Die „Verhandlungszelle“ in der JVA München-Stadelheim ist ungeeignet
Der 22. Hauptverhandlungstag war der erste, und auch erst einmal der letzte Tag, an dem in den neuen Räumen im „Hochsicherheitstrakt“ der JVA München Stadelheim verhandelt wurde.
Die Verteidigung rügte gleich zu Beginn der Verhandlung, wie zuletzt in einem Antrag vom 7. November 2016, dass die Räumlichkeiten zur Durchführung dieses Verfahrens völlig ungeeignet und eine Fehlplanung sind und darüber hinaus die Angeklagten in unzulässiger Weise vorverurteilt und als „gefährliche Terroristen“ stigmatisiert werden.
Unter anderem wurde gerügt, dass der neue Saal nur für sechs Angeklagte ausgelegt ist, und es nicht ausreichend Platz für die zehn Anklagen, ihre Anwälte und die Dolmetscher gibt. Die „Vorführzellen“ also die Zellen, in denen die Angeklagten die gesamte Zeit des Verhandlungstages, in der nicht verhandelt wird, morgens nach dem Antransport, während derVerhandlungspausen , aber auch der Mittagspause untergebracht sind, sind menschenunwürdig. Es stehen für 10 Angeklagte nur sechs reguläre Zellen zur Verfügung, die übrigen Angeklagten werden in der Sanitätszelle – die damit belegt ist – und in den drei sogenannten Sprechzellen, in denen es keine Toiletten gibt, untergebracht.
Hierzu führte die Verteidigung Yesilcali (sinngemäß) aus:
Das Gericht konnte es ja gar nicht abwarten, in den neuen Hochsicherheitstrakt umzuziehen. Ich bin stinksauer. Wir müssen jetzt feststellen, dass hier viel Geld in die Sicherheitsarchitektur verpulvert worden ist. Gleichzeitig sind nicht einmal die untersten Standards der Menschenrechte der Gefangenen nicht berücksichtigt worden. Unser Mandant hat uns heute morgen berichtet, dass er in einer Zelle auf den Verhandlungsbeginn warten musste, in der sich eine Toilette befindet, die nicht vom übrigen Haftraum abgetrennt ist. Während der Zeit des Wartens muss Herr Yesilcali diese Zelle vier Mal verlassen, damit andere Gefangene dort ihre Notdurft verrichten konnten. Man muss also sagen, dass es sich hier also nicht um eine Zelle, sondern um eine öffentliche Toilette handelt, in der unser Mandant heute ausharren musste. Man kann sich vorstellen, was für Folgen eine derart intensive Toilettenbenutzung bei einem nicht zu lüftenden Zellenraum nach sich zieht. Wir beantragen somit, die Hauptverhandlung hier unverzüglich zu unterbrechen und bis zur Veränderung der beschriebenen Situation in dem Gerichtssaal in der Nymphenburger Straße fortzusetzen.
Von der Verteidigung Büyükavci wurde weiter kritisiert, dass in den Zellen, in denen sich Toiletten befinden, diese über keinerlei Sichtschutz verfügen. Da die Zellen jederzeit von den Justizbeamten ohne Ankündigung betreten werden können, ist eine Benutzung der Toilette für Frau Dr. Büyükavci unter solchen Bedingungen nicht zumutbar.
Weiter wurde kritisiert, dass im gesamten Verhandlungssaal hochauflösende Kameras angebracht sind. Hierzu trug die Verteidigung vor:
Bereits in dem Antrag vom 7. November 2016 wurde dargelegt, dass im Verhandlungssaal hochauflösende Videokameras angebracht sind und dass bei der gemeinsamen Begehung des Saals demonstriert wurde, dass diese Kameras einen Einblick in den von ihnen abgedeckten Bereich in höchster Qualität ermöglichen und damit die Verteidigersitzplätze vollständig (heimlich) überwacht werden können und gegebenenfalls hiervon sogar Aufzeichnungen gefertigt werden können. (…) Eine Verteidigung unter diesen Umständen würde bedeuten, dass das Gericht und alle anderen Personen, die Zugriff auf die Aufnahmen haben, Einblick in sämtliche Unterlagen auf dem Tisch der VerteidigerInnen haben. Dies beschränkt die Verteidigung in unzulässiger Weise.
Die Verteidigung Aktürk betonte, dass die Verlegung in den neuen Verhandlungssaal im Kontext der Staatsschutzverfahren in Deutschland zu sehen ist. Dass dieser Verhandlungssaal und die Verhandlungssaal in der JVA Stammheim die einzigen „Gerichts“-säle in Deutschland seien, die unmittelbar Teil des Gefängnisses seien. Es sollte doch ehrlich benannt werden, dass nunmehr im Gefängnis, also in einer Verhandlungszelle, verhandelt würde, dann könnten auch die verschärften Sicherheitsvorschriften akzeptiert werden, es solle dann aber nicht mehr so getan werden, als sei dieser Saal ein Teil der regulären Justiz in dem ein ganz gewöhnliches Gerichtsverfahren durchgeführt werden könnte.
Zur politischen Stoßrichtung der zur Zeit überhaupt nicht erforderlichen Verlegung der Hauptverhandlung – das diese weiterhin parallel mit dem NSU-Verfahren in dem Gerichtssaal in der Nymphenburger Straße stattfinden kann – führte die Verteidigung aus:
Die Verlagerung der Verhandlung in die JVA Stadelheim, insbesondere zu einem Zeitpunkt, zu dem keine sich aus objektiven Erwägungen ergebenden Gesichtspunkte diese notwendig machen, ist willkürlich und ausschließlich dadurch zu erklären, dass das Gericht zunehmend Probleme hat, den Prozess gegen aus der Türkei stammende Kommunisten angesichts des sich in der Türkei zunehmend diktatorisch entwickelnden Sultanats Erdogans zu legitimieren. Aus diesem Grund soll nun versucht werden, der Öffentlichkeit eine angebliche Gefährlichkeit der Angeklagten durch die Verlagerung der Hauptverhandlung in einen Hochsicherheitssaal in der JVA München zu suggerieren. Die Stigmatisierung der Angeklagten als angeblich gefährliche Terroristen, die Einschüchterung der Prozessbesucher, die ein Gefängnis aufsuchen müssen und keine Möglichkeit zur Nahrungsaufnahme in der Umgebung finden, soll darüber hinaus das öffentliche Interesse an dem Prozess einschränken. Es entsteht der Eindruck, dass sich hier die politische Opportunität bezüglich der politischen Repression im Sinne Erdogans, zu einem Umgang mit Beschuldigtenrechten im Geiste seines Regimes erfolgen soll.
Unmittelbar nach der massiven Kritik der Verteidigung unterbrach der Vorsitzende die Verhandlung mit der Begründung, er sehe ein, dass unter diesen Umständen derzeit nicht weiterverhandelt werden könne.
Am Dienstag entschied der Vorsitzende, dass die Verhandlung ab dem kommenden Freitag, den 18. November 2016, (vorläufig) wieder in dem alten Verhandlungssaal in der Nymphenburger Straße durchgeführt wird. Der Vorsitzende beschränkte sich in seiner Begründung der Rückverlegung allerdings ausschließlich auf die vorliegenden räumlichen Probleme und wies die weitergehende Kritik der Verteidigung zurück. Für die Verteidigung bedeutet diese Entscheidung allerdings einen kleinen Sieg, da die Rechte des Angeklagten und der Verteidigung in den neuen Räumlichkeiten massiv eingeschränkt worden wären.