Zu Beginn dieses Verhandlungstages ist der BKA Beamte Fritsche als Zeuge geladen. Er ist der Verbindungsbeamte des BKA zur griechischen Polizei. Als solcher hatte er am 12.7.11 mit der Ausstellung eines Auslieferungs-Haftbefehls gegen sie zu tun. Seine Aussage betraf in erster Linie ihre Festnahmesitation bei der auch eine weitere Person verhaftet wurde. Diese Dinge hat er laut seiner Aussage alle von seinen griechischen KollegInnen erfahren bzw. aus dem sogenannten SIRENE- Informationssystem von Interpol.
Persönlich vernommen hat er Gülaferit Ünsal nie. Auf Nachfrage der Verteitigung sagt er aus, daß der direkte Informationsaustausch mit einer griechischen Staatsschutzdienststelle ca.10 Minuten dauerte und er dabei einen Dolmetscher benötigte da er Griechisch nicht verhandlungssicher beherrscht. Ob seine Gesprächspartner ihre Informationen durch „Hörensagen“ hatten konnte er nicht sagen.
Seine Aufgabe war es Ansprechpartner für den Kontakt zu den griechischen Behörden zu sein. Um die konkrete Auslieferung in die Wege zu leiten leistete er auch weiteren deutschen Beamten logistische Unterstützung.
Anschliessend wurden zur angeblichen Identifizierung der Angeklagten Schriftstücke mit Fotos aus unterschiedlichen ausländerpolizeilichen Akten der Asylsuchenden Gülan Seyan (Name phonetisch) ins Verfahren eingeführt. Darunter ein Schreiben des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, worin die Rede ist von „Lichtbildern für Asylbewerber die für eine Verteilung in eine Endgemeinde vorgesehen sind“ so die an schlechteste deutsche Tradition erinnernde Formulierung.
Völlig ohne erkennbaren Zusammenhang wurde nun ein 10- minütiges Video gezeigt. In ihm ist eine Frau mit Barrett zu sehen, die vor einer DHKP-C Fahne und einer Wandzeitung mit Fotos im Hintergrund eine Rede in türkischer Sprache hält. Danach zieht sie sich verschiedene Kleidungsstücke an.
Ein Aktenvermerk wird verlesen aus dem Ermittlungsverfahren gegen Dursun Karatas (Vorsitzender der DHKP-C bis 2008) und andere.
Laut diesem wurde das gezeigte Video bei einer großangelegten Durchsuchungsaktion in vierfacher Ausführung an verschiedenen Orten der BRD beschlagnahmt. Es zeige die „Selbstbezichtigung einer Selbstmordattentäterin“.
Ein angeblicher ausführlicher Lebenslauf der Aktivistin Sengül Akkurt wird verlesen und so ins Verfahren eingeführt. (das soll die oben genannte Märtyrerin sein).
Sie komme aus einer kurdischen Famile von Kleinbauern und LandarbeiterInnen, jobbte als Kassiererin und Babysitterin in Ankara; als eigentlichen Beruf jedoch gibt sie Revolutionärin an. Der Lebenslauf enthält detaillierte Angaben zu ihrer Familie welche in ihrer Kindheit als Tagelöhner im Tabak- und Aprikosenanbau arbeitete sowie den politischen Gründen, warum sie den Kampf aufgenommen hat. Die „Sehnsucht nach einem lebenswerten Leben, Vertrauen, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung für alle“ werden als wichtigste Ausgangspunkte benannt. Kinder sollen spielen können, niemand mehr Hungern oder vor Suppenküchen in der Schlange stehen müssen. Jugendliche sollen keinen Klebstoff schnüffeln müssen. Die Bewegung bedeute ihr Hoffnung und Zukunft, so das verlesene Dokument. Vor der fehlgeschlagenen Aktion bestand ihre politische Tätigkeit darin Stadtteil-und Familienarbeit zu leisten. In ihrer freien Zeit betreute sie die Kinder der Familie bei der sie wohnte.
Seit dem 19.12.2000 (Gefängnismassaker gegen Todesfastende mit über 30 Ermordeten und vielen Hundert Schwerverletzten) findet sie es notwendig, dafür Rechenschaft zu verlangen.
Im Anschluss wird eine Inhaltsangabe des Videofilms aus Sicht des BKA-Beamten Milach verlesen. Das Thema Recht des Volkes zum Kampf und die Legitimation der DHKP-C stünden darin im Mittelpunkt.
Nun werden mehrere wiederhergestellte Dateien ins Verfahren eingeführt. Diese befassen sich vorrangig mit Details der Planung des Anschlages, so der Beschaffung von Kleidung für die Aktivistin, der technischen Details des Ablaufs, aber auch persönlichen Fragen. So stellt sie mit Bezug auf die von ihr betreuten Kinder die Frage „ob es einen Menschen gäbe der sich nicht für diese (deren Zukunft) opfern würde“ so ihre Worte. In den Dateien wird desweiteren berichtet, daß der Weg den sie nehmen sollte ausgekundschaftet und zur Herstellung der Sprengvorrichtung versucht wurde, Teile einer ferngesteuerten Garagentor-Schaltung zu verwenden. Daneben enthalten sie eine Auflistung der geleisteten finanziellen Ausgaben.
Die letzte Datei stellt einen Abschiedsbrief der gestorbenen Kämpferin dar.
Sie legt noch einmal die Gründe des Kampfes dar, nimmt dabei positiven Bezug auf den kurdischen, palästinänsischen, irakischen und tscherkesischen Widerstand.
Sie verabschiedet sich ausführlich von Vater, Mutter und jedem ihrer Geschwister, auch den GenossInnen im Kampf und richtet an sie die Botschaft „Eure Tochter wird für Brot und Gerechtigkeit sterben“. Weiter sagt sie an dieser Stelle: “ Es ist nicht möglich, in diesem System glückliche und zufriedene Familien zu schaffen. Gerechtigkeit und Brot sollen allen gehören“. Sie kämpfe für eine demokratische Heimat. „Kinder sollen in Freiheit aufwachsen“. Sie wolle ihr Leben hergeben um sich nicht den Tyrannen zu beugen.
An den Vater richtet sie die Worte das er doch immer geglaubt habe seine Tochter könne Berge versetzen. In diesem System sei es nicht möglich eine glückliche Familie zu schaffen da Kinder verhungerten. Kinder sollten in einem freien, gesunden und glücklichen Land aufwachsen. Man müsse kämpfen auch wenn man nur eine Handvoll Leute sei, doch kann man niemandem zum kämpfen zwingen. Desweiteren spricht sie davon das sie die Kinder der Familie, ihre Nichten und Neffen vermisse und richtet an diese viele Grüße.
Die Aktivistin hat ihr Ziel, das türkische Justizministerium in Ankara, nicht erreicht. Der Sprengstoff explodierte durch einen technischen Defekt vorzeitig.
Nach einer einstündigen Mittagspause ist der Zeuge Weise, Beamter beim Bundeskriminalamt und Sachverständiger für Daktyloskopie (Fingerabdrücke), geladen. Laut seinem Gutachten sind die Fingerabdrücke von Gülaferit Ünsal und der oben genannten Asylsuchenden Seylan Gülan (siehe Bericht vom 1. Prozesstag) identisch. Die Verteidigung weisst jedoch darauf hin das bei diesen Verwischungen vorhanden sind.
Im nächsten Verfahrenspunkt legen die Anwälte Wiederspruch gegen die gestrige Einführung und Verwertung eines Lebenslaufes im Zusammenhang mit einer weiteren Aktion der DHKP-C ins Verfahren ein. Sie begründen diesen damit das kein Einverständniss zur Verwertung durch die griechischen Behörden vorläge.
Die Verteitigung beklagt anschließend das sie in der Mittagspause erstmalig durch bürokratische Massnahmen behindert wurde Kontakt zu Gülaferit Ünsal aufzunehmen. Der Richter entschuldigt dies damit das der Gerichtskomplex Moabit ein Riesenapparat sei und eine hohe Personalfluktuation bestehe.
Nun gibt die Bundesanwaltschaft noch eine Stellungnahme zum Wiederspruch der Verteitigung ab indem sie diesen ablehnt und dies damit begründet das der Wiederspruch verspätet angebracht wurde und sie kein Verwertungsverbot für die Verwendung des Lebenslaufes im Verfahren sähe. Der Richter meint er werde dies noch prüfen und warte dazu auf die Zustimmung der griechischen Behörden.
Dann erklärt er diesen Prozesstag für beendet.
Der nächster Prozesstag findet am 15.8.12 statt.
Beginn ist wieder um 9.00 Uhr.