»Ein klarer Angriff auf die Meinungsfreiheit«
»Samidoun«-Koordinator soll trotz legaler politischer Aktivität aus BRD abgeschoben werden. Ein Gespräch mit Nadija Samour
Interview: Henning von Stoltzenberg junge Welt 29.9.23
Nadija Samour ist Rechtsanwältin in Berlin
Deutsche Behörden drohen damit, Ihrem Mandanten Zaid Abdulnasser die Aufenthaltserlaubnis zu entziehen, wie die palästinensische Gruppe »Samidoun« mitteilte. Welche Rechtsgrundlage soll es dafür geben?
Das ist im Aufenthaltsgesetz geregelt: Ausgewiesen wird, wer die »öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet«. Im Falle von »Samidoun« wird behauptet, dass die Gruppe der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) nahestehen soll, die als terroristisch eingestuft wird. Das heißt, jeder, der irgendwie mit »Samidoun« zu tun hat, soll angeblich auch Terrorismus unterstützen. Was »unterstützen« heißt, ist extrem vage. Die deutschen Behörden meinen, dass auch die Unterstützung von zu Unrecht inhaftierten PFLP-Mitgliedern in israelischen Gefängnissen dazu zählt.
Das Ausweisungsrecht ist dabei ziemlich rigoros: Entweder man distanziert sich vom Terrorismusvorwurf, oder man weist gewichtige Bleibeinteressen vor, wie zum Beispiel ein jahrzehntelanger Aufenthalt, Arbeit, Familie in Deutschland. Aber vieles, was man zur Verteidigung vorbringt, wird von den Behörden als »verfahrensangepasste Aussage« gewertet, also einem wird nicht geglaubt. Das Problem, das Flüchtlinge zudem noch haben, ist, dass sie auf dem Papier als ausgewiesen gelten, aber tatsächlich nicht abgeschoben werden können, wenn ihnen im Herkunftsland Verfolgung droht. Dann bekommen sie hier eine Duldung und können Deutschland nicht verlassen. Manchmal geht das einher mit einem Arbeitsverbot, mit einem Verbot der politischen Betätigung und weiteren Repressionsmaßnahmen.
Was wird Abdulnasser konkret vorgeworfen?
Mein Mandant ist bei »Samidoun« engagiert, ist also aktiv für die palästinensische Sache, für politische Gefangene weltweit und für andere antiimperialistische Kämpfe. Konkret soll er Demonstrationen organisiert und dort Reden gehalten haben, und andere Aktivitäten, die in meinen Augen zu einem politischen Engagement gehören, das vom Grundgesetz geschützt ist. Weder die Gruppe selbst ist verboten, noch die einzelnen Aktivitäten, die ihm angelastet werden. Trotzdem soll er aber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen.
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In einer Solidaritätserklärung heißt es, der Angriff auf »Samidoun« und ihren Koordinator sei ein Angriff auf die gesamte Meinungsfreiheit.
Ja, das ist in meinen Augen ein klarer Angriff auf die Meinungsfreiheit insgesamt. Mein Mandant hat ja nicht etwa eine Straftat begangen, sondern er hat sich politisch engagiert, also eben seine Meinung geäußert. Wenn er jetzt deswegen ausgewiesen werden soll, dann ist das ein Signal an andere: »Wer sich für Palästina einsetzt, verliert sein Bleiberecht!« Das haben wir in der Vergangenheit auch in anderen Erscheinungsformen erleben können, so haben Menschen ihren Job oder Organisationen ihre Fördergelder verloren. Die Meinungsfreiheit insgesamt ist damit angegriffen, weil es immer erst einmal die marginalisierten Positionen in einer Gesellschaft trifft, bevor sich Repression dann langsam auch auf andere Teile der Gesellschaft ausbreitet.
Demonstrationen zum »Nakba-Tag« waren in diesem und dem letzten Jahr verboten worden. Wurden mittlerweile rechtliche Schritte dagegen unternommen?
Mit den Eilverfahren sind wir gescheitert, nun müssen wir das Hauptsacheverfahren abwarten. Ein Ergebnis wird es da erst aber nach vielen Jahren geben. Es war wirklich schockierend zu sehen, wie die Verwaltungsgerichte der grundrechtswidrigen und auch rassistischen Argumentation der Polizei gefolgt sind, die ja die Verbote erlassen hatte. Die Tatsachen, auf denen die Verbote beruhten, wurden total verzerrt dargestellt. Grund dafür ist auch die Medienhetze, die Hand in Hand geht mit rechten Positionen in Politik und Verfassungsschutz.
Aus der israelischen Botschaft wird gefordert, »Samidoun« als terroristische Vereinigung einzustufen. Ist das nur Säbelrasseln oder schon eine reale Gefahr?
In Israel wurde »Samidoun« auf die Terrorliste gesetzt. Kurze Zeit später erging es sechs renommierten palästinensischen Menschenrechtsorganisationen genauso. Das hat einen riesigen Aufschrei gegeben, weil ja auch deutsche Entwicklungshilfegelder an diese Organisationen gehen. Es stellt sich jetzt die Frage, wie die deutschen Behörden mit diesen Drohgebärden umgehen wollen.