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Beitrag Anti-Knast-Tage Bielefeld November 2013

Hallo, liebe GenossInnen, liebe TeilnehmerInnen aller hier anwesenden politischen Positionen und Erfahrungen.

Mit grossem Interesse las ich den Flyer und habe mich sehr gefreut, mich an Euch richten zu können. Erlaubt mir, einige Stichworte aus Eurem Programm rauszupicken, die mich als politische Gefangene besonders angesprochen haben.

Vorweg möchte ich sagen, dass die Frage der Verschärfung von Repression im allgemeinen und Knast im besonderen in einem engen Zusammenhang mit der sich drehenden Spirale der ökonomischen wie politischen Krise steht. Die Krise macht gesellschaftliche Widersprüche sicht- und fassbarer, öffnet Raum für soziale Spannungen, macht das System verletzlicher, angreifbarer.
Umso mehr sich diese Spirale dreht, desto entschlossener wird die Reaktion des Staates bzw. seiner Repressionsorgane gegen alles, was sich bewegt, widersteht oder sich organisiert, vorgehen. Ob gegen die Mobilisierung auf den Strassen, gegen die Kämpfe der Arbeitenden, gegen den sich organisierenden Widerstand gegen die kapitalistische, also profitorientierte, Städtebaupolitik oder jene der Papierlosen, MigrantInnen. Auch die revolutionäre Solidarität mit kämpfenden Gefangenen ist in diesen Situationen vermehrter als sonst Ziel, staatsschützerischen „Interessens“.

Wen wundert es, wenn in einer solchen Zeit kapitalistischer Krise , imperialistischer Kriegsherde und immer öfter aufflackernden Massenaufständen, Revolten, Klassenkämpfen und Widerständen in verschiedensten Kontinenten die politischen Langzeitgefangenen weltweit trotz längst abgelaufenen Haftjahren nicht aus den Knästen entlassen werden. Ungebrochene politische Gefangene, die u.a. miterleben mussten, wie ihre kämpfenden Organisationen draussen Niederlagen einstecken mussten, aufgelöst wurden und/oder in anderen Projekten ihren Kampf weiter geführt haben. Wer nach 20, 30 Jahren Knast ungebrochen an seiner Identität festhält, sich nicht von seiner kämpfenden Geschichte los sagt, sein Bruchverhältnis zum System nach wie vor Grundlage seines politischen Selbstverständnisses ist, den entlässt weder der spanische, französische, italienische oder Schweizer Staat, um nur wenige Beispiele aufzuzählen. Von den USA ganz zu schweigen…. Der politische Kern, um den es dabei geht, wird immer unverhohlener klar und deutlich ins Feld der Argumente geführt: so z.B. bei Marco Camenisch: er sei nach wie vor Anarchist, eine deliktfördernde Ideologie, distanziere sich nicht von einem gewaltbefürwortendem sozialen Umfeld, sei, wenn auch nicht materiell beteiligt, doch ein im Hintergrund agierender „Anführer militanter antikapitalistischer Kämpfer „ auf den viele hören würden …. George Ibrahim Abdallah, wird auch nach 30 Jahren nicht aus französischer Haft entlassen, da die amerikanische Regierung ihn nicht auf das „Schlachtfeld im nahen Osten“ zurück lassen will…
Mumia Abu Jamal’s Geschichte kennen wir alle nur zu gut … auch er, wie viele, viele mehr, steht für den unbezwingbaren Charakter dieser politischen Gefangenen und das, was sie ausdrücken, nämlich dass Widerstand nicht nur notwendig sondern möglich ist, dass sie ungebrochen für ihre kämpfende Geschichte stehen, die auch Teil der unsrigen ist.

Die Rote Hilfe International führt seit dem 19. Juni 2010 eine Langzeitkampagne für die
Befreiung dieser politischen Gefangenen. Die Diskussion darüber steht ja auch auf Eurem Programm.

Doch zurück zu Eurem inhaltliche aufgeworfenen Punkten:

„Nicht zuletzt sollten wir uns mit Knast auseinandersetzen, sollten wir bei illegalen Aktionen, Demos festgenommen werden …“
Gerade deshalb ist eure Initiative dieser Diskussionstage so wichtig, denn wer beginnt, das kapitalistische System grundsätzlich in Frage zu stellen, sich Schritt für Schritt dazu vernetzt, organisiert und es mit einer revolutionären Perspektive verbindet, muss sich zwangsläufig mit damit auseinandersetzen.
Ganz im Sinne: „Umso besser die Kenntnis, umso grösser die Möglichkeiten, sich vor Angriffen zu schützen, resp. den Raum für einen widerständischen oder revolutionären Entwicklungsprozess und darin natürlich auch für militantes Handeln, zu erkämpfen und zu verteidigen“.
Zu wissen, wie der Apparat funktioniert, welche Taktiken, Techniken und so weiter er bereit ist einzusetzen, ist die eine Seite dieser „besseren Kenntnis“. Die andere aber ist, die Fragestellung  wie denn der effektivste Schutz aussehen sollte.
Wir haben in den letzten Jahren hier in Zürich, aber auch international auf der Ebene der RHI, uns mit den verschiedensten Angriffen, aber auch Haftsituationen auseinandersetzen müssen. Für uns vorerst einmal wichtigste Erkenntnis dabei ist:
Wir haben gelernt, nebst dem organisieren des sofortigen Schutzes des/ der Betroffenen gleichzeitig die konkrete Solidarität aufzubauen, zu vernetzen und positionsübergreifend zur Waffe zu machen.
Bei jedem Angriff sich auf die Gruppe, das Kollektiv und seine politische Verstärkung zu konzentrieren. Vom einzelnen Betroffenen den Link zum Kollektiv wie der Vernetzung mit weiteren Kreisen ziehen; vom konkreten, juristischen Artikel hin zum politischen Kern des Angriffes; von der Reaktion hin zum Zurückgewinnen der politischen Initiative.

Dazu gehört für uns auch, dass in der Frage der „Antwort“, der Solidarität, die Frage der politischen Differenzen, die Verschiedenheit politischer Projekte keine Rolle spielen sollte: revolutionäre Solidarität wird dann zur Waffe, wenn es uns gelingt, gemeinsam den konkreten, also polizeilich-justiziellen, wie politischen Angriff abzufedern, den Spiess langsam aber sicher wieder um zu drehen und aus Angegriffenen wieder zu Angreifern zu werden, im Politischen wie im Handelnden Sinne.
So haben wir versucht aus der Parole „ einer wird angegriffen – gemeint sind wir alle“ – „Fünf Finger sind ne Faust“ auch eine Anleitung zum Handeln zu machen.

Diese Erkenntnis spielt in unseren Erfahrungen auch in der Situation der Gefangenschaft eine wichtige Rolle.

Positionsübergreifende, revolutionäre Solidarität ist die beste Antwort auf den Versuch, den Einzelnen Finger vom Rest der Faust zu trennen, zu isolieren. Sie ist Ausdruck für die Faust, also dem Zusammenhang, der Kollektivität und Vernetzung. Sie kann, auch International, Brücken zwischen den verschiedenen Situationen des Widerstandes schlagen, u.a. auch Teil einer internationalen Bewegung werden.

Die Stärke einer Bewegung kann man auch daran messen, inwieweit sie in der Lage ist, die von den Angriffen Betroffenen konkret zu tragen und den Angriff im Sinne eines umgedrehten Spiesses zu entwickeln. Für die Gefangenen ihrerseits ist es extrem wichtig, ganz konkret am Umdrehen dieses Spiesses eine aktive Rolle spielen zu können. Sich Drinnen den Raum zu erkämpfen, in dem unsere Seite in diesem Umdrehen auch wirklich entwickelt werden kann. Als Gefangene, in einem weiteren Bereich der Klassenkonfrontationen, eben im Knast,  real zu den laufenden Kämpfen und Widerständen draussen den Beitrag entwickeln und umsetzen zu können.

 Darin spielen alle, Drinnen wie Draussen,  konkret Betroffenen eine wichtige Rolle: An ihnen wird beobachtbar, dass die Repression ihre Ziele nicht erreicht, sondern man aus diesen Erfahrungen gestärkt hervorgehen kann.

Die beste Solidarität ist und bleibt: den Kampf gemeinsam weiter zu entwickeln! Die Kontinuität revolutionärer, widerständischer Politik nicht stoppen zu lassen!

Solidarisieren wir uns mit den politischen Langzeitgefangenen
Solidarität zur Waffe machen –
Kapitalismus zerschlagen – Internationale Solidarität aufbauen – verteidigen
 

Andrea, Mitglied der Kommission für eine Rote Hilfe International und des Revolutionären Aufbau Schweiz, seit dem 13. Mai 2013 im Strafvollzug in Winterthur, Schweiz

13.11.2013