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Bis zu 20 Jahre in IsolationshaftInhumane Haftbedingungen in Deutschland?

07.10.2013
Der Gesundheitszustand eines Angeklagten vor dem LG Augsburg geriet vergangene Woche in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Der Mann sei von 15 Monaten der Isolation im Gefängnis zermürbt und verhandlungsunfähig. Leider handelt es sich dabei um keinen Einzelfall, und nicht immer ist rechtsstaatliche Hilfe schnell zu erreichen. Christine Graebsch und Sven Burkhardt resümieren die fragwürdige Praxis.

 

Der Fall des mutmaßlichen „Polizistenmörders von Augsburg“ gibt Anlass, über das Thema Isolationshaft zu sprechen. Ein Gutachter und die Verteidigung hatten die Haftbedingungen während der Untersuchungshaft in der JVA Straubing dafür verantwortlich gemacht, dass der Angeklagte schließlich nicht mehr verhandlungsfähig war. Er sei seit 15 Monaten von anderen Gefangenen völlig isoliert, selbst das Gespräch mit dem monatlich vorbeikommenden Friseur sei untersagt gewesen. Die tägliche Stunde Hofgang werde ihm nur allein gewährt, davor und danach müsse er sich entkleiden. Das gelte auch bei Besuchen, die seine Familie indes ohnehin eingestellt habe, da es zu unerträglich geworden sei, ihn gefesselt hinter der Trennscheibe sitzen zu sehen.
Dass Haftbedingungen in der Bundesrepublik eine Eingriffsintensität annehmen können, die zu schweren gesundheitlichen Folgen führt, wirft die Frage auf, ob solche Haftbedingungen über diesen Einzelfall hinaus vorkommen und ob sie nicht verboten sind oder wenigstens sein müssten.

Der Begriff Isolationshaft kommt im Gesetz nicht vor, sowohl die Landesgesetze als auch das teilweise noch fortgeltende Bundesrecht zum Strafvollzug enthalten aber Regelungen zu „besonderen Sicherungsmaßnahmen“, etwa in den §§ 88 ff. Strafvollzugsgesetz (StVollzG). Darunter findet sich die „Absonderung von anderen Gefangenen“, die – wenn sie „unausgesetzt“ stattfindet –  als „Einzelhaft“ bezeichnet wird. Ähnliche Regelungen gelten für die Untersuchungshaft.

Langandauernde Einzelhaft eine Form der Folter?
Eine zeitliche Obergrenze für die Einzelhaft ist nirgends vorgesehen, lediglich ein Zustimmungserfordernis durch die Aufsichtsbehörde nach 20 Tagen, einem oder drei Monaten Gesamtdauer im Jahr. Für die Untersuchungshaft in Nordrhein-Westfalen gilt nicht einmal dies. Die Anordnung ist stets auf Fälle begrenzt, in denen sie „aus Gründen, die in der Person liegen, unerlässlich ist“. Dies klingt nach seltener Ausnahme. Andererseits ist die Formulierung aber in einer für das Vollzugsrecht typischen Weise vage und den Vollzugsbehörden werden Ermessen und Beurteilungsspielraum zuerkannt.
Wohin das Fehlen einer zeitlichen Begrenzung der Absonderungsmöglichkeit führen kann, hat der Fall des fast 16 Jahre unter Isolationsbedingungen inhaftierten Günther Finneisen in der JVA Celle gezeigt. Fachleute sprachen von Folter. In der Folgezeit machte die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter in ihrem Jahresbericht 2012 die Einzelhaft zu einem Schwerpunktthema. Einzelhaft im Sinne einer physischen Absonderung von 22 bis 24 Stunden täglich, die mehr als drei Monate andauert, komme nach Informationen der Landesjustizministerien in den einzelnen Bundesländern in sehr unterschiedlichem Ausmaß vor, das heißt zwischen null und 1,41 Fällen pro 100 Gefangenen, wobei die Zeitdauer in einigen Fällen bis zu 20 Jahren betrage.
Die Nationale Stelle regt an, die Fälle einer monatlichen Überprüfung zu unterziehen und mit gutachterlicher Beratung von außerhalb nach Alternativen zu suchen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und das Anti-Folter-Komitee des Europarats halten Isolationshaft nicht generell für menschenrechtswidrig, weisen jedoch auf die schwerwiegenden Folgen für die physische, psychische und soziale Gesundheit sowie darauf hin, dass sich die Suizidgefahr unter solchen Haftbedingungen erhöhe. Daher seien stets Alternativen und die Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Auch die Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen für die Behandlung von Gefangenen fordern, Maßnahmen zur Abschaffung oder jedenfalls zur Einschränkung von Isolationshaft zu treffen (A/RES/45/111).

2/2: Isolation in U-Haft als Druckmittel für Geständnisse

Es wird vielfach, so etwa von Dr. Sharon Shalev, Kriminologin und Autorin des „Sourcebook on Solitary Confinement“ und der Nationalen Stelle, eine regelmäßige Höchstdauer von vier Wochen gefordert oder insgesamt verlangt, die kürzestmögliche Dauer zu wählen, die eher in Stunden statt in Tagen oder Wochen zu bemessen sei. Von Jahren ist erst gar nicht die Rede. Bei Untersuchungsgefangenen soll Einzelhaft nach Shalev nur in extremen Ausnahmefällen und für die Dauer von Tagen in Betracht kommen. Bei der U-Haft, also auch in dem eingangs erwähnten Straubinger Fall, ist neben der Unschuldsvermutung die Gefahr zu bedenken, dass solche Haftbedingungen dazu missbraucht werden können, Geständnisse herbeizuführen und somit sogar einem traditionellen Verständnis von Folter unterfielen.

In dem Straubinger Fall wurden die Haftbedingungen inzwischen gelockert. Dem Gefangenen ist jetzt die Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen und Angehörigenbesuch ohne Trennscheibe erlaubt. Fragt man sich allerdings, welcher Rechtsschutzmechanismus für diesen Teilerfolg verantwortlich war, so drängt sich die Annahme auf, dass es sich um die Norm des § 229 Strafprozessordnung (StPO) gehandelt haben wird, wonach die Hauptverhandlung (auch wegen Verhandlungsunfähigkeit) nur für eine bestimmte Zeit unterbrochen werden darf. Andernfalls muss der gesamte Prozess wieder von vorne aufgerollt werden – ein Ergebnis, zu dessen Vermeidung die Gerichte gemeinhin zu einigen Zugeständnissen bereit sind.
Dies deutet an, welcher Art von Regelung es bedürfte, wollte man Ausmaß und Dauer der Isolationshaft tatsächlich zurückdrängen. Statt nur unbestimmter Rechtsbegriffe wie „unerlässlich“ oder vager Empfehlungen bräuchte es unter anderem klare zeitliche Grenzen. Die jetzigen Regelungen betreffend Monate oder, im Falle Brandenburgs, 20 Tage innerhalb eines Jahres legen dabei eine völlig unangemessene Zeitdimension nahe, wobei in Brandenburg immerhin bereits nach zwei Tagen eine Information an die Aufsichtsbehörde erforderlich ist.
Zustimmungserfordernis keine ernsthafte Hürde

Zudem ist das anschließende Verfahren zur Einholung der Zustimmung der Aufsichtsbehörde keine ernsthafte Hürde, die den Vollzug veranlassen würde, sich rechtzeitig um Alternativen zu bemühen. Einen wesentlich effektiveren Rechtsschutz könnten etwa, wie vom Anti-Folter-Komitee des Europarats in seinem Bericht aus 2011 vorgeschlagen, ausführliche Dokumentations- und Begründungszwänge sowie Betreuungspflichten während der Isolation gewährleisten. Auch an die Beiordnung eines Verteidigers auf Staatskosten ist zu denken.
Höchst problematisch sind dagegen die im Strafvollzugsrecht oft vagen Ermessensvorschriften, die einer wirksamen Durchsetzung von Gefangenenrechten insgesamt im Wege stehen. Leider hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Entscheidung betreffend den deutschen Strafvollzug lediglich die Nacktunterbringung in einer Sicherheitszelle gerügt, nicht aber die gerade im dortigen Fall zu Tage tretenden erheblichen Rechtsschutzdefizite. Diese treffen jedoch dauerhaft isolierte Gefangene umso intensiver.
Erforderlich wären zudem Kontrollgremien zur Folterprävention, die ihrer Aufgabe entsprechend ausgestattet sind und zivilgesellschaftliches Engagement, Fälle wie den von Finneisen publik zu machen und so dem jahrzehntelangen Verschwinden von Gefangenen unter Isolationsbedingungen entgegenzuwirken.

Da es nach den Feststellungen der Nationalen Stelle aber auch Bundesländer gibt, die ganz ohne Isolationshaft auszukommen scheinen, obwohl es sicherlich auch dort zum Teil problematische Gefangene gibt, wäre der Versuch naheliegend, die Isolationshaft gänzlich abzuschaffen.

Die Autorin Prof. Dr. Christine M. Graebsch ist Hochschullehrerin an der FH Dortmund und Leiterin des dortigen Strafvollzugsarchivs, der Autor Dr. Sven-U. Burkhardt ist Rechtsanwalt und Vertretungsprofessor an der FH Dortmund.