50 Jahre Stammheim-Prozess: Die revolutionäre Bewegung lebt, trotz alledem!

Mit dem Stammheim-Prozess als einem der längsten und aufwändigsten Gerichtsverfahren in der Geschichte der BRD wollte der deutsche Staat mit der RAF und ihrem revolutionären Erbe abrechnen. Doch selbst 50 Jahre später ist weder die RAF noch die revolutionäre Bewegung Geschichte. Sie lebt weiter und fordert die Herrschenden erneut heraus.

Spätestens mit der groß angelegten Fahndung nach den drei letzten vermeintlichen Ex-RAF-Mitgliedern Burghard Gerwig, Ernst Volker-Staub und Daniela Klette zierte die RAF wieder zahlreiche Schlagzeilen. Fast 30 Jahre nach ihrer Selbstauflösung konnte sich der deutsche Staat nun endlich selbst auf die Schultern klopfen. Mit der Inhaftierung Daniela Klettes im Februar 2024 konnten die Herrschenden wenigstens einen kleinen Trost-Erfolg gegen diejenige Organisation erzielen, die durch ihren militanten Widerstand die deutschen Imperialist:innen in den 70ern vor aller Welt bloßgestellt und gezeigt hat, dass selbst im Herzen der imperialistischen Bestie die kapitalistische Ordnung auf Sand gebaut ist.

Die als Rote Armee Fraktion bekannte und im Mai 1970 gegründete revolutionäre Stadtguerilla-Organisation RAF entstand in einer Zeit, in der die Faschist:innen – nun in bürgerlich-demokratischem Gewand – weiter in Staat, Justiz, Schule und Regierung existierten und anführten. Gleichzeitig beschritt der deutsche Imperialismus nicht einmal 30 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg den Weg der Wiederbewaffnung. Eine ganze Generation von jungen Menschen leistete damals Widerstand gegen diese Entwicklung. Die Revolutionär:innen der RAF waren ein ganz natürlicher Teil dieser Bewegung und wurden dafür vom deutschen Staat verfolgt, eingeknastet, gefoltert und ermordet.

Der Stammheim-Prozess
Während der US-Imperialismus immer härter gegen den vietnamesischen Widerstand vorging, antwortete auch die RAF mit einer Eskalation: In ihrer Maioffensive 1972 verübte sie Sprengstoffattentate auf das Hauptquartier des 5. US-Corps in Frankfurt, auf das Polizeipräsidium in Frankfurt, das LKA in München, das Springer-Hochhaus in Hamburg und auf das US-Headquarter in Heidelberg. Letzterer führte auch zur vorübergehenden Einstellung der Bombardierungen durch die US-Luftstreitkräfte in Vietnam, die von dort koordiniert wurden.

Im Juni und Juli desselben Jahres wurden dann zahlreiche führende und auch Gründungsmitglieder der RAF verhaftet – unter anderem Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Holger Meins, Jan-Carl Raspe, Gudrun Ensslin, Brigitte Mohnhaupt und Irmgard Möller.

192 Verhandlungstage, eine Anklageschrift von 354 Seiten, Prozessakten mit einem Umfang von circa 50.000 Seiten und die geplante Vorladung von 997 Zeug:innen – beim Stammheim-Prozess handelte es sich um einen der größten Prozesse der jungen BRD, der an den RAF-Revolutionär:innen ein Exempel für die gesamte revolutionäre Bewegung statuieren sollte. Seine Botschaft: Wer gegen die herrschenden Verhältnisse aufbegehrt, bekommt die ganze Verfolgungswut des deutschen Staats zu spüren.

Doch der postfaschistischen Führungselite der BRD genügte es nicht, die Revolutionär:innen hinter Gittern zu sehen. Denn während einige von ihnen in einem – extra für die RAF für zwölf Millionen DM gebauten – mehrstöckigen Hochsicherheitsgefängnis saßen, regte sich noch immer Widerstand außerhalb der Knastmauern: Die RAF lebte in der zweiten Generation weiter und arbeitete an der Befreiung der Gefangenen. Eine schnelle Lösung musste also her.

Die Todesnacht von Stammheim: Staatsterror gegen Revolutionär:innen
Der 18. Oktober 1977 ging als Todesnacht von Stammheim in die Geschichtsbücher ein. Als die Wächter der JVA Stuttgart die Zellen betraten, waren drei von den vier gefangenen RAF-Mitgliedern tot. Baader und Raspe sollen sich erschossen, Ensslin mit einem Lautsprecherkabel selbst erhängt und Möller soll versucht haben, sich mit einem Messer das Leben zu nehmen. Irmgard Möller überlebte als Einzige mit schweren Verletzungen.

Die öffentliche Berichterstattung zeichnete schnell das Bild eines kollektiven Selbstmords. Doch zahlreiche Indizien widerlegen diese Version: Weder konnte geklärt werden, wie Schusswaffen in das teuerste und modernste Gefängnis Deutschlands gelangen konnten und warum weder Baaders noch Raspes Fingerabdrücke auf den Pistolen waren. Noch war es möglich, dass sich Irmgard mit einem stumpfen Messer teils zentimetertiefe Wunden zufügte. Zudem konnte nachgewiesen werden, dass Gudruns Tod nicht durch Erhängen eingetreten war und die Spuren von Gewalteinwirkung auf ihrem Körper nicht auf ihren Todeskampf zurückzuführen waren, sondern von Drittpersonen kommen mussten.

Klar ist, dass der deutsche Staat – der wenige Jahre zuvor noch das Dritte Reich gegen jegliche politische Opposition verteidigt hatte und dessen Institutionen, vom Verfassungsschutz über Bundeswehr bis hin zu seinen Bundeskanzlern wie Kurt Georg Kiesinger, von Faschist:innen aufgebaut und besetzt war – seine Hände im Spiel hatte. Die Todesnacht von Stammheim war kein Selbstmord, es war recht sicher ein gezielter und geplanter Mordanschlag auf Revolutionär:innen in Deutschland.

Dasselbe gilt auch für die beiden Morde an Holger Meins und Ulrike Meinhof. Meins starb 1974 in Folge monatelanger Folter durch Zwangsernährung und Meinhof am 8. Mai 1976, erhängt in ihrer Zelle. Eine internationale Untersuchungskommission kam auch hier zu dem Fazit: „Die Ergebnisse der Untersuchungen legen vielmehr den Schluss nahe, dass Ulrike Meinhof tot war, als man sie aufhängte, und es beunruhigende Indizien gibt, die auf ein Eingreifen eines Dritten im Zusammenhang mit diesem Tod hinweisen.“

Neues Niveau der staatlichen Verfolgungswut
Rund um die RAF entfalteten der deutsche Staat und seine Repressionsorgane eine regelrechte Hetzjagd gegen alles, was auch nur links blinzelte. Viele der heute weltweit bekannten und gegen die linke und revolutionäre Bewegung eingesetzten Repressionsmittel wurden dabei im Feuer des konterrevolutionären Kampfes gegen die RAF erprobt und entwickelt.

So wurden in diesem Zeitraum alle deutschen Behörden massiv hochgerüstet: Das Bundeskriminalamt (BKA) wurde zwischen 1969 -1973 von 933 auf über 2.000 Personen, die Bereitschaftspolizei von 18.000 auf 22.300, der Bundesgrenzschutz um 2.000 und der Verfassungsschutz um 400 Beamte aufgestockt.

Auch der berüchtigte Paragraph 129(a), der die Bildung krimineller und terroristischer Vereinigungen unter Strafe stellt – und als so etwas wie ein Freifahrtschein für den deutschen Staat gilt, um linke Strukturen zu verbieten – geht auf die Kriminalisierung der RAF zurück. Heute findet er seine Anwendung vor allem gegen antifaschistische Organisierung wie im Antifa-Ost-Verfahren oder dem Budapest-Komplex und gegen palästina-solidarische Organisationen wie Samidoun oder Palästina Solidarität Duisburg.

Ebenso wurden neue Methoden der Massenüberwachung in Form der Rasterfahndung entwickelt und die – als „weiße Folter“ bekannte – Isolationshaft, die zum Beispiel in türkischen Foltergefängnissen zur Norm gehört, nachweislich gegen die RAF eingesetzt und eingeführt.

Repressionstollwut zeigt kein Ende
Auch wenn die 70er vorbei sind, sehen wir noch heute, wie die Repressionsspirale keineswegs vorbei ist und der Staat weiter massiv nach innen aufrüstet. Immerhin verspricht die neue Merz-Regierung einen „handlungsfähigen Staat“. Was hier unter „Handlungsfähigkeit“ versteht wird, wird recht schnell klar: Ein Ausbau der Rechte für Verfassungsschutz und Bundespolizei, Massenüberwachung mithilfe von KI und Staatstrojanern wie dem „Quellen-TKÜ“ und weitere Angriffe auf die Meinungsfreiheit.

Während also in den 70ern die RAF als ideologische Rechtfertigung für zahlreiche Angriffe auf demokratische Grundrechte galt, wird heute vor allem die – in reißerischen BILD-Artikeln als „Judenhasser-Mob“ bezeichnete – palästina-solidarische Bewegung für alle Formen der polizeilichen Willkür und Gewalt herangezogen. Erst vor kurzem wurden im Zuge von massiven Gewaltexzessen seitens der Polizei gegen eine friedliche Kundgebung zum Nakba-Tag in Berlin Stimmen laut, die eine Verschärfung des Berliner Versammlungsrechts forderten – darunter der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Burkard Dregger, der das Versammlungsrecht so restriktiv ausgestalten möchte, wie es das Grundgesetz irgendwie noch zulassen würde.

Damals wie heute versucht der Staat also alles, die gärenden gesellschaftlichen Widersprüche, die verschiedene Teile der unterdrückten Klasse auf die Straße treiben, mit bloßer Gewalt und Repression klein zu halten und jeglichen Protest im Keim zu ersticken.

Der Kampf geht weiter, trotz alledem!
Die RAF ist Teil einer langen revolutionären Geschichte des Klassenkampfs in Deutschland – eine Geschichte, die von Erfolgen, aber auch Niederlagen geprägt ist. 50 Jahre nach Stammheim blicken wir noch immer derselben Bestie in die Augen, die mit Schaum vor dem Mund alles daran gesetzt hat, die RAF hinter Gittern zu sehen. Die revolutionäre Bewegung hat es nicht geschafft, die Konterrevolution der 70er in ihre Schranken zu weisen, geschweige denn, den Kampf für eine befreite Gesellschaft erfolgreich zu Ende zu führen.

Im Gegenteil: Die faschistische Bewegung in Deutschland ist stärker denn je, die Bundeswehr soll laut Bundeskanzler Friedrich Merz zur „stärksten konventionellen Armee Europas“ gemacht werden, die Wehrpflicht droht und der von der Arbeiter:innenbewegung blutig erkämpfte 8-Stunden-Tag droht, abgeschafft zu werden.

Die Aussichten mögen düster sein. Und trotz alledem hat uns die Geschichte der RAF vor allem eins gezeigt: Die deutsche Bestie ist nicht unbezwingbar, sie ist verwundbar und die steigenden Repressionen zeigen, dass ihr das bewusst ist.

Wenn wir also das nächste Mal mit den Knüppeln und Tritten der Bullen oder den Einschüchterungsversuchen der Klassenjustiz konfrontiert sind, müssen wir mit genau diesem Bewusstsein den Repressionen standhalten – dem Bewusstsein, dass ihre Ordnung auf Sand gebaut ist und unser Widerstand diese eines Tages hinweg fegen wird.

https://perspektive-online.net/2025/05/50-jahre-stammheimprozess-die-revolutionaere-bewegung-lebt-trotz-alledem