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Alex lebt in unseren Herzen und in unseren Kämpfen weiter!

Wir verfassen diese Mitteilung in tiefster Bestürzung und großer Trauer. Wir haben unsere Freundin, Schwester und Mitstreiterin Alex am 2. Juni verloren. Nach Monaten unermüdlicher Versuche, den Ansprüchen dieser Gesellschaft gerecht zu werden, hat sie sich dazu entschieden, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Wir trauern um Alex und wünschen ihrer Familie, ihren Angehörigen, Bekannten, Freundinnen und Freunden, sowie ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern unser herzlichstes Beileid.

Eine Revolutionärin hat sich verabschiedet

Einige werden sich an Alex aus der Schul- und Universitätszeit erinnern. Andere werden sie als eine gute Freundin in Erinnerung haben, die für ihre Freundinnen und Freunde sogar in Momenten da war, wo sie es selbst nicht einfach hatte. Andere wiederum werden sich an sie als kämpfende Genossin auf Demonstrationen, Veranstaltungen und Versammlungen erinnern.
Wir wissen; ihre Familie, ihre Angehörigen, ihr engster Freundeskreis und die revolutionär linke Bewegung haben einen großen Verlust erlitten, dessen Schmerz nicht mit Worten wiedergegeben werden kann.
Denn es gibt keine Worte, die diesen Schmerz beschreiben können. Wir haben Alex geliebt. Über die letzten Jahre hinweg haben wir zusammen gegen das Unrecht dieser Welt gekämpft, uns gegenseitig gegen die Zwänge dieser autoritären Gesellschaft zur Wehr gesetzt, wir haben unser Brot geteilt, gemeinsam haben wir uns den schweren und strapaziösen Hürden des Lebens gestellt und gemeinsam haben wir schöne Zeiten und Momente voller Liebe, Widerstand und Rebellion gelebt. Alex wird uns sehr fehlen!

Alex hat uns zu früh verlassen

Alexandra Maria Kiss wurde am 1. Juli 1984 als Tochter eines jungen Ingenieurspaares in der ungarischen Hauptstadt Budapest geboren. Mit ihrem ungarischen Vater und ihrer bulgarischen Mutter verbrachte sie ihre ersten zwei Kindheitsjahre gemeinsam mit ihrem Bruder in Budapest. Im Jahr des Tschernobyl-Unglücks, das von den Regimen der Warschauer Vertragsorganisation vor der eigenen Bevölkerung vertuscht wurde, emigrierte die Familie aus beruflichen Gründen 1986 nach Deutschland und ließ sich im schwäbischen Leonberg nieder.
Alex besuchte dort die Schule bis zur 10. Klasse. Die Familie zog nach Stuttgart, wo Alex ab 2001 das Gymnasium fortsetzte. Als die US-Aggression im Nahen Osten mit den Kriegsvorbereitungen gegen den Irak zu weltweiten Massenprotesten führte, war Alex unter den Demonstrierenden. Der Krieg hatte sie politisiert und dazu geführt, dass sie sich im BAZ (Bedingt Autonomes Zentrum) in Stuttgart organisierte.
Mit dem Beginn ihrer rebellischen Jahre zog Alex im Jahr 2003 in die Ex-Steffi, das ehemals besetzte Haus in Karlsruhe. Bis zu ihrem Abitur 2004 pendelte sie von Karlsruhe nach Stuttgart zum Unterricht und machte ihr Abitur. Den politischen Kampf, der bereits zur Drehscheibe ihres Lebens geworden war, setzte sie organisiert im BAZ fort, arbeitete im dortigen Infoladen und widmete sich im Anschluss an die Proteste gegen den Irak-Krieg vermehrt der Antifa-Arbeit.
Nach ihrem Abitur zog sie zurück nach Stuttgart und studierte ab 2005 an der Uni in Tübingen, was sie nach rund einem Jahr abbrach. Während ihres Studiums hatte Alex Ende 2005 bereits ihre erste psychische Krise erlitten. Die Ärzte attestierten Alex eine „Depression mit Verfolgungsmanie“.
Nach der Auflösung des BAZ im Jahr 2006 führte sie ihre politische Arbeit durch ihr Engagement im Stuttgarter Subversiv fort und beteiligte sich an den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm. Zeitgleich arbeitete sie etwa ein Jahr bis 2008 im Katharinenhospital in Stuttgart und begann erneut ein Studium an der Uni in Stuttgart, wo sie sich den Sozialwissenschaften widmete. Dieses Studium brach sie 2008 wieder ab, da sie die dortigen Dozenten als zu systemkonform und zu unkritisch bewertete.
Während sie weiterhin in Subversiv aktiv war, begann 2008 ein §129b-Prozess gegen migrantische Linke, wo sie die Prozesse kritisch beobachtete und sich im Rahmen des „Komitee gegen §§129“ an der Solidaritäts- und Öffentlichkeitsarbeit beteiligte. Im Zuge der Solidaritätsarbeit schloss sie sich dem „Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen“ an und arbeitete intensiv in diversen Arbeitsfeldern am „Gefangenen Info“ mit.
Im Herbst 2009 zog sie nach Berlin, wo sie ihre politischen Aktivitäten im Antirepressionsbereich fortsetzte und sich auf ein Studium an der Humboldt-Universität vorbereitete. Dieses Studium trat sie 2010 an und studierte bis 2011 Kulturwissenschaften. Sie arbeitete fortwährend im „Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen“, kümmerte sich intensivst um Erstellung und Vertrieb des „Gefangenen Infos“ und wirkte am Aufbau der Berliner „Zusammen Kämpfen“-Gruppe mit. Aufgrund erneuter psychischer Probleme und Depressionen zog sie im Sommer 2011 zurück nach Stuttgart. Dort wurde sie über den Herbst 2011 hinweg ärztlich behandelt, wo dieses Mal „Borderline“ diagnostiziert wurde.
Ab 2012 setzte sich ihr politisches Engagement in verschiedenen Bereichen in Stuttgart fort. So setzte sie sich für die Schaffung eines Sozialen Zentrums ein, beteiligte sich an diversen antifaschistischen Mobilisierungen und war weiterhin im Antirepressionsbereich aktiv.
Im Mai 2013 war sie eine der insgesamt neun Betroffenen vom staatlichen Repressionsschlag gegen vermeintliche Mitglieder des „RAZ/RL/radikal“-Konstruktes. Ihr politisches Engagement setzte sie trotz der immer andauernden psychischen Probleme und der repressiven Situation fort und beteiligte sich an der Soligruppe zu dem §129-Verfahren. Sie ging jederzeit offen damit um, dass sie mit den Konsequenzen des Repressionsschlages zu kämpfen hatte, versuchte aber dennoch im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihre Ideen einzubringen und umzusetzen.
Im November 2013 folgte der erneute Umzug nach Berlin, dem ein weiterer psychischer Zusammenbruch unmittelbar folgte und monatelange Krankenhausaufenthalte mit sich bringen sollte. Die Ärzte stellten nun „paranoide Schizophrenie“ fest und versuchten, Alex medikamentös zu behandeln, was ihnen aber nicht gelingen sollte. Alex, die sich durch die Medikamente betäubt fühlte und sich immer mehr als Last für ihre Mitmenschen empfand, hatte die Freude am Leben verloren. Nach einem gescheiterten Suizidversuch im Mai 2014, nahm sie sich am 2. Juni 2014 in Stuttgart-Feuerbach das Leben.

Wir sind voller Trauer, voller Zorn!

Wir haben einen großen Verlust erlitten und fragen uns, wer oder was uns unsere Alex genommen hat. Wir kommen leider zu keiner einfachen Antwort. Mit Gewissheit können wir nur sagen, dass wir als Kollektiv nicht in der Lage waren, Alex bei dem Kampf gegen die gesellschaftlichen Ansprüche und Zwänge in der Form zu unterstützen, wie sie es benötigt hätte. Obgleich wir die gleichen Ziele teilten und gemeinsam für die Befreiung der Menschen kämpften, hatten wir keine richtigen Antworten auf die tiefsten Bedürfnisse und Nöte einer Mitstreiterin.

Für uns stellt sich daher mehr denn je die Frage, welche Rolle ein Kollektiv, eine politische bzw. soziale Struktur zur Unterstützung ihrer Angehörigen spielen muss und kann. Und was wir nicht zulassen können, ist in ähnlichen Situationen ausweglos bleiben zu müssen oder den Tod von weiteren Menschen in unserem sozialen und politischen Umfeld hinzunehmen. Dies ist und bleibt eine erschütternde Erfahrung, die wir weder uns noch anderen zumuten möchten.
Zweifellos sind die autoritären und kapitalistischen Verhältnisse Hauptursache für das Verwelken unzähliger Leben. Die Verhältnisse, in denen wir leben müssen, sind gekennzeichnet durch permanente Vorschriften, die ein würdevolles Leben nicht nur erschweren, sondern für viele unmöglich machen. Von Geburt an wird uns vermittelt, dass wir nur soviel wert sind, wie wir leisten. Und dieses Denken ist tief in unseren Köpfen verwurzelt und zehrt an Nerven und Verstand. Und funktioniert ein Mensch nicht mehr im Sinne der Verwertungslogik, so treten Instanzen in Kraft, die uns mit Therapien und Medikamenten wieder „gesellschaftsfähig“ machen sollen. Und wir wissen, dass auch unsere Alex unter autoritären Strukturen zu leiden hatte, gesellschaftlichen Ansprüchen und Zwängen ausgesetzt war, unter Leistungsdruck stand und darüber hinaus auch noch zur Zielscheibe der staatlichen Repressionsmaschinerie wurde.

Um es auf den Punkt zu bringen:
Diese Verhältnisse machen uns krank! Und sie kosten uns Leben! Alles, was nicht funktioniert, gerät unter die Räder. Und die Mechanismen, die sich um die „Gescheiterten“ kümmern sollen, sie funktionieren noch viel weniger! Was bleibt ist tiefe Trauer und der Zorn auf das kapitalistische System und seinen Repressionsapparat.

Wir werden die Erinnerung an Alex wach halten!

Wir sind es unserer lieben Freundin, Schwester und Mitkämpferin schuldig, die Erinnerung an sie wach zu halten und unserer Aufgabe nachzukommen, den Menschen und die Revolutionärin, die sie war, auf angemessene und würdige Weise in unseren Herzen und in unseren Kämpfen am Leben zu erhalten.
Denn für uns war sie Freundin, Schwester und Mitstreiterin in einem. Sie hat ihre Ideale gepflegt und nicht mit zweierlei Maß gemessen. Wir werden sie als aufrichtigen Menschen reinen Herzens in Erinnerung behalten, der uns leider viel zu früh verlassen hat. Ihre Aufrichtigkeit, ihr Glaube an das Gute im Menschen und ihr Kampf für die Revolution sind Ideale, die sie uns vermacht hat. Diese Ideale und die Erinnerung an sie werden wir in unseren Herzen und in unseren Kämpfen tragen. Dies soll unser Versprechen an Alex sein.

Wir trauern um Alex!
Der Kampf geht weiter!

 

9. Juni 2014
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