Ausführlicher Bericht des 6.Prozesstages (30.8.) gegen Gülaferit Ünsal

Am 30. August 2012, dem  6. Verhandlungstag gegen Gülaferit Ünsal,
wurde knapp 3 Stunden  lang Kriminalhauptkommissar Paul Kröschel vom Bundeskriminalamt befragt. Er hat bereits in anderen Prozessen wie beim OLG Düsseldorf zur DHKP-C als Zeuge ausgesagt. Er übernimmt in seinem Arbeitsbereich die Aufgaben der Koordinierung und Kontrolle.

Kröschel äußerte sich vor allem über die DHKP-C im Allgemeinen sowie außerdem zu den bei einer Hausdurchsuchung in Amsterdam beschlagnahmten Computerdateien. Zunächst ging er auf den
Gründungskongress der DHKP-C im Jahre 1994 in Syrien und die dort gefassten Beschlüsse ein. Konkret nannte er den Beschluss Nr. 8 zur Reorganisation der Rückfront. Mit Rückfront sind die außerhalb der Türkei aktiven Teile der Organisation gemeint. Die Aufgaben zur Reorganisation umfassen Rekrutierung neuer Mitglieder, Veröffentlichung von Publikationen, ideologische und militärische Schulungen, Massenmobilisierungen und den Transfer von Logistik in die Türkei.

Des Weiteren erwähnte Kröschel den Beschluss Nr. 11 zur Beschaffung von Finanzmitteln und ging ausführlich auf das Sammeln von Spenden bei Sympathisanten ein. Das BKA hat aber aktuell keine Erkenntnisse über die Höhe der Spendengelder.
 
Kröschel führte als Beleg für Druckausübung bei der Spendensammlung angebliche Zitate an. Die Zitate, die nicht genau datiert wurden, sollen aber erst aus der Zeit nach der angeblichen Tätigkeitsperiode derAngeklagten als DHKP-C-Verantwortliche stammen. So wurden aus vermeintlichen Gesprächen zwischen dem angeblichen Nachfolger der Angeklagten und Spendensammlern verbale Bedrohungen, wie „Ich breche ihm die Knochen.“, „Ich brenne ihm seinen Laden ab.“ und „Wir haben streng mit X gesprochen.“ angeführt. Daß derartige Drohungen auch tatsächlich gegenüber angeblichen Spendern ausgesprochen oder gar in die Tat umgesetzt wurden, behauptete Kröschel nicht. Für die angebliche Tätigkeitsperiode der Angeklagten vermutete Kröschel, daß leichtere verbale Druckausübung bereits üblich gewesen sei.

Eine wichtige Rolle für die Organisation spielt auch die Unterstützung der Inhaftierten. Dazu werden von einzelnen Personen Patenschaften für einen Inhaftierten und dessen Familie übernommen, die dann unterstützt werden. Gelder werden zudem durch Großveranstaltungen wie Konzerte, den Verkauf von Speisen und Getränken und von Publikationen eingenommen. 2004 wurde in Amsterdam ein Presse-Büro durchsucht, bei dem insgesamt 1,2 Terabyte an Datenmaterial beschlagnahmt wurde. Ein Teil der Dateien konnte nicht entschlüsselt werden. Dem BKA wurden CD´s mit insgesamt 20 000 Textdokumenten zur Verfügung gestellt. Die Texte wurden zum Teil übersetzt, wenn sich ein Bezug zur BRD erkennen ließ.
Die Verteidigung machte darauf aufmerksam, daß auf zwei CD eine Datenmenge von weitaus weniger als 1,2 Terrabyte passe. Kröschel verwies zu dieser Frage auf einen BKA-Computer-Experten, der zu einem späteren Termin noch vernommen werden wird.

Nach den in Amsterdam beschlagnahmten Computerdateien, von denen vor Gericht nichts verlesen wurde, soll die/der DHKP-C-Europaveranstwortliche/r die Kommunikation zwischen  der Parteiführung einerseits sowie den Gebiets- und Regionalleiternvermittelt haben; konkret: Befehle nach unten und (Ausführungs)berichte nach oben weitergeleitet haben. Bei  den Befehlen soll es unter anderem um Vorgaben für Spendensammlungen, um die Beschaffung  und Verfälschung von Personaldokumenten sowie diePräparierung von Autos gegangen sein, mit denen unter anderem Waffen in die Türkei transportiert worden seien. Diese Waffen sollenallerdings in aller Regel nicht aus
der BRD stammen, sondern üblicherweise in Bulgarien oder Griechenland zugeladen worden sein. Auch bezüglich dieser Vorgänge wurden KEINE konkreten Angaben gemacht bezüglich Daten  oder Personen. Vielmehr blieb es auch insoweit bei allgemeinen, zusammenfassenden  Angaben. Zur Identität der Europaverantwortlichen konnte Kröschel anhand seiner Quellen keine Angaben machen. In den Textdokumenten hatte er seit 1999 eine Europaverantwortliche unter dem Decknamen Ayse und seit 2002 unter dem Namen Gülsen gefunden.Es gibt in den entschlüsselten Textdokumenten keine Dokumente die von der Parteiführung an die Europaverantwortliche gerichtet sind.

Nach Angaben des BKA-Beamten hatte die DHKPC-Europaverantwortliche hinsichtlich der Beschaffung von gefälschten Papieren praktisch keinen Entscheidungsspielraum hinsichtlich Anzahl der benötigten Papiere
sowie der dortigen persönlichen Angaben (Alter, Geschlecht, Staatsangehörigkeit), sondern war diesbezüglich den Bestellungen der Parteiführung unterworfen gewesen. Etwas mehr Spielraum dürfte sie in Bezug auf Schulungsmaßnahmen hinsichtlich Termin und verwendeter Literatur gehabt haben. Bei dieser Sachlage dürfte es jedenfalls juristisch schwierig werden, die Angeklagte wegen Rädelsführerschaft zu verurteilen [= Wertung der Protokollantinnen, nicht des BKA-Beamten]. Die Verteidigung machte auf einen Widerspruch in der Aussage Kröschels
aufmerksam. Dieser hatte zum einen betont, dass die Position der Europaverantwortlichen einen sehr hohen Stellenwert hat und die zweitwichtigste Position nach dem Generalsekretär sei. Gleichzeitig gab er an, dass die Europaverantwortliche kaum einen eigenen Entscheidungsspielraum und genaue Vorgaben zu erfüllen habe.

Kröschel sagte weiterhin aus, dass,als Mitglieder der DHKP-C Angeklagte keine Aussagen vor Gericht machen. Nur ein Mitglied, das gleichzeitig für den BND arbeitete, hatte vor Gericht ausgesagt. Außerdem erwähnte er, dass das BKA immer nachprüft, ob die Erklärungen der Organisation authentisch sind und die Aktionen auch umgesetzt
wurden. Zu der Anzahl der Mitglieder der Organisation in der BRD gab Kröschel keine Zahl an, meinte aber, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz mit seinen Angaben von 600 bis 700 Personen zu hoch
liege. Der Kreis der Sympathisanten wird, wenn die Veranstaltungen zugrunde gelegt werden, auf 10 000 Personen geschätzt. Eine Richterin wollte von Kröschel wissen, welche Qualifikationen für eine
Mitgliedschaft in der DHKP-C notwendig sind. Er sagte, dass dazu mindestens zwei Mitglieder die Person vorschlagen müssen, die Person die Satzung akzeptieren muss und die Disziplin einhält. Außerdem werde der Lebenslauf der Person überprüft. Nahezu sämtliche Aussagen Kröschels zur Struktur der Organisation beziehen sich auf die Auswertung und Interpretation des Textmaterials aus der Durchsuchung in Amsterdam.