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SENDETERMIN So., 17.05.20 | 23:05 Uhr | Das Erste

Die türkische Band „Grup Yorum“

Sie sangen Lieder wie „Bella Ciao“, die Hymne der antifaschistischen und linken Bewegungen. Und sie sagten von sich, dass sie ein sozialistisch-revolutionäres Musikverständnis haben. Mit ihren regierungskritischen Protestsongs ist die in der Türkei enorm populäre Band „Grup Yorum“ der Erdogan-Regierung ein Dorn im Auge.

Zu jedem Konzert kamen Hunderttausende Menschen. Ab 2016 verbot die Regierung dann ihre Auftritte und die Bandmitglieder wurden nach und nach verhaftet. Als „Terroristen“ angeklagt, erhielten sie Haftstrafen von mehreren Jahren.

Um auf ihre verzweifelte Situation – kein Recht auf ein faires Verfahren, kein Gehör – aufmerksam zu machen, traten zwei Bandmitglieder in den Hungerstreik. Am 3. April 2020 starb die Sängerin Helin Bölek nach 288 Tagen Todesfasten, am 7. Mai starb auch der Bassist und Bandsprecher Ibrahim Gökcek.

Ibrahim Gökcek: „Der Staat hat Angst vor dem Wort Unabhängigkeit“

Vor acht Jahren war Ibrahim Gökcek noch ein geschätzter Talkgast. Dann begannen die Schikanen: „In den letzten fünf Jahren konnten wir keine Konzerte mehr geben. Auch unser Konzert mit dem Motto ‚Unabhängige Türkei‘ wurde verboten. Der Staat hat Angst vor dem Wort Unabhängigkeit, und Angst vor den Millionen, die dieses Wort zusammenbringen könnte, gegen Imperialismus und Faschismus.“ Der Staat hat Angst, weil Grup Yorum die Wahrheit sagt.

Auf Terror-Fahndungslisten, ohne rechtliche Grundlage

Für die Band kam es noch schlimmer: Das Kulturhaus Idil im Istanbuler Stadtteil Besiktas, wo die Band probte und zu Hause war, wurde mehrmals von der Polizei gestürmt, Mitglieder der Gruppe festgenommen. „Das Kulturzentrum wurde innerhalb von zwei Jahren zwölf mal gestürmt“, berichtet eine Anwältin der Band, Didem Baydar Ünsal. „Der Vorwurf: Es sei ein Treffpunkt für Terroristen. Dabei wird es von der Bevölkerung genutzt. Manche der Yorum-Mitglieder wurden verhaftet, andere auf Terror-Fahndungslisten gesetzt, ohne rechtliche Grundlage.“

Anwältin: Alle juristischen Möglichkeiten ausgeschöpft

Trotz des Auftrittsverbots machte die Band weiterhin Musik. Sie widmeten den Hinterbliebenen der 301 Opfer eines Minenunglücks einen Solidaritäts-Clip. In dem Lied machen sie den Staat wegen der schlechten Arbeitsbedingungen für die Katastrophe verantwortlich. Ein musikalischer Protest der Band um Ibrahim Gökcek.

„Alle juristischen Möglichkeiten haben wir ausgeschöpft“, sagt Anwältin Seda Saraldi. „Wir sind in Berufung gegangen, vor mehrere Gerichte gezogen, um das Konzertverbot aufzuheben. Es half nichts. Die Band hat weiterhin Musik gemacht: auf Dächern, im Internet. Ihr größter Wunsch, vor Publikum zu spielen, blieb ihr aber verwehrt.“

Türkei: Zehntausende wegen Terrorismusvorwürfen in Haft

Wenn die Gruppenmitglieder gegen das Konzertverbot protestierten, wurden sie einfach festgenommen. Momentan sitzen fünf Mitglieder von Grup Yorum in türkischen Gefängnissen. „Der Druck auf uns wurde immer größer“, erzählt Dilan Ekin, Mitglied der Band. „Insgesamt wurden schon elf unserer Mitglieder inhaftiert und sechs weitere mit Steckbrief als Terroristen und mit Schießbefehl gesucht.“

„Die türkische Regierung setzt die sehr wagen Anti-Terrorgesetze ein, um systematisch gegen kritische Stimmen vorzugehen, um diejenigen mundtot zu machen, die sich regierungskritisch äußern“, erläutert Janine Uhlmannsiek von Amnesty International Deutschland. „Zur Zeit sitzen in der Türkei Zehntausende Menschen wegen Terrorismusvorwürfen in Haft, und das betrifft auch Menschen, die allein wegen ihrer Ansichten, wegen ihrer politischen Meinungen in Haft sitzen.“

Sängerin und Bassist treten in Hungerstreik

Als die staatlichen Schikanen kein Ende nahmen, begannen zwei Bandmitglieder im Gefängnis mit Hungerstreik. Bassist Ibrahim Gökcek und Sängerin Helin Bölek. Ihr Zustand verschlechterte sich, sie wurden entlassen, setzten aber den Hungerstreik fort.

„In bestimmten Situationen sehen die Menschen keinen anderen Ausweg als den Hungerstreik“, so Gülseren Yoleri, Menschenrechtsorganisation Türkei. „Sie wollen mit ihrem Anliegen gehört werden. Sie wollen so die Ungerechtigkeiten anprangern, sowohl in der Öffentlichkeit als auch beim Staat. Grup Yorum ist ein tragisches Beispiel für Todesfasten aus Verzweiflung.“

Innenminister verhöhnt Trauernde

Am 288. Tag des Hungerstreiks starb die Sängerin Helin Bölek an Unterernährung. Freunde und Familie verabschiedeten sich von der 28-Jährigen. Und was machte der türkische Innenminister Süleyman Soylu? Er verhöhnte die Trauernden: „Sie haben alles getan, um den Hungerstreik fortzusetzen: Sie haben per Gerichtsbeschluss erwirkt, dass ihre Zwangsernährung gestoppt wird, sie haben das Krankenhaus verlassen und dann sind sie gestorben. Danach sind sie um den Leichnam von Helin Bölek herumgetanzt. So etwas machen nur Kannibalen, sonst niemand.“

Anfang dieser Woche starb auch Ibrahim Gökcek nach 324 Tagen Hungerstreik. Hunderte Menschen versammelten sich spontan im alevitischen Gotteshaus im Istanbuler Stadtteil Gazi, um sich von ihm zu verabschieden. Noch während der Trauerfeier stürmte die Polizei das Gotteshaus, setzte Tränengas ein, beschlagnahmte den Leichnam, damit Gökcek nicht als Märtyrer gefeiert werden konnte. 17 Festnahmen, darunter auch die beiden Anwältinnen der Gruppe.

Kein Ende der Unterdrückung in Sicht.

(Beitrag: Halil Gülbeyaz)
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