Vor 50 Jahren wurde der Kommunist Günther Routhier bei Protesten rund um einen Gerichtsprozess in Duisburg von Polizisten getötet. Statt Konsequenzen für die Polizei gab es eine Verfolgungswelle gegen Aktivist:innen. Ein solches Vorgehen können wir auch heute immer wieder beobachten. – Ein Kommentar von Finn Wittmann.
Am 5. Juni 1974 fand in Duisburg ein Prozess am Arbeitsgericht statt, bei dem Hanfried Brenner, der Mitglied der KPD/ML war, gegen seine Entlassung und für eine Wiedereinstellung klagte. Um sich zu solidarisieren, besuchten mehrere Menschen diesen Prozess – unter ihnen auch Günter Routhier.
Die Klage gegen Brenner wurde abgewiesen, worauf dieser sich zum geöffneten Fenster begab, um eine Rede an die Zuschauer:innen vor dem Gerichtsgebäude zu halten. Daraufhin stürmten Gerichtsdiener und zivile Polizeibeamte auf die im Gerichtssaal anwesenden Unterstützer:innen zu und begannen, auf sie einzuprügeln. Eine dieser Personen war Günter Routhier.
Er wurde in die Sitzreihen geschmissen und im Anschluss eine Treppe herunter gestoßen. Als der Sohn von Günter Routhier mitteilte, dass sein Vater an einer Blutgerinnungsstörung leidet, erwidert ein Polizist nur: „Dann hätte er zu Hause bleiben sollen“. Nachdem die Polizeibeamten Routhier in einen Einsatzwagen schleppen, beschwor sein Sohn erneut, in was für einer Gefahr sich sein Vater befände, worauf die Polizeibeamten mit höhnischem Gelächter reagierten.
Er wurde kurze Zeit später in das Uniklinikum in Essen verfrachtet, wo er nach zwei Wochen der künstlichen Beatmung starb. Von der Obduktion wurden mehrere Medizinstudent:innen sowie Routhiers Vertrauensärztin ausgeschlossen, da sie angeblich „nicht neutral“ seien. Dafür nahmen jedoch drei Kriminalpolizisten teil, unter ihnen auch der damalige Chef der Politischen Polizei.
Repression wegen Mordvorwürfen gegen die Polizei
Als Reaktion darauf warfen viele Organisationen wie u.a. die KPD/ML den Polizisten vor, Günter Routhier ermordet zu haben. Diese Vorwürfe wurden bei einer Obduktion durch Walter Krauland, dem Direktor des Gerichtsmedizinischen Instituts Berlin, bestätigt: Er stellte fest, dass die Verletzungen von Günter Routhier durch gewaltsame Einwirkung entstanden waren. Er konnte diese außerdem auf den 5. Juni datieren.
Bereits am selben Tag, an dem Routhier starb, sollten Protest-Demonstrationen abgehalten werden, die jedoch sofort verboten wurden. Des weiteren wurde geplant, eine große Gedenkdemonstration am 24. Juni, dem Tag von Routhiers Beerdigung, abzuhalten. Im Vorfeld dieser Veranstaltung nahmen Polizist:innen jegliche Personen fest, die Flugblätter für die Gedenk-Aktion verteilten.
Aber auch die Gedenk-Demonstration selbst wurde von Beginn an gestört: Bei ihrem Start wurde bekannt gegeben, dass die Demonstration verboten sei, woraufhin die Polizist:innen sämtliches Material wie Fahnen oder Gedenk-Transparente unter Schlagstockeinsatz beschlagnahmten. Der Demo-Trauerzug lief dennoch im Anschluss weiter bis zum Friedhof, wo er dann erneut durch die Polizist:innen angegriffen wurde. Allein an diesem Tag wurden fast 100 Personen verhaftet. Doch auch im Nachhinein wurden Menschen, die den Polizeimord anprangerten, strafrechtlich verfolgt.
Einschüchterung statt Aufklärung
Auch heutzutage lassen sich ähnliche Vorfälle finden: Ein Beispiel ist der Mord an Adel B. durch einen Polizisten. Am 18. Juni 2019 wurde der psychisch kranke Adel B. in Essen erschossen. Auch nach dieser Tat wurde alles daran gesetzt, die Tat zu verschleiern. Es wurde beispielsweise ein Nachbar, der die Tat filmte, dazu gezwungen, das aufgezeichnete Video zu löschen. Das Video konnte allerdings über eine Cloud gerettet werden, wodurch viele Menschen von dieser Tat erfuhren und live sehen konnten, wie die Polizei Adel B. durch die Straßen trieb und am Ende grundlos erschoss.
Trotz dieser Beweislage gab es keine weiteren Folgen für die Polizist:innen. Als Reaktion auf den Mord an Adel B. fanden die Jahre darauf Gedenkdemonstrationen in Essen-Altendorf statt, die ebenfalls durch die Polizei attackiert wurden. So wurden beispielsweise Teilnehmer:innen der Demonstration auf ihrem Rückweg von den Polizist:innen mit Kampfhunden gejagt und ohne einen erkennbaren Grund festgenommen. Zusätzlich wurden Aktivist:innen, die diesen Mord offen als solchen benannten, strafrechtlich verfolgt, bekamen Gerichtsverfahren, und nach einer Person wurde gar öffentlich gefahndet.
Wie aktuell dieses Thema heute noch und wieder ist, wird auch dadurch deutlich, dass es jährlich zu einem Dutzend Todesfällen in Polizeigewahrsam kommt. 2024 sind im ersten Drittel des Jahres bereits vier Menschen erschossen worden, weiter starben unter anderen Umständen im Gewahrsam der Polizei. Eine Hochburg stellt dabei Dortmund dar, wo in den letzten 2 Jahren vier Menschen in Polizeigewahrsam starben – zuletzt war es ein 38-jähriger Obdachloser Anfang Juni.