michael panser

Der Wahrheitssucher, der auf eine andere Welt beharrte

Die Internationalistische Kommune Rojava gedenkt Michael Panser, der als Guerillakämpfer bei einem Luftangriff der türkischen Armee in Südkurdistan ums Leben gekommen ist.

Unser Freund, der internationalistische Revolutionär und Guerillakämpfer Michael Panser (Bager Nûjiyan, auch Xelîl Vîyan) ist am 14. Dezember 2018 bei einem türkischen Luftangriff auf die in Südkurdistan gelegenen Medya-Verteidigungsgebiete gefallen und unsterblich geworden.

Unsere Herzen sind voller Schmerzen, unsere Köpfe voller Erinnerungen. Heval Bager war ein Freund, der uns vor allem mit seiner unersättlichen und euphorischen Suche nach Wahrheit in Erinnerung bleibt. Seine Suche und Neugier für revolutionäre Befreiungsbewegungen hat ihn an viele Orte auf der Welt gebracht.

Seine größte Leidenschaft war es, seine Erfahrungen und Ideen mit anderen Menschen zu teilen, zu diskutieren und Weggefährt*innen zu finden.

2012 reiste er das erste Mal nach Kurdistan, wo seine tiefe Verbundenheit mit der Philosophie und revolutionären Führung der PKK und Rêber Apos begann. Doch war er getrieben von der Vorstellung, seine Erfahrungen und Begeisterung für die kurdische Befreiungsbewegung zu teilen. Er war überzeugt von der universellen Bedeutung der Revolution in Mesopotamien für alle Freiheitssuchenden, Widerständigen und Revolutionäre auf der Welt. Daher schaffte er es in einigen Jahren, viele Menschen und Bewegungen mit der Befreiungsbewegung zu verbinden und Brücken zu schlagen. 2015 kehrte er selbst zurück in die revolutionären Gebiete Rojavas, um Teil der gesellschaftlichen Veränderung zu werden, und nahm auch seinen Platz in der Verteidigung des ezidischen Volkes im Şengal ein. 2017 führte es ihn dann wieder in die befreiten Berge Zarathustras auf der Suche nach Weisheit, wahrer Freundschaft, Kampf und freiem Leben in der PKK.

Auch die Internationalistische Kommune ist zweifelsohne Ergebnis seiner Anstrengungen und zumindest einer von vielen seiner Träume, die verwirklicht wurden. So viele Träume sind unverwirklicht geblieben, doch aus seiner Suche ist die Suche vieler mehr geworden. Die Samen, die Heval Bager auf seinen vielen Reisen gesät hat, haben überall begonnen zu keimen und zu sprießen. Wie wir es schaffen, die Früchte wertzuschätzen und neue Samen zu pflanzen, liegt nun an uns, die seinen Kampf weiterführen werden. Das sind wir ihm schuldig.

Es fällt uns schwer, unserem Freund und Genossen mit Worten gerecht zu werden. Wir wollen ihn daher selbst zur Sprache kommen lassen, indem wir einen Ausschnitt aus einem Text wiedergeben, den er uns letzten Winter, kurz bevor er gefallen ist, zukommen lassen hat:

„Das System erschafft eine totalitäre Kultur materieller Werte, die jeden gesellschaftlichen Wert und jede Bedeutung kommunalen Lebens in etwas Abgestorbenes, rein Materielles verwandelt und mit der Kulturlosigkeit grenzenlosen Konsums überzieht. Mit dieser Methode wird die Wahrheit (als Kategorie des Denkens, des Wahrnehmens der Wirklichkeit) in den Grenzen des rein Materiellen, Messbaren und der positivistischen Wissenschaftlichkeit erstickt. Das Leben verliert jede Einzigartigkeit, bar jeden Geheimnisses, ohne Suche, wird zur reinen Verwaltung des Alltäglichen und Banalen. Die Leere, die diese Art der erzwungenen Lebensführung seit den neunziger Jahren in unserem Leben hinterlassen hatte, weckte in uns Unzufriedenheit mit dem Bestehenden und versetzte uns in Bewegung. Wir suchten nach Antworten und Wegen, wie der richtige Kampf um Befreiung geführt werden könnte, wie ein richtiges Leben geführt wird. Wir waren uns über den abstoßenden Charakter des Systems im Klaren, allein die Ungreifbarkeit der Herrschaft des Liberalismus und dessen ideologische Hegemonie verhinderten, dass wir wirkliche Alternativen hätten denken können. Die Art der liberalen Lebensführung, erzwungener Karrierismus, Opportunismus und Individualismus verhindern kommunale Erfahrung und verdammen alle Versuche alternativen Lebens dazu, in Isolation und Marginalität gedrängt zu werden. Wir suchten durch das Erforschen historischer internationalistischer Kämpfe, revolutionärer Theorie und Lebens- und Kulturformen außerhalb der europäischen Metropole nach Auswegen. Es heißt, im Schatten der Festungen und Kathedralen und unter polizeilicher Kontrolle der Schergen des Systems ist freies Denken schwer möglich, und so verließen wir unsere alte Welt. Jede Suche nach Freiheit, jeder Versuch des tiefen Verstehens führt zurück zur Quelle, und so führte uns unsere Suche bis nach Mesopotamien, dem Ort der ersten großen Revolution der Menschheit, der Quelle von Kulturwerdung, der Revolution von Sprache, Denken und Sesshaftwerdung. Wir lernten, dass in den Bergen, Ebenen und Städten Kurdistans die Tradition des revolutionären Internationalismus fortgesetzt wurde und sich hier der Kampf für eine sozialistische Gesellschaft mit dem Widerstand der alten, natürlichen Gesellschaft verbunden hatte, in der die Kraft der Frau und die Kultur der Muttergöttin noch wirkte. Vor allem trafen wir im Kampf der PKK und in der Person Abdullah Öcalans auf eine tiefe revolutionäre Führung, die die Grenzen der klassischen linken Bewegungen weit hinter sich ließen und die Möglichkeit wahrer revolutionärer Lebensführung verkörperten. […]

In der Mythologie der sozialistischen Bewegungen existiert die Vorstellung eines letzten Krieges, der alle Kriege beenden soll. Dieser Krieg läuft in Form eines globalen Krieges, dessen Zentrum heute der Mittlere Osten und Kurdistan bilden. Der Weg der revolutionären Führung bezeichnet den Lösungsweg für diesen Krieg und das Erkämpfen einer freien Gesellschaft. In diesem Sinne stellt die Erfahrung der revolutionären Führung heute zweifellos ein Erbe der Menschheit dar. Wenn wir richtig verstehen, unsere Suche und die Art und Weise, unser Leben zu führen, mit der revolutionären Führung zu verbinden, werden wir in der Lage sein, entsprechend intensiv zu leben und auf der Spur des revolutionären Internationalismus den ersten Schritt zu tun, um diesen Krieg in den Kampf um unsere Befreiung zu überführen. Dazu bedarf es des Mutes, der Hoffnung, um auf dem Weg der militanten Lebensführung durch Anstrengung und die Kraft eines tiefen Bewusstseins jede Grenze zu überwinden und auf einer anderen Welt zu beharren.“

Heval Bager folgte den Fußstapfen anderer deutscher Revolutionär*innen wie Rosa Luxemburg, Willi Münzenberg, Hans Beimler, Ulrike Meinhof, Andrea Wolf, Uta Schneiderbanger, Ivana Hoffman, Kevin Jochim, Günter Hellsten, Jakob Riemer und Sarah Handelmann.

Im Leben Bager Nûjiyans sehen wir für uns ein Beispiel von Internationalismus und der Suche nach Wahrheit, Freiheit und Geschwisterlichkeit der Völker. Wir sprechen seiner Familie und allen Freund*innen unser herzliches Mitgefühl aus. Unsere Trauer verwandeln wir in Wut, unsere Wut in die Verantwortung, seine Träume und Mühen einer anderen Welt zu verwirklichen, sei es in Mesopotamien, Chiapas oder Ostdeutschland. Wir gedenken allen Gefallenen der Revolution, die ihr Leben für die Freiheit gegeben haben. Ihr Kampf ist der unsere!
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