Am dritten Verhandlungstag im §129-Prozeß beim Oberverwaltungsgericht Düsseldorf kam es am 21.5. zur Befragung des Leiters der Sonderkommission „Narziß“ des LKA, die seit 2011 gegen vermeintliche Mitglieder und Sympathisanten der DHKP-C ermittelt.
Grundlage war ein 120- Bericht dieser Sonderkommission, dessen Ergebnisse der Polizist als Zeuge vorzutragen hatte. Die „Beweise“ für Özkan Güzels angebliche Mitgliedschaft in einer terroristischen ausländischen Vereinigung sowie deren Unterstützung waren diese:
— Bei einer Durchsuchung in Amsterdam habe man 2004 einen „Lebenslauf“ in Form einer Datei gefunden, den man Özkan zuordne. Angeblich gebe es in dieser Datei nicht näher benannte „Hinweise“ auf seine Mitgliedschaft.
– Bei einer Durchsuchung in Duisburg 2008 wurde Özkan angetroffen und es wurden bei ihm Unterlagen beschlagnahmt. Dabei handelte es sich um Schriftverkehr des von ihm mit gegründeten Vereins „Anatolisches Bildungs– und Kulturzentrum“ sowie Einzahlungsbelege jeweils zwischen 50 – 100 € bestimmt zur Unterstützung politischer Gefangener in der Türkei. Weiter wurden diverse Flugblätter, Anstecker und sonstiges „Propagandamaterial“ gefunden.
– Özkan habe die Wochenzeitschrift Yürurus (Marsch) verkauft (http://www.yuruyus.com/www/turkish/)
– Er habe im Jahre 2013 Karten für das Konzert der Gruppe „Grup Yorum“ in Oberhausen (http://de.wikipedia.org/wiki/Grup_Yorum) verkauft. Alleine in Duisburg seien 968 Karten verkauft worden. Er habe die Unterbringung der Künstler organisiert. Die Kosten des Konzerts sollen 83500 € betragen haben.
– Er habe Briefe an politische Gefangene in Bochum geschrieben
– Er besitze einen Schlüssel zu den Räumen des Vereins
– Er habe beim Umzug des Vereins geholfen und Werbung für die neuen Räumlichkeiten gemacht
– Er habe für den Verein eine „Sprechstunde“ angeboten
– Er habe Kontakt zu anderen Menschen, denen ebenfalls eine Mitgliedschaft in der DHKP-Cvorgeworfen würde und die im letzten Sommer zusammen mit ihm verhaftet wurden.
– Er habe an angemeldeten Protestveranstaltungen (u.a. an einer Gedenkveranstaltung für gestorbene Revolutionäre oder an solchen vor dem türkischen Konsulat) teilgenommen und dabei Plakate hochgehalten
– Bei ihm sei Schulungsmaterial zum Thema gefunden worden, wie ein Revolutionär sich zu verhalten habe. Ihm sei eine revolutionäre Grundhaltung zu unterstellen und er lehne den bewaffneten Kampf nicht grundsätzlich ab.
– Er habe am Frauentag der Anatolischen Föderation“ teilgenommen
– Er habe Plakate zu einer Veranstaltung gegen die AKP-Gewalt aufgehängt
– Er habe beim Interkulturellen Maifest in Essen mitgewirkt bei der Organisierung des Essensverkaufs, des Bücherverkaufs etc.
– Er habe als Beobachter am §129-Prozeß gegen Faruk Ereren teilgenommen
Der Staatsschützer führte dann aus, daß ab Mitte 2012 bis zur Verhaftung von Özkan 1 Jahr lang dieser nachrichtendienstlich überwacht wurde. Zahllose Telefonate wurden aufgezeichnet, die Handy-Standortdaten durch sogenannte stille SMS abgefragt und das Internetverhalten analysiert. Dazu kommen Fotoaufnahmen und Observationen durch Beamte, Videokameras, die in Sichtweite der Hauseingänge angebracht wurden, sowie an PKWangebrachte Peilsender. Aus den gesammelten Daten wurden Profile und Beziehungsmuster erstellt.
Angesichts eines solch großen Aufwandes sind die Ergebnisse grotesk:
Keiner der Vorwürfe hat das Geringste mit einer Unterstützung von Terrorismus zu tun. Bei dem, was Özkan vorgeworfen wird und wegen dem er als Schwerkrimineller behandelt und angesehen wird, handelt es sich ausnahmslos um Formen politisch-kultureller Arbeit, wie sie von tausenden Aktivisten im Lande tagtäglich durchgeführt wird.
Mit diesem Prozeß wird der Versuch unternommen, revolutionäre Aktivitäten — egal in welcher noch so indirekten Form — als solche zu kriminalisieren. Wenn
– das Verteilen von Flugblättern
– der Verkauf von Karten zu linken Konzerten
– der Verkauf von Zeitschriften revolutionärer Organisationen
– der Besuch von Protestveranstaltungen
– die Teilnahme an 1. Maiveranstaltungen
– das Schreiben von Briefen an politische Gefangene
– das Engagement in einem Bildung– und Kulturverein
– der Kontakt zu Revolutionären
– das Beobachten von §129-Prozessen
ausreicht, verhaftet und zu jahrelangen Gefängnisstrafen verurteilt zu werden, dann ist dies nicht ein Angriff allein gegen Özkan Güzal oder die DHKP-C, sondern gegen die gesamte revolutionäre Bewegung, dann kann Gleiches jeden treffen, dann ist es kein weiter Schritt alle zu kriminalisieren, denen „eine revolutionäre Grundhaltung“ unterstellt wird und die „den bewaffneten Kampf nicht grundsätzlich ausschließen“.
Selbst der Vorsitzende der Staatsschutzkammer, Richter Klein, der für die Verurteilung von Faruk Ereren im inzwischen vom BGH kassierten 1. Prozeß zu lebenslänglich verantwortlich ist, sah sich gezwungen, den Kriminalkommissar zu belehren. Er wies darauf hin, es sei nicht spezifisch terroristisch, an Demos teilzunehmen, auch wenn man dabei ein Plakat hoch halte, „denn sonst kommen zu viele in Betracht“.
Allerdings hat die Anklage bisher nichts „spezifisch Terroristisches“ belegen können. Man beschränkt sich auf die einfache Ableitung, daß die beschriebene politische Aktivität von Özkan, der sich offen zu seiner politischen Identität als Revolutionär und seinem Kampf gegen das faschistische Regime in der Türkei bekennt, den politischen Zielen der DHKP-Centspricht. Da die US-Regierung diese Organisation auf der Liste der „Terrororganisationen“ hat, ist demnach jedwede politische Aktivität, die der der DHKP-C auch nur ähnlich ist, als terroristisch einzustufen und entsprechend zu verfolgen. Und damit sind alle linken, antiimperialistischen Gruppen gleichermaßen betroffen, dann ist auch die Redaktion der LZ betroffen, denn auch uns muss man eine „revolutionäre Grundhaltung“ unterstellen und die Unterstützung von militanten Kämpfen z.B. gegen die faschistische Junta in Kiew oder des bewaffneten Kampfes der YPG in Rojava gegen die islamistischen Terroristen der ISIS.
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Der Prozeß ist ein gefährlicher Angriff auf die demokratischen Freiheiten, er erwies sich allerdings bislang als groteske Farce, da trotz immensem geheimdienstlichen Aufwand keine anderen Beweise für Özkans angeblichen „Terrorismus“ vorgebracht wurden als Belege für seine völlig offene, legale und absolut friedliche politische Aktivität.
Die Farce erreichte ihren Höhepunkt am Ende der Verhandlung, als Richter Klein alle Prozeßbeteiligten inklusive Özkan zu sich nach vorne bestellte und dann Özkan bat, seine bei ihm beschlagnahmte Umhängetasche auszupacken. Zu Tage befördert wurden ein paar Flyer, Plastiktüten und sonstiger bedeutungslose Kleinkram. Der Richter selbst meinte dazu leicht amüsiert, daß natürlich in der Tasche nur noch das verblieben sei, was für die Polizei in keiner Weise interessant sei.
Eugen Hardt