MÜSLÜM ELMA

27.11.2019 DAS GERICHT WILL EIN URTEIL – ES INTERESSIERT SICH WEDER FÜR DIE VON MÜSLÜM ELMA ERLITTENE FOLTER NOCH FÜR GROBE FEHLER IN DEN ÜBERSETZUNGEN.

Heute nahmen an der Verhandlung vier Unterzeichner des offenen Briefes mit dem Appell an das Gericht, Müslüm Elma freizulassen, teil. Dies waren H. Hayri Aslan, Recep Maraşlı, Kazim Akkuş und Haydar Yücel.

Die Verteidigung beantragte, sie als Zeugen zu vernehmen, da sie einerseits Angaben zu der Person des Angeklagten Elma machen könnten, vor allem aber auch zu der systematischen, planvollen Folter, der alle Inhaftierten des Militärgefängnisses in Diyarbakir – und damit auch Müslüm Elma – in der Zeit nach dem Putsch von 1980 über Jahre ausgesetzt waren.

Rechtsanwalt Stephan Kuhn charakterisierte das Militärgefängnis Diyarbakir wie folgt:

„Bei der im Militärgefängnis von Diyarbakir angewandten Folter handelte es sich nicht – wie es der Senat in [einem Beschluss zu einem früheren Beweisantrag der Verteidigung] formuliert – um „Exzesse“, sondern um eine vom Nationalen Sicherheitsrat angeordnete systematische Strategie zur Zerschlagung der kurdischen und linken Bewegung durch physische und psychische Vernichtung ihrer – tatsächlichen oder vermeintlichen – Mitglieder, Anhänger, Sympathisanten, Gesinnungsgenossen und der Einschüchterung der sie tragenden Gesellschaft.“

Das Gericht lehnte den Antrag ab, sein Argument lautet – zusammengefasst – , es werde die Tatsache, dass Müslüm Elma gefoltert wurde, schon berücksichtigen, auf Details komme es doch dann nicht an. Diese Auffassung zeigt die Weigerung des Gerichts sich tiefergehend mit den Verhältnissen in der Türkei auseinanderzusetzen. Die Zeugen hätten dem Gericht vermitteln können, was Folter im Gefängnis Diyarbakir tatsächlich bedeutet hat und dass die Realität dessen, was Müslüm Elma dort erlitten hat, in keiner Weise in der abstrakten Feststellung „er wurde gefoltert“ erfasst ist.

Zugleich wurde heute deutlich, zu welchen Mitteln das Gericht zu greifen bereit ist, um zu einem schnellen Ende des Prozesses zu kommen und die Einvernahme des Sprachsachverständigen Dr. Özgür Savasci zu beenden. Dieser Sachverständige hatte vom Gericht den Auftrag erhalten, Übersetzungen, auf die es ein Urteil stützen will, auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen.

Die Verteidigung hatte von Anfang auf die angenommene mangelnde fachliche Eignung des Sachverständigen hingewiesen, der zwar an der LMU tätig ist, aber bereits zuvor im Verfahren als Gerichtsdolmetscher eingesetzt gewesen war. Diese mangelnde Eignung hat sich im Laufe der Einvernahme des Sachverständigen auch ein ums andere Mal eindrücklich bestätigt. Anträge der Verteidigung, ihn abzulösen, hat das Gericht immer wieder zurückgewiesen.

Der Sachverständige hatte und hat bis zum Schluss behauptet, dass die von ihm überprüften Übersetzungen der Polizeidolmetscher_innen, die diese von heimlich aufgezeichneten Gesprächen der Angeklagten gefertigt hatten – denen die Bundesanwaltschaft ganz erhebliche Bedeutung beimisst – keine sinnentstellenden Fehler aufwiesen. Dem steht gegenüber, dass die Verteidigung ihn und das Gericht auf unzählige solcher Fehler hinwies, die den Sinn des Gesagten verändern, oft tendenziös im Sinne der Anklage. Dem hatte der Sachverständige in der Regel nichts entgegenzusetzen, er erklärte die Fehler daher schlicht für irrelevant.

Weil der Sachverständige fachlich so angreifbar war, dauerte seine Einvernahme 25 Hauptverhandlungstage, bis der Vorsitzende Richter den Sachverständigen in einer Art Panikreaktion entließ, um diese Phase des Verfahrens zu beenden. Mehrere Verteidiger hatten zwar angekündigt, dass sie noch Fragen hatten, diese aber heute nicht stellen konnten, sondern erst am nächsten Hauptverhandlungstag, zu dem Dr. Savasci auch geladen war. Zudem steht sogar noch eine Entscheidung des Senates aus, nachdem der Vorsitzende die Fragen eines Verteidigers abgelehnt und der dies beanstandet hatte.

Nachdem das Gericht die letzte an den Sachverständigen gestellte Frage von Rechtsanwältin von der Behrens mit unzutreffender Begründung zurückgewiesen hatte, verkündete der Vorsitzende, ohne noch einmal Luft zu holen oder der Verteidigung wie rechtlich geboten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, eine Anordnung, mit der der Sachverständige entlassen und die Sitzung für heute beendet wurde. Versuche der Verteidigung, ans Wort zu kommen, beantwortete der Vorsitzende mit einem gebrüllten „Sie sind jetzt nicht dran!“

Das Gericht hat damit deutlich gemacht, dass es an dem Sachverständigen, der die Übersetzungen der Polizeidolmetscher_innen gegen die berechtigte fachliche Kritik der Verteidigung in Schutz nahm, um jeden Preis festhalten will. Dabei wurde noch in den letzten Fragen der Verteidigung erneut deutlich, dass diese Übersetzungen erhebliche und relevante Fehler verteilen, etwa wenn bei der Frage, wer Truppen zu einem Anschlag schicke, aus einem „die schicken welche“ gemacht wurde „wir können auch welche schicken.“ Aber solche Fehler interessieren den Sachverständigen und den Senat nicht, würde doch ein Nachgehen dem Wunsch nach einer schnellen Verurteilung der Angeklagten im Wege stehen.
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