50 Jahre im Gefängnis

Beitrag von Thomas Meyer-Falk 18.07.12
Kürzlich berichtete die taz (http://taz.de/Laengste-Haftstrafe-seit-Bestehen-der-BRD/!96971/) in einem langen Artikel über, wie ihn alle nennen, Icke, in Haft seit dem 20. Januar 1962. Icke sitzt seit den 80er Jahren in der baden-württembergischen Haftanstalt Bruchsal (www.jva-bruchsal.de), die Jahrzehnte zuvor hatte er in Berliner Gefängnissen zugebracht.

Was hat Icke getan?
Wie die taz berichtet, habe Icke am 13. Januar 1963 ein junges Pärchen in dessen VW Käfer erschossen. Das Hamburger Abendblatt habe damals vom „erregendsten Prozess der Berliner Nachkriegsgeschichte“ geschrieben. Offenbar immer schwer bewaffnet unterwegs, sobald er die Wohnung verlassen hatte, traf er nachts gegen 1 Uhr in Berlin auf besagten VW Käfer. Ihm hätten die Füße wehgetan vom durch die Straßen Laufen und so hätte er die Idee gehabt, sich nach Hause fahren zu lassen. Als er sich unter vorgehaltener Waffe auf den Fahrersitz gedrängt habe, seien die beiden Insassen davon ausgegangen, ausgeraubt zu werden. Gegen 1.45 Uhr, so die Schilderung des taz-Autors Kai Schlieter weiter, sei Icke in Neukölln auf einen Feldweg abgebogen, wo dann die Situation begonnen habe zu eskalieren, als sich Karin Baumann, eine der beiden Geiseln, mit Schlägen ihres Schuhs auf Ickes Kopf zu wehren begann und ihm dann auch ins Lenkrad gefasst habe. Hier sei dann Icke ausgerastet und habe der Frau und ihrem Freund acht Mal in den Körper geschossen. Weitere Schüsse seien dann auch noch gezielt auf die Köpfe abgegeben worden und er – Icke – sei weggerannt und habe die Waffe in einen Kanal geworfen.

Das Urteil
Am 30. Mai 1965 urteilte das Berliner Schwurgericht, dass Icke „lebenslänglich“ wegen Doppelmordes ins Zuchthaus müsse. Ein Detail am Rande: wie die taz berichtet, habe das Gericht unter Vorsitz von Richter Heinz Brandt, einem früheren NSDAP-Mitglied und Abteilungsleiter in der Reichsgruppe „Junge Rechtswahrer“ getagt und geurteilt.
Warum wird Icke nicht freigelassen?
Das Strafgesetzbuch sieht vor, dass zu lebenslänglicher Haft verurteilte Menschen nach frühestens 15 Jahren entlassen werden können, jedoch nur dann, wenn die Sozialprognose günstig ausfällt, sprich, wenn keine erneuten (Tötungs)Delikte zu erwarten sind.
Die taz zitiert Gutachter, denn in der Praxis orientieren sich die Gerichte bei ihren Entlassungsentscheidungen an den Beurteilungen von Psychiatern, wonach Icke angeblich einsichtslos sei. So schrieb 1997 der Sachverständige Engell: „Der Proband legt eine saloppe Fröhlichkeit an den Tag und macht einen völlig unbeschwerten Eindruck.“
Ein Facharzt für Psychiatrie, Dr. Schramm, sekundiert 2005, von Icke seien künftig „Drogenschmuggel oder andere illegale Aktivitäten“ zu erwarten. Und 2012 kommt der Chefarzt der Psychiatrie in Wiesloch, Dr. Splitthoff zu der Ansicht, der Gefangene sei „nach 50 Jahren Haft genauso bindungslos“ wie zu Beginn der Inhaftierung.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe meint im Jahr 2006, dass würde Icke aus der „vertrauten Umgebung der Haftanstalt gerissen“, er einer „Vielzahl von nicht voraussehbaren Konflikten“ ausgesetzt wäre, welchen der Verurteilte „nicht mehr gewachsen ist.“
Reaktion auf den taz-Artikel
Nach Erscheinen des taz-Artikels am 07. Juli 2012 bekam Icke, wie er mir erzählte, einige Zuschriften; teils von Menschen, mit welchen er früher schon in Kontakt stand. Zudem meldete sich jemand von der dpa (Deutsche Presseagentur), um ihn gleichfalls zu interviewen; denn dem taz-Artikel von Schlieter ging ein Besuch von diesem in der JVA Bruchsal voraus.

Ausblick
Ob Icke jemals entlassen wird, erscheint angesichts der durchaus uneinsichtig zu nennenden Sichtweise der Gutachter und Gerichte zweifelhaft; offenbar genügt es, einen Menschen nur lange genug wegzuschließen, um diesen dann nur deshalb weiter einzusperren, weil er schon so lange sitzt, da man nicht abschätzen kann, wie er sich verhält, wenn er nun doch noch frei käme. Eine Pervertierung des Anspruchs eines Gefangenen auf Achtung seiner Menschenwürde. Auch wenn Icke vor 50 Jahren zwei Menschen getötet hat, muss es irgendwann genug sein mit dem Verwahrvollzug. Wer jedoch nicht in das Konformitätsraster von Gutachtern, Richtern und Knastbediensteten passt und sich auch nicht passend machen lässt, hat ungeachtet aller Sonntagsreden über angeblich jedem Menschen zustehende Grundrechte faktisch kaum noch Rechte.
Ob die Angehörigen der 1962 getöteten Frau und des getöteten Mannes heute für Ickes weitere Inhaftierung plädieren würden, das bleibt im Dunkeln.
Wie der Volksmob die Situation beurteilt, dürfte hingegen klar sein: Knast bis zum bitteren Ende. Eine solche Position würde verkennen, dass selbst Menschen, die wesentlich grausamere Verbrechen begangen haben, unter keiner Regierung Deutschlands länger einsitzen mussten als Icke. Darunter KZ-Schergen, die tausende Menschen auf dem Gewissen hatten, Nazi-Richter, die Todesurteile im Akkord fällten, aber auch andere Täter, die viel mehr Menschen, und auf ungleich brutalere Weise töteten – sie alle kamen in den zurückliegenden Jahrzehnten frei. Icke, so scheint es, wurde schlicht vergessen – und heute möchte niemand die Verantwortung übernehmen einen seit über 50 Jahren inhaftierten Menschen freizulassen. Hatte man doch auch noch nie solch einen „Fall“.
So wird Icke weiterhin, wie jeden Tag, egal ob es regnet, schneit oder 30 Grad im Schatten hat, im Hof der JVA seine Runden drehen – bis zu seinem Tod. Immer eine Tüte mit Apfelschnitzen dabei, die er dann während des Hofgangs isst.
Was kann getan werden, um Ickes Freilassung zu fordern?
Da Icke in Berlin verurteilt wurde, ist nach wie vor der regierende Bürgermeister von Berlin zuständige Gnaden-Instanz.

Wer möchte, kann also an
Der Regierende Bürgermeister von Berlin
– Senatskanzlei –
Jüdenstraße 1
10178 Berlin
Telefon (030) 9026-0
Telefax ( 030) 9026-2013
Persönliches Büro
Telefon (030) 9026-3015
Telefax (030) 9026-3021
e-mail:   der-regierende-buergermeister@senatskanzlei.Berlin.de„> der-regierende-buergermeister@senatskanzlei.Berlin.de
schreiben und dort die Begnadigung von
Hans-Georg NEUMANN, wie Icke mit bürgerlichem Namen heißt,
geboren am 14.09.1936 (verurteilt am 30.05.1963 vom Landgericht Berlin) fordern.

Thomas Meyer-Falk, c/o. JVA-Z. 3113
Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
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