40 Jahre Haft

Junis bei Tel Aviv freigelassen

Am Donnerstag ist der palästinensische Israeli Karim Junis aus einem Gefängnis in der Nähe Tel Avivs entlassen worden. 40 Jahre hatte das Mitglied des ZK der Fatah hinter Gittern verbracht, weil er 1980 als 24jähriger den israelischen Soldaten Avraham Bromberg entführt und getötet hatte. Keine Palästinenserin und kein Palästinenser war länger inhaftiert als Junis. In seiner Heimatstadt Ara im Norden Israels wurde er von Hunderten Menschen jubelnd empfangen.

»Die Geschichte jedes Gefangenen ist die Geschichte eines ganzen Volkes. Ich bin stolz darauf, einer von denen zu sein, die sich für Palästina geopfert haben«, sagte Junis laut der englischen Onlineausgabe der französischen Tageszeitung Le Monde am Donnerstag. »40 Jahre sind vergangen, als ob sie nichts wären, denn wir betrachten dies als eine der Hauptsäulen des Kampfes.«

Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas würdigte Junis laut der amtlichen Nachrichtenagentur WAFA am Donnerstag als »Helden und Freiheitskämpfer«. Junis sei ein »Symbol der Standhaftigkeit des palästinensischen Volkes und der freien Völker der Welt«. Auch andere Organisationen wie die in Gaza herrschende Hamas und der Islamische Dschihad begrüßten Junis’ Freilassung.

Karim Junis hatte gemeinsam mit einem Cousin dem Soldaten Bromberg angeboten, ihn in ihrem Auto mitzunehmen, als dieser auf dem Weg von einem Armeestützpunkt auf den Golanhöhen nach Hause war. Unterwegs töteten sie den Soldaten und stahlen seine Waffe. Erst zwei Jahre nach der Tat nahm die israelische Polizei Junis fest. Er wurde 1983 zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. 2012 verkürzte der damalige Präsident Schimon Peres die Strafe auf 40 Jahre.


Die arabischsprachige palästinensische Nachrichtenseite Maan berichtete am Donnerstag, der ultrarechte neue Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir habe angeordnet, Junis bereits vor dem Morgengrauen freizulassen, um größere Feierlichkeiten vor dem Tor des Hadarim-Gefängnisses in der Nähe von Tel Aviv zu verhindern. Junis wurde in einem Transporter aus dem Gefängnis gebracht und von der Polizei an einem nahegelegenen Busbahnhof abgesetzt. Seine Familie hatte zunächst vergeblich vor dem Gefängnis gewartet. Zwei Stunden später konnte sie Junis dann an dem Bahnhof abholen. »Die Methode der Freilassung zeigt, wieviel Angst die Behörden haben, dass wir feiern«, sagte ein nicht namentlich genanntes Familienmitglied. Lokale Quellen aus Ara berichteten Maan zufolge, dass die israelische Polizei einen Freudenzug durch die Stadt, den Junis’ Familie organisiert hatte, verhinderte. Sie verbot ferner das Hissen der palästinensischen Flagge.

Die neue Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der auch extrem Rechte der Partei Otzma Jehudit angehören, will bald einen Gesetzentwurf in die Knesset einbringen, der wegen Terrorismus verurteilten Palästinenserinnen und Palästinensern die israelische Staatsbürgerschaft aberkennt. »Die israelische Öffentlichkeit, die heute die Feierlichkeiten zur Freilassung des Terroristen Karim Junis im Dorf Ara verfolgt, erwartet, dass sich die gesamte Knesset hinter diesem wichtigen und elementaren Gesetz vereint«, twitterte die religiöse Zionistin Orit Strook, die nun das neugeschaffene Ministerium für nationale Missionen führt. »Es ist undenkbar, dass solche Leute weiterhin die israelische Staatsbürgerschaft besitzen«, schlug Innenminister Arje Deri laut Times of Israel am Donnerstag in die gleiche Kerbe.

Am Sonnabend entzog das israelische Verteidigungsministerium drei Beamten der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah die ständige Einreiseerlaubnis. »Die drei Männer haben ihren Status ausgenutzt und sind heute morgen nach Israel eingereist, um das Haus des Terroristen Karim Junis zu besuchen«, zitierte der katarische TV-Sender Al-Dschasira am Sonntag aus einer Erklärung des Ministeriums.

An dieser Stelle sei an den libanesischen Kommunisten Georges Ibrahim Abdallah erinnert, der seit 1987 eine lebenslange Haftstrafe in Frankreich absitzt. Als führendes Mitglied der Stadtguerilla »Libanesische Bewaffnete Revolutionäre Fraktionen« (LARF) soll er an den tödlichen Attentaten auf den israelischen Diplomaten Yacov Barsimentov 1982 in Paris und auf den Assistenten des US-Militärattachés in Frankreich, Charles Ray, beteiligt gewesen sein. Georges Abdallah ist aktuell der am längsten einsitzende Gefangene in Europa. Zahlreiche internationale Menschenrechtsgruppen fordern, ihn endlich freizulassen.


junge Welt 10.1.22