Brief von Gülaferit Ünsal vom 9. Januar 2012.

Brief von Gülaferit Ünsal vom 9. Januar 2012.

Hallo Clara und MitarbeiterInnen des Netzwerks Freiheit für alle politischen Gefangenen,
Ich bedanke mich für euren Brief und eure Solidarität und grüße euch. Ich bin seit dem 21. Oktober in diesem Gefängnis in U-Haft. Ich versuche, die Haftbedingungen in Erfahrung zu bringen. In dieser Zeit habe ich einige Probleme erlebt.

Ich weiß nicht, ob diese Probleme aus „Unseriösität“, „Willkür“, „Bürokratie“ oder aus „politischen“ Gründen hervorgehen. Jeder muss seine Aufgaben erledigen und mir meine gesetzlichen Rechte, die mir vom Gericht zugestanden wurden, geben. Ich habe lange um meine gesetzlichen Rechte gekämpft.

Ich habe am 70. Tag meiner Gefangenschaft, also am 29. Dezember, meine Kleidung erhalten. Ich habe bei einem Anwaltsbesuch erfahren, dass zweimal versucht worden sei, für mich Kleidung abzugeben, dies aber jedes mal abgelehnt worden sei. Als ich eingeliefert wurde, wurde meine Kleidung bei der Zählung ausgehändigt. Zuletzt wurde am 8. Dezember von mir verlangt, eine Kleidungsliste zu schreiben. Ich habe einen Antrag eingereicht, welche Kleidungsstücke ich nach draußen schicken möchte. Am 20. Dezember habe ich meine (Sommer)-Bekleidung übergeben. Ich habe erneut mit einem Sozialarbeiter darüber gesprochen, dass kein Antrag nicht an die „Zentrale“ geschickt wurde und meine Kleidung nicht ausgehändigt wurde, weil sie keine Kenntnis davon hatten.

Ich benötigte Winterbekleidung, aber da ich sie nun erhalten habe, habe ich keinen Kleidungsbedarf mehr. Danke.
Mit dem Sozialarbeiter habe ich zweimal gesprochen, als ich verhaftet wurde. Ich spreche kein deutsch. Es scheint hier niemanden zu geben, der englisch spricht. Und verstehe nur englisch. Trotz meiner Sprachprobleme habe ich bei Gesprächen und schriftlichen Anträgen meine Forderungen etliche male mitgeteilt.

Sie hatten mir gesagt, dass ich Zeitungen direkt beziehen könne. Und ich habe meinem Anwalt mitgeteilt, dass ich Hürriyet und Politika abonnieren möchte. Am 11. November erhielt ich die Rechnung für Hürriyet und Politika. Dann wurde mir gesagt, dass ich ohne richterlichen Beschluss keine Zeitungen beziehen könne. Über das Gefängnis habe ich dem Gericht einen Antrag übermittelt. Das Gericht erteilte die Erlaubnis. Anschließend verlor ich jeweils eine Woche zur Bezahlung der Rechnungen. Die Rechnungen wurden nicht bezahlt. Die Erlaubnis für die Politika kam erst viel später. Schließlich erhielt ich die nach 53 Tagen die Hürriyet am 12. Dezember und nach 70 Tagen die Politika am 29. Dezember. Obwohl die Zeitungen nun ins Gefängnis kamen, „verschwanden“ sie nun plötzlich. Trotz mehrerer Gespräche und Anträge hat sich das Problem nicht gelöst. Entweder heißt es, dass die Zeitungen nicht angekommen seien, oder sie werden mir erst zwei Tage verspätet ausgehändigt oder aber sie landen in einem anderen Abschnitt. Ich erhielt sie nicht zeitig. Letzte Woche sprach ich mit dem Helfer des Sozialarbeiters. Ich teilte mit, dass ich für die Zeitungen Geld bezahle, dass die Zeitungen das Gefängnis erreichen und das sogar vormittags, und dass ich mich an das Karlsruher Gericht wenden werde, sollte das Problem nicht gelöst werden. Dieses habe ich auch meinem Anwalt mitgeteilt. Seit einigen Tagen scheint es geregelt zu sein. Mal schauen, wie es weiter geht.

Nach meinen ersten zwei Gesprächen konnte ich die Sozialarbeiter einen Monat lang nicht sehen. Trotz mehrerer Anträge scheiterte es, weil sie im „Urlaub“ seien.
Als ich aus Griechenland kam, hatte ich Bücher, darunter ein Englisch-Wörterbuch. Sowohl um diese zu erhalten, als auch um ein Deutsch-Sprachbuch und einen CD-Spieler zu erhalten habe ich einen türkischsprachigen Antrag an das Karlsruher Gericht gestellt. Der Gerichtsbeschluss vom 1. Dezember erreichte mich am 7. Dezember. Ich habe meinem Anwalt mitgeteilt, mir die Bücher und einen CD-Spieler zukommen zu lassen.
Am 13. Dezember habe ich Zahlungen für die Bücher getätigt und einen Antrag für den CD-Spieler gestellt. Mein Anwalt teilte mir mit, dass das Gefängnis das Deutsch-Sprachbuch bestellen würde. Am 3. Januar fragte ich den Sozialarbeiter, ob die Bestellung aufgegeben wurde. Er erklärte, dass „mein Anwalt die Bestellung machen“ müsse und sie meinen Anwalt informiert hätten. Mein Anwalt teilte mit telefonisch mit, dass die Bestallung gemacht worden sei. Ich habe sie seit einer Woche noch nicht erhalten. Und seit einem Monat warte ich darauf, dass mir ein CD-Spieler“ von draußen geschickt wird. Ich weiß nicht, ob es verschickt wurde oder ob es auch hierbei ein Problem gibt. Ich habe vom Helfer des Sozialarbeiters verlangt, mit dem als „Zentrale“ bezeichneten Abschnitt zu sprechen, damit es nicht wie schon bei der Kleidung dazu kommt, dass es mit der Begründung „wir haben keine Ahnung“ die Sachen zurückgeschickt werden.

Mein Anwalt hat vom Gericht die Erlaubnis für 10 Bücher erhalten. Als er am 21. Dezember zum Besuch kam, teilte er mit, welche Bücher von der Staatsanwaltschaft erlaubt wurden. Dies teilte er dem Sozialarbeiter mit und legte dem Gefängnis eine Bücherliste vor. Seit 20 Tagen warte ich darauf, die Bücher zu erhalten. Wie ihr wisst, müssen diese vom Verlag aus geschickt werden. Und wegen den Büchern habe ich mit dem Helfer des Sozialarbeiters gesprochen, damit die „Zentrale“ davon in Kenntnis gesetzt wird.
Mein Anwalt hatte an das Gericht gewendet, damit ich mich in meiner Zelle für eine Stunde mit einem Mitgefangenen treffen kann. Am 16.12.2012 erhielt ich eine positive Antwort vom Gericht.

Aber die „Sozialarbeiter“ (zweimal, zwei unterschiedliche Personen) nannten diverse Vorwände dafür, warum es nicht ginge. Ich erklärte, dass sie den Gerichtsbeschluss ernst nehmen müssten, dass ich eine 24 Stunden am Tag isolierte und dazu noch fremde Gefangene bin und verlangte, die Isolationsbedingungen nicht noch weiter zu verschärfen. Daraufhin wandte sich mein Anwalt erneut ans Gericht. Letzte Woche hatte ich zweimal Umschluss. Das Gericht erlaubte mir, zweimal wöchentlich jeweils zwei Stunden in meiner Zelle oder auf dem Korridor andere Gefangene zu sehen. Es gab drei Personen. Weil zwei davon etwas englisch sprachen, versuchte ich zu „reden“. (4. Januar 2012)
80 Tage lang habe ich versucht, mich um Kleidung, Zeitung, Bücher, CD-Spieler und Umschluss zu kümmern. Könnte ich kein englisch sprechen, könnte ich mich nicht um meine Rechte kümmern. All das sind meine gesetzlichen Rechte, ich setze mich für sie ein. Ich lasse nicht zu, dass irgendwer mich meiner Rechte beraubt.

Es hieß, dass es in der Gefängnis-Bücherei türkischsprachige Bücher gebe. Ich habe etliche Anträge gestellt und mit dem Sozialarbeiter gesprochen. Zuletzt hieß es, dass der Zuständige für die Bücherei im „Urlaub“ sei. Es hieß, er würde „ nach Silvester“ wieder zurück sein!.. Mein eigener Sozialarbeiter war aus dem Urlaub zurück, mit ihm habe ich gesprochen. Nach 2,6 Monaten erhielt ich Bücher aus der Bücherei und erfuhr, dass das Gesagte gar nicht stimmte. Außer 3-5 Büchern gab es keine türkischsprachigen Bücher.

Momentan warte ich von draußen aufgegeben
– ein vom Verlag bestelltes Deutsch-Lehrbuch und dazugehörige CDs
–  genehmigte 10 Bücherliste
–  ein genehmigter CD-Spieler
Ich habe zwar einen Fernseher, aber es gibt nur deutschsprachige Kanäle. Von meinem Anwalt habe ich gebeten, sich über die Bedingungen für türkische Kanäle zu informieren. Das Gericht gab dazu eine negative Antwort. Aber nach so vielen Problemen und der Bürokratie denke ich, dass diese Antwort nicht glaubwürdig ist. Ich könnte 5-6 türkische Kanäle als Kabelsendung im Paket abonnieren Könntet ihr euch diesbezüglich informieren?

Ich kann auch DVDs und Filme erhalten. Darüber haben wir mit meinem Anwalt geredet. Z.B. sehe ich in Zeitungen Anzeigen von türkischen Verlagen. Wir könnten vom Gericht eine Erlaubnis für Filme und DVDs einholen. Könnt ihr für mich die Adressen des Türkkitabevi (gemeint ist ein türkischer Verlag unter dem Namen „Türkkitabevi“, Anm. des Übersetzers) oder anderen Verlagen, die türkische Bücher, CDs, DVDs (Filme) verlegen, besorgen? Ich denke, dass es vom EVRENSEL Verlag auch eine Filiale in der BRD geben könnte. Ich hatte vor einem Monat danach gefragt, aber keine Antwort erhalten. Wenn ihr mir die Adressen von Verlagen (türkische Bücher, CDs, DVDs) zukommen lassen könntet, so könnte ich per Brief Bücherkataloge/Filmkataloge bestellen. Ich denke, dass es eine praktische Lösung für die Auswahl und Bestellung von Büchern geben müsste.

Es könnte natürlich auch sein, dass das Bücher und -CD-Spieler-Problem gelöst ist, bis euch mein Brief erreicht.
Während ich in einem fremden Land ohne Sprachkenntnisse und unter 24 Stunden-Isolation denke, ob „jemand meine Stimme hört“, erreichen mich nun langsam Briefe von befreundeten Gefangenen aus der Türkei. Die Solidarität unter den Gefangenen hat es immer gegeben. Natürlich möchte ich meiner Stimme draußen Gehör verleihen. Jede Zeile, und sei es sogar ein kleines Stück Holz, dass von draußen kommt, ist wertvoll. Und weil ihr in diesem Punkt solidarisch seid, bedanke ich mich  bei euch.
Mit diesem langen Brief habe ich meine Zeit hier nun geschildert.

Ich habe zuvor Briefe von der „IVI“ Interessenvertretung Inhaftierter – Westerburg und von der Roten Hilfe erhalten. Weil ich kein deutsch spreche, konnte ich nicht antworten.

Fürs erste sage ich auf Wiedersehen,
In Liebe und mit Grüßen
Gülaferit Ünsal

Anm.: Der Brief erreichte uns am 1. Februar 2012.