„Nach zuverlässigen, aber nicht beweisbaren Informationen gehört er dem Hafthilfeausschuss der an- archistischen Roten Hilfe Westber- lin als Mitarbeiter an. Als Vertreter dieser Gruppe besuchte Herr Metzke mehrfach inhaftierte anarchistische Gewaltverbrecher in der Frauenhaft- anstalt Berlin-Moabit, so am 30.4. und 8.10.1971 Irene Goergens und am 11.6., 1.10.1971 und 17.1. 1972 Ingrid Schubert“.
Diese eigentlich streng vertrauliche Aussage aus einem Spitzelbericht des Westberliner Verfassungsschutzes wurde öffentlich und fand Eingang in eine Doku mentation zum Berufsverbot des Lehrers J.M. Metzke. Die wurde 1977 von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Westberlin herausgegeben, die im Gegensatz zum Bundesvorstand der GEW die Berufsverbotspraxis strikt ablehnte und sich deswegen für mehrere Jahre selbstständig machte und aus der bun desweiten GEW austrat. Die Spaltung ist überwunden, und zum 50. Jahrestag des sogenannten Ra dikalenerlasses hat die GEWBerlin eine informative Broschüre erstellt, in dem auch das zitierte Dokument von 1977 Eingang gefunden hat. Damit wird auch deutlich, dass die Archivare der Repressionsbehörden die Namen der Menschen, die…
… in unterschiedlichen Spektren der linken Bewegung aktiv waren, aufbewahrt haben, während große Teile der gesell schaftlichen Linken den Namen von In grid Schubert nie gehört haben.
Ein heute kaum bekanntes Mitglied der RAF
Dabei war sie in den 1970er Jahren sehr bekannt. Sie gehörte zu den ers ten Mitgliedern der Rote Armee Fraktion (RAF), die verhaftet wurden – am 8. Oktober 1970 gemeinsam mit Horst Mahler, Brigitte Asdonk und Irene Goergens. Schubert, die wegen Beteiligung an der
Befreiung von Andreas Baader zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, verließ das Gefängnis nicht mehr lebend. Am 12. November 1977 wurde sie in ihrer Zelle in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim in München tot aufgefun den, angeblich erhängt. Doch wie bei den wenige Wochen zuvor am 18. Oktober 1977 in StuttgartStammheim gestorbe nen RAFGründungsmitgliedern Andreas Baader, Jan Carl Raspe und Gudrun Ensslin blieben auch beim Tod von Schubert viele Frage offen. Doch anders als die drei in Stammheim gestorbenen RAFLeute ist Ingrid Schubert heute auch in linken Kreisen kaum bekannt.
Daher ist es um so erfreulicher, dass die Edition Cimarron jetzt die Briefe veröffentlicht hat, die ihre Schwester Gerti Wilford zusammengestellt hat. Zunächst waren sie nur für einen kleineren Kreis aus Freundinnen und Verwandten gedacht. Doch dann zeigte sich, dass vor allem die jüngeren Leserinnen, die eigentlich überhaupt keinen Bezug mehr zu den 1970er Jahren hatten, besonders interessiert an der Lektüre waren. Sie reg ten eine größere Ausgabe an und wollten auch eine Übersetzung ins Englische in die Wege leiten.
In der Einleitung wird auch ange sprochen, wie die politische Entwicklung von Ingrid Schubert auf ihre nächste Verwandtschaft wirkte. „Für die Familie war die Entscheidung unserer Schwes ter, sich dieser Bewegung anzuschlie ßen, ein schwerer Schlag, besonders für unsere Eltern und Familienmitglieder … Sie wusste das und sprach es auch an als unausbleibliche Folge ihrer Entschei dung, was weder den Schmerz noch die ständige Angst minderte, die alle in der Familie betraf.“ Mit der Veröffentlichung der Briefe soll nach fast 50 Jahren auch ein Zeichen gegen diese Angst gesetzt werden.
Die Dokumentation wird ergänzt durch Fotos, persönliche Erinnerungen und Berichte von Freundinnen und Genossinnen wie Brigitte Asdonk, Brigitte Mohnhaupt und Irmgard Möller. So gelingt es dem Buch, den Leser*innen den Menschen Ingrid Schubert näherzu bringen. In einer kurzen Einleitung wird berichtet, dass Ingrid Schubert ihr medizinisches Examen Anfang 1970 mit Gut absolvierte. Bei einem Osterurlaub habe sie der Schwester angedeutet, sie könne nicht gleich wie geplant in einer Praxis arbeiten. Sie habe erst noch Dinge zu erledigen, die sie machen musste. We nige Wochen später wurde sie in Berlin verhaftet.
„Nichts ging vorwärts“
Gleich im Klappentext findet sich ein Zitat von Ingrid Schubert, das einen Ein druck von der revolutionären Ungeduld vermittelt, die damals große Teile vor al lem der akademischen Linken, die nicht den Marsch durch die Institutionen antreten wollten, erfasst hatte.
„Nichts ging vorwärts, nichts änderte sich, die Systeme der Unterdrückung wurden immer deutlicher, ausgehend von der Gesellschaft, den Staat, die Herr schaftssysteme, die Mächte. Es erdrückte einen, und man selbst sass immer noch und rieb sich seinen dicken Bauch und applaudierte kräftig denen, die es schon lange begriffen hatten und auf internationaler Ebene den Kampf gegen die Unterdrückung aller Minderheiten aufgenom men hatten. Und irgendwie begriff ich, dass ich konsequent zu sein hatte.“
Auf dieses Thema, die eigene Konse quenz und die Weigerung, sich auf die eigentlich vorgezeichnete Biographie ei ner linken Ärztin einzulassen, wird Ingrid Schubert immer wieder in den Briefen zurückkommen. So heißt es am 3. No vember also wenige Wochen nach ihrer Verhaftung: „Du hast mich gefragt, ob ich hassen kann, und ich kann Dir sagen,
ich hasse das Bürgertum … Dass sei ne Moral, sein Streben nach Besitz und krampfhaften Festhalten daran, ständige Vergrößerung und Sicherung seiner Kapi talanlagen, die Gier nach Ruhe und Ord nung, das Bespitzeln und Verleugnen und Kaputtmachen … Dass das scheinbare Liberale in unserer Gesellschaft – natürlich kann man auswandern – ein wichtiges Detail der Unterdrückungsmaschine ist, auch das begriff ich erst, als ich mein Verhältnis zum Proletariat begriff.“
Mutter hat sich so ein Ding geleistet
Natürlich geriet Ingrid Schubert mit die ser Positionierung immer wieder in Kon flikt mit ihrer Schwester und vor allem mit ihrer Mutter. Die sorgte sich um das Wohlergeben ihrer Tochter und rief dann auch schon mal bei der Gefängnisleitung an, weil sie sich dort Verbesserungen ihrer Haftbedingungen versprach. Für In grid Schubert grenzten diese Bemühun gen allerdings an Verrat an ihr und ihren Genoss*innen. Sie wies dann die Mutter und auch andere Verwandte barsch zu recht und drohte, den Kontakt ganz ein zustellen.
So schreibt sie am 16. Mai 1976, wenige Tage nach dem Tod von Ulrike Meinhof: „Die liebe Mutter hat sich auch wieder son Ding geleistet, wo ich nur noch sagen kann, mir reichts. Ruft bei der Knastpsychologin an und erkundigt sich, wie ich die Sache mit Ulrike verkraftet habe“. Am 14. Juni 1976 schreibt sie dann: Na Muttern bleibt das Problem, weil sie Teil des Problems ist.“ Doch an anderer Stelle zeigt Schubert auch Verständnis, dass ihre Angehörigen ihre Radikalisierung nicht gleich nachvollziehen können. Vieles dreht sich in der Kommu nikation um die Organisierung des Alltags im Gefängnis. So schrieb sie, welche Kosmetika sie brauche, fragte nach einem bestimmten Kleidungsstück und oft auch nach Büchern, manchmal war sie da auch sehr fordernd und rügte die Schwester, wenn sie ihr die falsche Marmeladensorte schickt. Im letzten dokumentierten Brief von 4. November 1977 schreibt Schubert knapp drei Wochen nach der Todesnacht von Stammheim: „Die, die ich am meisten liebe, sind tot – sie hatten es schwer mit mir und ich mache es mir schwer. Mal sehen, vielleicht kann ich das einmal auf schreiben, wenn ich wieder reden kann“. Eine Woche später war sie tot.
„Heute … ist es immer noch unklar, wie es damals dazu kam, dass sie so ge waltsam starb. … eines nur ist sicher: wäre sie nicht isoliert, total isoliert gewesen, … dann wäre sie wahrscheinlich noch da“, schreibt Gerti Wilford in der Einführung. Die Veröffentlichung der Briefe kann dazu beitragen, die Isolation von Ingrid Schubert, die auch nach ihrem Tod nicht beendet war, zu durchbrechen.
Es ist ein Teil der Gegengeschichte und kann dazu beitragen, dass ihr Name nicht nur in den Akten von Polizei und Justiz aufbewahrt wird. Es wäre erfreu lich, wenn es weitere solcher Buchpro jekte gibt, die auch ein Stück Rückerobe rung linker Geschichte bedeuten. Peter Nowak
Erstveröffentlichungsort:
https://www.rote-hilfe.de/rhz-neue-ausgabe/1199-rote-hilfe-zeitung-3-2022