Brief von Werner Braeuner vom 09.06.2011

Wir dokumentieren einen weiteren Brief von Werner Braeuner an die Soligruppe.Der Brief kam am 11.06.2011 an, dauerte also nur 2 Tage.

330.Tag Arbeitsverweigerung
33.Tag Hungerstreik

Sehnde, 9.6.11

Grüße Dich, …

hab Dank für Post am 6.6., die anderntags hier war, ich hoffe, Dir geht’s gut.
Ja, Briefe anderer, unbekannter Menschen abzutippen, ist ein harter Job.
Was mich betrifft, kann ich meine Schrift natürlich gut lesen… 🙂

Hoffe, Du auch.

Ja, ein bißchen Durchblick hab ich über die Szene/Strömungen draußen; vor Festnahme im Febr.2001 war ich 3 Jahre in der Szene unterwegs, ausgehend von dem schön bunten Haufen, der sich unter dem Sammelbegriff >Erwerbslosenbewegung< tummelte. Außerdem habe ich über die Knastjahre hinweg die Debatten und Diskurse draußen durch Presse und informierte Kontakte verfolgt sowie unterschiedlichste linke Publikationen von draußen reingeschickt bekommen, darunter auch viel sehr Hochwertiges an weiterführender oder vertiefender Literatur. Sein ist dauerndes Werden in einem Kollektiv revolutionärer Menschen. Wer denkt, er müsse sich auf eine Zeitreise in die Vergangenheit einstellen oder einen Besuch auf ’ner einsamen Insel vornehmen, wenn er mich kontaktiert, könnte sich tatsächlich wundern … 🙂 Als natural born rebel – im Alter von 4 entschloß ich mich erstmals bewusst, Staat, Sozialdemokratie und Kapital gnadenlos zu bekämpfen – war der Kopp während der Knastzeit ohnehin meistens draußen, Knast ist Wasserglas, Draußen ist Ozean. Stürme in Ozeanen sind meistens interessanter als die in Wassergläsern…

Ich bin 56, meine Orthographie stammt aus den 60igern des vorigen Jahrhunderts, ärgere Dich bitte nicht; wundere dich bloß, bitte. Etwaige Rechtschreibfehler Deinerseits werde ich gelassen hinnehmen. Wahrscheinlich wirst Du’ne Menge zu tun und um die Ohren haben, drum bin ich es, der sich bei Dir zu entschuldigen hätte, nicht umgekehrt. Herzlichen Dank also für deine großartige Unterstützung, Alex!

„Revolutionär-erwerbslos-arbeitende-autonom-anarcho-kommunistische-syndikalistische-antifa-….“ ein großartiges Adjektiv! Ich ziehe meinen Hut vor dieser treffenden und genialen Wortschöpfung, bis ans Ende Deines Briefs standen meine Mundwinkel in unmittelbarer Nähe der Ohren! Respekt! Vor der Wortschöpfung und vor dem Kollektiv, das sich unter einem solchen Adjektiv subsumiert finden kann. Ich finde mich bei der Soligruppe gut aufgehoben. Einen Gruß, bitte, an alle und jedeN einzelneN!

Dein geäußertes Verständnis zu Eurer Soliarbeit „für mich“ ist m.E. Das einzig richtige und akzeptable, ich fühle mich wohl und frei dabei. „Geben und Nehmen“ nicht bürgerlich als Tausch, sondern kollektiv als Waffenbruderschaft im revolutionären Kampf. Zwangsveranstaltungen sind Scheiße! „Freiheit“ ist im bürgerlichen Munde nur ein Wort… . Denn laßt uns also kämpfen, Schwestern und Brüder, der Vorteil des Angriffs ist auf unserer Seite, versetzen wir den Feind in Angst, geben wir ihm, was er so dringend braucht, um seine zwangsdressierte Psyche am Funktionieren zu halten. Dann wird er sich ergeben. Größer als die Angst vor uns, ist seine Angst, ohne Angst dazustehen, ohne Feind. Lieber stirbt er, lieber gibt er auf. Der >Todestrieb< (Jaques Mesrine) ist die entscheidende Schwachstelle der bürgerlichen Psyche, jener Trieb macht den übermächtig scheinenden Feind schwach und besiegbar. Als Jaques Ende Oktober/Anfang November 79 an der Porte de Clignantcourt erschossen wurde, hat er den endgültigen Sieg davongetragen: Die Angst seines Feindes stand nackt und bloß vor aller Augen! Als das Maschinengewehrfeuer endete, hat er endgültig verloren. Er hat bereits aufgegeben, da wartet eine reife Frucht, geerntet zu werden. Ohne Feind kann der Bürger nicht. Wir haben VIEL Zeit. Der Kampf kann mit großer Gelassenheit geführt werden. Ich bin Revolutionär, keine Memme. Sorgt euch nicht um mich. Die einzige Angst, von der zu reden ist, ist die unseres Feindes. Erfreuen wir uns an ihr, sie ist Stoff für spätere Geschichten an Lagerfeuern. Was ist der revolutionäre Kampf? Ein Vernichtungsfeldzug? Nein, sondern eine Therapiemaßnahme, die aus Untertanen Freie, aus Bürgern und sonstigen dressierten Lohnarbeitsäffchen würdevolle Geschöpfe macht; kurz gesagt, macht der revolutionäre Kampf aus Staatlingen, Lohnlingen und Profitlingen Menschen

Ja, es kommt Soli-Post an. Ob vollständig, kann nicht gewußt werden, schließlich haben da die Staatlinge ihre Flossen drauf. Soll nicht unsere Sorge sein, psychologische Kriegführung funktioniert nur bei Paranoikern.

Brief 3 an die Soligruppe ist lang geworden, hoffentlich aber nicht langweilig. Ich weiß, Du hast leise geflucht… . Es tut mir leid.

Ein Hoch auf die revolutionären Fraktionen des weltweiten Proletariats und auf jene, die sich diesen Fraktionen in den anstehenden Kämpfen noch anschließen werden!

Leider hab ich nur einen französischen Text des Alten Testaments zur Hand. Aus Juges 7,5: Ceux qui laperont l´eau avec la langue comme le font les chiens, tu les sépareras de ceux qui s´agenouilleront pour boire.*

*abgesehen vom monotheistisch-religiösen Gehalt des Texts ein wunderschönes Bild! (Ich bin „Heide“.)

Vivent les loups!

Werner [Pfeil und Bogen] Ex nihilio plentitudines

P.S.:

P.S.1: Unter der URL www.steinbergrecherche.com/20101001WernerBraeunerIntervention.pdf findet sich der Text >Intervention und Kommentar von Werner Braeuner zu den Gründen für die Tötung eines Arbeitsamtsdirektors im Februar 2001 sowie zu den Hintergründen seines strafrechtlichen Verfahrens vor dem Landgericht Verden/Aller im August 2001<. Jener Text behandelt ausführlicher, und ergänzt, das im Interview mit www.radioflora.de am 7.6.2011 Berichtete.

P.S.2: Aus Medienberichten nach der niedersächsischen Landtagswahl im Zusammenhang des Revirements von Kultus- und Justizministerium, deren Minister zum jeweils anderen Ressort wechselten, läßt sich als Scharfmacher der Repression im Strafvollzug des Landes der Staatssekretär Juergen Oehlschläger (so oder ähnlich geschrieben) vermuten. Der dann neue Justizminister Bernd Busemann (CDU) erwog damals, sich von Oehlschläger zu trennen, hat ihn allerding beibehalten.

Interessant wäre, über die politischen, wirtschaftlichen, verbändischen oder sonstigen organisatorischen Verbindungen und Zugehörigkeiten sowie über den persönlichen ökonomischen Hintergrund jenes Manns mehr zu erfahren, vor allem in Hinblick auf Beratungs- oder Bauunternehmen aus dem Geschäftsbereich Private Public Partnership bzw. Errichtung und/ oder Betrieb (teil)privatisierter Haftanstalten. Das Land Niedersachsen steht in der Planung eines solchen Projekts in oder um Bremervörde.

P.S.1, 9.6., nach heutigem Posterhalt um 17 Uhr: Hab Dank für Deinem Brief vom 8.6.; der TB ist ein Flugzeugträger der Nimitz-Klasse wert, ja, er ist voll i.O., finde ich auch. Schön, was Du da alles berichtest, der Angriff läuft und beginnt, sich zu entfalten. Ebenfalls um 17 Uhr, nach Fertigstellung meines Briefes hier, kam die Postkarte 2 (Mumia); die Nr.1 ist noch nicht angekommen. Ja, Mumia ist ein Bruder! Ja, schön, daß du ihm schreibst, hab ich auch bereits einmal. Bitte grüße ihn und sende ihm die besten Wünsche von mir! Für das Leben und die Freiheit von Mumia-Abu-Jamal! Und gegen die (rassistische) Vorverurteilung von Christy Schwundeck durch StA, Verbandsvertreter und Medien/ Gerechtigkeit für Christy! Wer auf sein Recht verzichtet, verzichtet auf sein Menschsein, und wer auf das Recht nur eines einzigen Menschen verzichtet, verzichtet auf das der Menschheit aufs Menschsein.

[Brief ENDE]