Spanien kann die Foltervorwürfe nicht entkräften.
Briefwechsel mit Spanien
Seit April ist die baskische Aktivistin Nekane Txapartegi in Auslieferungshaft, da Spanien ihre Auslieferung zwecks Vollzug einer fast 7-jährigen Gefängnisstrafe verlangt. Aufgrund der Vorwürfe, dass Nekane Txapartegi aufgrund eines Geständnisses verurteilt wurde, das unter Folter erzwungen worden war, forderte das EJPD vom spanischen Justizministerium mehrere Dokumente zur Klärung an. Es sind dies insbesondere die vollständigen Urteile der ersten und zweiten Instanz gegen die Baskin, sowie eine ausführliche Erklärung zu den Untersuchungen der Foltervorwürfe, die damals zu einer Einstellung des Verfahrens geführt hatten.
In der Antwort bestreitet Spanien die Vorwürfe vollständig. Die gesamte Argumentation bleibt jedoch oberflächlich bis fehlerhaft.
Es wird darauf verwiesen, dass die Gefangene während der Incommunicado-Haft (mit absoluter Kontaktsperre) täglich von einem Rechtsmediziner untersucht wurde, der in seinen Berichten keine Hinweise auf Misshandlungen notiert hatte. Tatsächlich sind in diesen Berichten Blutergüsse erwähnt. Auch nach dem Transfer in ein normales Gefängnis hat der dortige Arzt mehrere Hämatome festgestellt. Weiter muss festgehalten werden, Spanien schon in mehreren Fällen vom Europäischen Gericht für Menschenrechte verurteilt wurde. Dabei wurde festgestellt, dass diese medizinischen Berichte den internationalen Standards betreffend Unabhängigkeit der Mediziner nicht genügen.
Weiter verweist das spanische Justizministerium darauf, dass die Baskin sowohl bei den Aussagen bei der Guardia Civil wie auch danach vor dem Untersuchungsrichter von einem Pflichtverteidiger begleitet wurde. Obwohl dies formal korrekt ist, hat dieser keinerlei Aktivitäten zur Verteidigung seiner „Mandantin“ unternommen. Es fand kein Gespräch mit ihr statt, und während der Anhörung vor Gericht sass er hinter seiner „Mandantin“, neben den Polizeibeamten. Es gab keinerlei Intervention von seiner Seite. Nicht einmal gegen die Verlängerung der Haft unter Kontaktsperre wurde rekurriert. Diese Praxis der Pflichtverteidigung wurde von verschiedenen internationalen Instanzen schon mehrfach gerügt, unter anderem vom Europäischen Komitee
zur Verhinderung von Folter (CPT). Es kann somit nicht von einer effektiven Verteidigung gesprochen werden.
Weiter behauptet Spanien, dass Nekane Txapartegi ihre Klage wegen der Folter erst nach der Freilassung eingereicht habe. Diese Behauptung ist faktenwidrig. Die Klage wurde nachweislich noch während der Gefangenschaft von Frau Txapartegi eingereicht. Weiter unterschlägt die Antwort Spaniens, dass Nekane Txapartegi schon beim ersten Erscheinen vor dem Richter erklärte, dass sie gefoltert worden war, und auch die Hämatome an ihrem Körper zeigte.
Korrekt ist die Antwort Spaniens hingegen mit der Bemerkung, dass die Anschuldigungen der Baskin vor Gericht als ohne genaue Begründung als unglaubwürdig bezeichnet wurden.
Keine effektive Untersuchung der Foltervorwürfe
Die Akten zum Untersuchungsverfahren aufgrund der Anzeige wegen Folter sprechen eine deutliche Sprache.
Nach Eingang der Anzeige am 21. Juni 1999 wurde das Verfahren wie eine heisse Kartoffel von einer Instanz an die nächste weiter- und später wieder zurückgereicht. Nachdem das Dossier acht Mal verschoben wurde, anerkennt der Staatsanwalt in Madrid am 18. Mai 2000 seine Zuständigkeit. Bis dann wurden noch keinerlei Untersuchungen vorgenommen. Die Pflicht zur zügigen Abklärung von Vorwürfen dieser Schwere (Folter und Vergewaltigung) wurde hier eindeutig verletzt. Die angeforderten Dokumente, insbesondere die Arztberichte, die während der Incommunicado-Haft geschrieben wurden, werden dem Staatsanwalt erst im Januar 2001 geliefert.
Im Juni 2001 wird entschieden, dass nicht mehr festgestellt werden kann, wann die Hämatome entstanden sind. Das Verfahren wird eingestellt. Dieses Vorgehen ist ein klarer Verstoss gegen die Anforderungen, die sowohl das Antifolter-Komitee wie auch Strassburg an ein solches Verfahren stellt. Die Scharade geht danach weiter. Die Verfahrenseinstellung wird der Klägerin nicht mitgeteilt, angeblich weil ihre Adresse unbekannt sei. Auch ihre Anwälte werden nicht informiert.
Erst 2005 erfahren die Anwälte von der Einstellung und rekurrieren erfolgreich. Im Januar 2006 findet die erste Befragung des Opfers statt, fast 7 Jahre nach der Verhaftung. Im weiteren Verlauf weigert sich der Untersuchungsrichter, die beteiligten Beamten vorzuladen. Stattdessen als einzige Person der Gefängnisarzt einvernommen, der Nekane Txapartegi nach dem Transfer ins normale Gefängnis untersucht hat. Die beteiligten Agenten der Guardia Civil werden nie befragt, ebensowenig wie andere Zeugen. Im Jahr 2008 wird das Verfahren erneut eingestellt, ein Rekurs bleibt erfolglos.
Bei Anzeigen wegen Misshandlung, Folter und Vergewaltigung durch Beamte des Sicherheitsapparates hat der Staat die Pflicht, die Vorwürfe schnell und gründlich abzuklären. Das hier dargelegte Vorgehen verletzt ohne Zweifel die Europäische Menschenrechtskonvention.
Die Antifolter-Konvention ist in diesem Punkt klar: Es ist am Staat, der eine Auslieferung verlangt, zu beweisen, dass die Verurteilung rechtmässig, d.h. nicht unter Verwendung von erfolterten Aussagen zustande kam.
Die Antwort Spaniens kann schwere Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit der Verfahren gegen Nekane
Txapartegi offensichtlich nicht ausräumen.
Folgt das Bundesamt für Justiz den internationalen Verpflichtungen, muss die Auslieferung abgelehnt werden.
Communiqué: augenauf Zürich
Am 27. Juni erschien ein Untersuchungsbericht über die Praxis der Folter im spanischen Baskenland im Zeitraum von 1960 bis 2013. (http://www.eitb.eus/multimedia/documentos/2016/06/27/1987310/Memoria%20Proyecto%20tortura%202016.pdf)
Es wurden Daten über 4‘000 Fälle von Folter gesammelt und ausgewertet. Stichprobenweise wurden 202 Opfer nach den Richtlinien des Istanbul-Protokolls untersucht. Dieses Protokoll dient als Standard der UNO zur Untersuchung und Dokumentation von Folter, auch in Abwesenheit physisch sichtbarer Schäden.
Von den untersuchten Fällen wurden 11% als absolut zuverlässig, 46% als sehr zuverlässig, 41% als zuverlässig und nur 2% als zweifelhaft beurteilt. Es muss davon ausgegangen werden, dass ein sehr grosser Teil der untersuchten Fälle somit tatsächlich als Folter im eigentlichen Sinn betrachtet werden müssen.
Es fällt auf, dass die grosse Anzahl Fälle nach dem Tod Francos, also in die Zeit der Demokratie, fällt. Diese auf den ersten Blick irritierende Tatsache hat mehrere Gründe. Ganz allgemein muss festgehalten werden, dass mit dem Abhalten von Wahlen nicht automatisch ein funktionierender Rechtsstaat entsteht, der die Menschenrechte achtet. Die dafür notwendigen Institutionen ändern sich meist wesentlich langsamer als das politische System. Auch im Fall von Spanien lässt sich in etlichen relevanten Institutionen nach dem Übergang eher eine Kontinuität feststellen:
– Die Guardia Civil, das Repressionsinstrument des Diktators Franco, bleibt bestehen
– Der Staatsgerichtshof für schwere Straftaten und Terrorismus, die Audiencia Nacional, wurde als
Ersatz für den Tribunal del Orden Público aus der Franco-Zeit neu gegründet, das Personal blieb
jedoch zunächst grösstenteils identisch
– Die Gesetze bleiben zu einem grösseren Teil bestehen, oder werden erst langsam ersetzt. Dies ist
keine Spezialität Spaniens: Auch Deutschland hat noch Gesetze aus der Nazi-Zeit.
Es sollte deshalb nicht überraschen, dass auch die Praxis der Folter eine Kontinuität erfährt, die auch durch die fortwährende Aktivität der ETA mit Anschlägen intern legitimiert wird. Diese Tatsache wurde seit Jahren in den Berichten von Menschenrechtsorganisationen sowie Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie dem Antifolter-Komitee der UNO bestätigt.
In einer Phase dieser Auseinandersetzung waren von 1983 bis 1987 auch Todesschwadronen aktiv, die Grupos Antiterroristas de Liberación (GAL). In den Aufbau und die Finanzierung dieser Gruppen war der spanische Staat direkt verwickelt.
In letzter Zeit wurde diese Tatsache auch von einzelnen Personen des Sicherheitsapparates bestätigt: Baltasar Garzon, ehemaliger Untersuchungsrichter der Audiencia Nacional, hat 2015 selbst bestätigt, dass es bei den Verhören „Exzesse“ von Folter gegeben hat.
Laut der Baskischen Organisation gegen Folter, Torturaren Aurkako Taldea (TAT) war im Jahr 2015 das erste Mal keine Meldung wegen Folter eingegangen.
Communiqué: augenauf Zürich, August 2016