Seitdem kann der Staat Menschen, die er für „gefährlich“ hält, über das Ende der Freiheitsstrafe hinaus in Haft halten. Nur der Tod bildet eine natürliche Obergrenze für die Dauer der Verwahrung. Wurden zu Anfang vielfach Betrüger, Einbrecher, Diebe in die SV gesperrt, finden sich heute, nach diversen Gesetzesänderungen de facto nur noch Gewalt- und Sexualtäter in den SV-Anstalten. Nach zu Anfang tausenden Verwahrten, sank die Zahl in den 80’ern auf unter 200, so dass die Abschaffung der SV diskutiert wurde. Mittlerweile steigen die Zahlen wieder an und wir sprechen von rund 600 Männern in der SV. Frauen betrifft die SV fast nie, aktuell sitzen keine fünf Frauen in der Maßregel der Sicherungsverwahrung. Eine davon ist Carmen in Schwäbisch-Gmünd, sie sitzt wegen Brandstiftung, denn bei Brandstiftung zählt aus staatlicher Sicht die abstrakte Gefährdung, d.h. es braucht weder jemand gestorben oder körperlich verletzt worden sein, es reicht, dass die Tat geeignet ist, jemanden seelisch oder körperlich schwer zu schädigen.
Die Strafhaft – erst in Bayern bis Herbst 1998
Zuerst schob mich die baden-württembergische Justizverwaltung nach Bayern ab, da ich dort zuletzt gewohnt hätte. Die meiste Zeit saß ich auch dort in Einzelhaft, wie die Isolationshaft im Justizdeutsch genannt wird. Vor Verlassen der Zelle nackt ausziehen und umkleiden, vor Betreten der Isozelle dasselbe Procedere – alles im Namen von „Sicherheit und Ordnung“, aber die Wirkung auf die Psyche vieler Betroffener ist verheerend.
Exkurs: tödliche Folgen von Isohaft
Immer wieder las ich von Gefangenen, die an der Isolation seelisch und in der Folge dann auch körperlich zu zerbrechen drohten, oder tatsächlich zerbrachen. Vor wenigen Jahren machte ein Fall in der baden-württembergischen JVA Bruchsal von sich reden: ein ehemaliger Kindersoldat, ersichtlich traumatisiert von dem was er erlebt hat, hatte zuerst einen Beamten in der JVA Offenburg massiv körperlich attackiert, landete deshalb in Isohaft in Bruchsal, wo er dann verhungerte. Wie der SPIEGEL schrieb, fiel der Hungertod dem Personal erst auf, als morgens bei der routinemäßigen Lebendkontrolle Rasmane Koala auf Zurufe des Personals nicht reagiert habe. Dann, so der SPIEGEL, hätte ein Kommando die Zelle mit Schild und Knüppel gestürmt, Rasmane fixiert und gefesselt, denn man sei davon ausgegangen der Insasse habe sich, wie schon zuvor praktiziert, absichtlich nicht geregt und auf die Zurufe reagiert, um so das Personal zu ärgern. Erst als Rasmane gefesselt auf dem Boden lag, habe man festgestellt, dass er nicht atme. Der hinzugerufene Notarzt habe später nur noch den Tod feststellen können. Die umfangreichen Ermittlungen brachten zu Tage, dass Rasmane seit längerer Zeit nichts mehr gegessen hatte. Aufgefallen sei dies aber weder dem Personal, nicht dem Anstaltsleiter, nicht der Anstaltsärztin.
Die Strafhaft – in Bruchsal bis Juli 2013
Nachdem ich im Herbst 1998 erfolgreich gegen die Verlegung nach Bayern vor Gericht geklagt hatte, traf ich in Bruchsal ein, wo ich bis 2007 in Isolationshaft sitzen sollte. Im Laufe der Jahre bekam ich aber zumindest akustisch immer Einiges mit vom Haftalltag. Da dort die lsozellen im Haus verteilt sind, konnte immer wieder jemand die Zellentüre kommen, klopfen und dann rief man sich durch den Türspalt etwas zu. Irgendwann konnte ich auch gerichtlich erstreiten, dass mich ein Mitgefangener an der kleinen Luke in der Türmitte sprechen durfte. Wobei die Anstaltsleitung durchsetzte, dass dabei immer ein Bediensteter dabeistehen durfte, um das Gespräch zu überwachen. Ja, diese Luke. Um Post oder Knastessen zu übergeben und nicht jedes Mal die Zellentüre öffnen zu müssen, gibt es in den Zellentüren jeweils eine „Kostklappe“, wie sie auch genannt wird. Fest verschlossen, nur vom Beamten zu öffnen.
Über all die Jahre in Bruchsal erfuhr ich immer wieder von Suiziden. Erst vor wenigen Monaten hat Die LINKE im Bundestag (https://dserver.bundestag.de/btd/19/314/1931444.pdf) von der Bundesregierung Zahlen zu den Todesfällen in Haft seit 2018 erfragt. Brachten sich letztes Jahr (mindestens) 77 Menschen hinter Gittern um, waren es 2019 wesentlich weniger, nämlich (mindestens) 43. Vergleicht man die Suizidrate (also wie viele Menschen bringen sich pro 100.000 um) fällt auf, dass in Freiheit für die Allgemeinbevölkerung zum Beispiel für das Jahr 2019 eine Suizidrate von rund 11 auf 100.000, und für dasselbe Jahr eine Suizidrate von 129,4 auf 100.000 für Gefangene ausgewiesen wird. Betrachtet man die ärztliche und psychologische Versorgung, so stellt man fest, dass je 100 Gefangene 1,33 Psycholog:innen bzw. Sozialarbeiter:innen vor Ort sind, und (nur) 0,57 Ärzt:innen. Angesichts der hohen gesundheitlichen und psychischen Belastung gerade der Inhaftierten sind das besorgniserregende Zahlen.
Soweit ich von Suiziden oder auch sonstigen Todesfällen erfuhr, war ich bemüht darüber zu berichten; wobei, wie fast alle meine Post (das Gesetz gewährt nur wenige Ausnahmen, z.B. für die Verteidiger:innen, Abgeordnete, etc.) inhaltlich überwacht wurde was ich schrieb und veröffentlichte. An jene Menschen die in den Zellen gestorben waren noch einmal auf diesem Weg zu erinnern, das hielt ich von Anfang für wichtig. Damit sie nicht nur als Zahl in einer anonymen Statistik auftauchen.
Ich hatte in Bruchsal stets das Glück von Mitgefangenen unterstützt zu werden, die es nicht so recht verstanden, dass ein Silvester nach dem anderen verstrich und ich immer noch in Isolationshaft saß. Da mir die Anstalt kein Taschengeld zahlte gab es immer wieder einen Insassen der mir Duschgel oder auch Esswaren beim Gefängniskaufmann kaufte. Das musste dann bei den Stationsbeamten abgegeben werden, alles wurde „durchleuchtet“ (mit so einem Röntgenapparat wie sie wohl alle vom Flughafen kennen) und mir dann vom Personal vorbeigebracht.
Irgendwann fanden wir heraus, dass durch einen Türspalt Papier geschoben werden konnte und so fing ich an Klageschriften für Mitgefangene handschriftlich zu verfassen. Man leitete mir auf diesem Wege Unterlagen zu und so konnte ich helfen, dass andere Insassen sich vor Gericht wehren konnten. Eines Tages ertappt ein Beamter einen Insassen wie er mir Papier durch den Spalt in die Zelle schob. Als ich am Folgetag in den Knasthof ging, rückten Beamte an und es wurde innen ein Stück Stahl an die Türe geschweißt, das das Durchschieben von Papier verhindern sollte. Eine mäßig erfolgreiche Aktion, passten zuvor mit viel Mühe 7-8 Blatt durch den Spalt, waren es jetzt immerhin noch 2 oder 3 Blatt. Aber aus Sicht des Vollzugs war ausreichend Aktionismus gezeigt worden.
Im Mai 2007 endete die Isohaft. Ich sollte mit der Abteilungsjuristin sprechen und der Anstalt schriftlich bestätigen, ich würde keine Geiselnahme begehen. Eine Vorgehensweise die ich für ziemlich unsinnig hielt und über Jahre ablehnte, weshalb ich als „uneinschätzbar“ beurteilt wurde. Als ich dann tatsächlich ein kurzes Gespräch mit Oberregierungsrätin G. geführt und auf einen Zettel notiert hatte, ich würde keine Geiselnahme begehen wollen, wurde die Isohaft aufgehoben. Zu Anfang kam es dann zu lustigen Begegnungen, ich kannte ja einige Insassen seit Jahren, aber eben nur deren Stimmen, da ich sie nie gesehen hatte.
Nun konnte ich endlich Gefangenen bei Schriftverkehr helfen, ohne mühsam Unterlagen durch einen Türspalt quetschen zu müssen. Taschengeld bekam ich nun übrigens auch, obwohl ich keinen einzigen Tag arbeiten sollte, das Thema war einfach von der Agenda verschwunden, obwohl für die Strafhaft eigentlich eine Arbeitspflicht gilt.
Sicherungsverwahrung – in Freiburg seit Juli 2013
In Baden-Württemberg müssen Strafgefangene, gegen die die SV angeordnet ist, in Nordbaden ihre Freiheitsstrafe absitzen und die SV dann im südbadischen Freiburg. Die ersten Jahre verbrachte ich mit dutzenden Gerichtsverfahren gegen die Anstaltsleitung, in immerhin über 100 Verfahren konnte ich mich, zumindest teilweise, gegen die Anstalt vor Gericht behaupten. Ein Verfahren betraf die hohen Kosten für die Telefonie. In der SV besteht ein Rechtsanspruch auf das Führen von Telefonaten, die Anstalt hatte den Anbieter Telio Communication GmbH verpflichtet. Die Firma hatte eine umfängliche Sicherheitsinfrastruktur bereitzustellen, die u.a. das Mithören und Aufzeichnen der Telefonate ermöglicht. Da aus Sicht vieler Gefangener die Kosten, die wir für das Telefonieren zu zahlen hatten, zu hoch waren (1O Cent pro Minute für Ferngespräche ins Festnetz, 35 Cent pro Minute bei Anrufen aufs Handy), klagte ich erst gegen die Justizvollzugsanstalt auf Verpflichtung eines anderen Anbieters. Das Verfahren ging zu Gunsten von uns Gefangenen aus, auch wenn es dann noch Jahre dauern sollte, bis ein neuer Anbieter, die Firma Geerdes Communication AG, verpflichtet wurde. In einem Zivilverfahren verklagte ich das Land Baden-Württemberg auf Schadenersatz und dieses Verfahren endete mit einem Vergleich, so dass zumindest ein Teil meines Schadens, der durch die hohen Telefoniekosten entstanden war, ersetzt wurde. Allerdings ist diese Rechtsmaterie recht komplex und der Staat macht es den Menschen, erst recht nicht den Inhaftierten, nicht leicht an Schadenersatz zu gelangen, so dass ich letztlich der Einzige war, der Geld zurückerhielt.
Über den Haftalltag in der SV, der vielfach geprägt ist von Hoffnungslosigkeit, dem Sterben von Mitinsassen, verzweifelten Menschen die sehen, erleben, dass sie eher hier sterben, als in den kommenden Jahren entlassen zu werden, berichte ich auf meinem Blog, weshalb ich hier nichts weiter dazu berichte. Nur einen Hinweis: wir haben in der SV keinen Zugang zum Internet, gäbe es nicht sehr hilfsbereite Menschen vor den Mauern, die meine Texte abtippen, es gäbe den heutigen Bericht nicht, es gäbe keinen einzigen meiner Texte!
Der Ausblick
Im Jahr 2023 wird das Landgericht Freiburg eine besondere Prüfung der Fortdauer der Sicherungsverwahrung durchführen. Nach 10 Jahren Vollzug der SV darf die weitere Unterbringung, so will es das Bundesverfassungsgericht, nur erfolgen, wenn eine Persönlichkeitsstörung vorliegt in Folge derer die hohe Gefahr für die Begehung weiterer schwerer Straftaten besteht, welche Opfer seelisch oder körperlich schwer schädigen können. Mittlerweile sitzen in der Freiburger SV über 20% der Insassen über 10 Jahre, denn das Landgericht erweist sich als überaus einfallsreich in der Beweisführung, dass die genannten Voraussetzungen vorliegen, so dass ich damit rechnen muss auch über 2023 hinaus festgehalten zu werden. Aber wer weiß, vielleicht gibt es auch eine positive Überraschung, nur sollte auf Wunder nicht die Hoffnung ausgerichtet sein. Ich erinnere mich an die Folgen einer Zellenrazzia von 2019 (auf meinem Blog hatte ich über diese berichtet). Es wurden dort Aufkleber sichergestellt, und auf Weisung des Anstaltsleiters mir dann auch wieder ausgehändigt, aber zuvor wurden sie fotokopiert und zu den Akten genommen. Laut der Stationspsychologin W. würden die Aufkleber und der Umstand, dass ich diese aufgehoben hatte nämlich die Position der Anstalt stützen, ich sei potentiell gewaltgeneigt und feindselig. Es ging um Sticker wie „Die ganze Welt hasst die Polizei“. Das sei eine indiskutable Position, so Frau W.
Da ich mich im Haftalltag einen höflichen Umgang pflege, da also nichts für eine Gefahrenprognose herauszuholen sein wird, müssen solche „Funde“ dann herhalten. Wie gesagt, die Anstalt ist nicht minder kreativ als das Gericht.
Ich weiß mich allerdings eingebettet in ein freundschaftliches und solidarisches Umfeld; ich habe das Glück, dass es Menschen gibt die mir schreiben, mit mir telefonieren, mich besuchen. Dass es Gruppierungen wie die Rote Hilfe e.V. oder abc und andere gibt, die an der Seite von Gefangenen stehen.
All das macht das Leben dann, auch hinter den Gefängnismauern und auch nach so langer Zeit aushaltbar – auch wenn es ein wesentlich erfüllteres Leben wäre, säße ich nicht in Haft!
Thomas Meyer-Falk, z. Z (Justizvollzugsanstalt (SV),
Hermann-Herder-Str. 8, 79104 Freiburg
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