Anne Reiche hat ihre Autobiographie vorgelegt, die Geschichte einer radikalen Linken, in der Trauer und Niederlagen nicht verschwiegen werden.
Reiche beschreibt, wie sie in den späten sechziger Jahren ihr Studium zugunsten des politischen Aktivismus aufgab. Freunde von ihr gehörten zum »Blues«, einer Szene innerhalb der radikalen Westberliner Linken, aus der die Tupamaros und die Bewegung 2. Juni hervorgingen. Über den bewaffneten Kampf wurde nicht nur theoretisch diskutiert.Auch enge Freunde von Reiche gingen in den Untergrund.
Nach einem mehrwöchigen Gefängnisaufenthalt wollte Reiche eine politische Auszeit nehmen, doch die Aussage eines Kronzeugen durchkreuzten ihre Pläne. Nachdem sie zu einer zehnjährigen Gefängnisstrafe wegen der Zugehörigkeit zur Bewegung 2. Juni verurteilt worden war, schloss sich Reiche dem Gefangenenkollektiv der RAF an. Sie beschreibt anschaulich die Prozedur der Zwangsernährung nach wochenlangen Hungerstreiks. Dabei verschweigt Reiche auch das Gefühl der Verzweiflung nicht, das sie im Gefängnis häufiger überkam und das sich nicht mit heroischen Parolen vertreiben ließ. Sie bat ihren berühmten Bruder, den Sexualforscher Reimut Reiche, um Unterstützung, der sowohl in der Apo als auch in der linken Wissenschaft einen guten Ruf genoss, seiner Schwester aber nicht helfen wollte.
Nach ihrer Freilassung 1982 engagierte sich Reiche in der Hamburger Hafenstraße, wo sich in den Achtzigern eine autonome Szene entwickelt hatte. Sie erzählt von der Euphorie nach einer erfolgreichen Kundgebung genauso wie von der Bestürzung nach Niederlagen. Dabei verschweigt sie auch nicht die Narben, die ihr die eigenen Genossen beibrachten. Die langjährige Freundschaft Reiches mit Rio Reiser ist immer wieder Thema in dem Buch. Über politische Diskussionen findet man dagegen kaum etwas. Reiches Schreibstil ist so subjektivistisch wie ein Großteil der autonomen Linken.
Anne Reiche: Auf der Spur. Edition Cimarron, Brüssel 2018,
274 Seiten, 15 Euro
https://jungle.world/artikel/2019/08/aeusserst-subjektiv
Peter Nowak