john heartfieldkrieg

Ein post-historischer Striptease

Aus dem Beitrag: „Der Casino-Kapitalismus – auch bekannt als Turbo angetriebener Neoliberalismus – zerstört rücksichtslos die letzten Reste des Sozialstaats und des egalitären Konsens in den westlichen Industrieländern, möglicherweise mit der einen seltsamen skandinavischen Ausnahme. Er hat einen Konsens des “neuen Normalen“ etabliert, der in Privatleben eindringt, die politische Debatte dominiert und ein für allemal die Ökonomisierung des Lebens selbst institutionalisiert – der letzte Akt der heftigen unternehmerischen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, des Lands und der billigen Arbeitskräfte.“

Dies ist eine gekürzte Fassung eines Vortrags, der am 24. April 2013 beim 13. Seminar für Politische Solidarität zum Thema „Don Giobanni und die direkte Demokratie“ zum Gedenken an Don Juan Chavez an der Universität von Zaragoza, Spanien gehalten wurde.

Wie kuschelig es doch sein würde, den Retro-Geist von Burt Bacharach heraufzubeschwören, um unsere geopolitische Zukunft zu definieren und zu singen: “Was die Welt jetzt braucht / ist Liebe, süße Liebe”. (“What the world needs now / is love, sweet love.”)

Tut mir leid, das Vinyl zerkratzen zu müssen. Wir unterbrechen diesen Friede-Freude-Eierkuchen, um Ihnen aktuelle Nachrichten zu bringen. Sie sind ins Zeitalter des neuen Hobbes‘schen “Helden” katapultiert worden – sowohl digital und virtuell als auch physisch.

Der Casino-Kapitalismus – auch bekannt als Turbo angetriebener Neoliberalismus – zerstört rücksichtslos die letzten Reste des Sozialstaats und des egalitären Konsens in den westlichen Industrieländern, möglicherweise mit der einen seltsamen skandinavischen Ausnahme. Er hat einen Konsens des “neuen Normalen“ etabliert, der in Privatleben eindringt, die politische Debatte dominiert und ein für allemal die Ökonomisierung des Lebens selbst institutionalisiert – der letzte Akt der heftigen unternehmerischen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, des Lands und der billigen Arbeitskräfte.

Integration, Sozialisation und Multikulturalismus werden von Desintegration, Segregation und einer weitverbreiteten Entgesellschaftung korrodiert – eine direkte Folge des von David Harvey geprägten Begriffs der “Des-Akkumulation” (die Gesellschaft verschlingt ihre eigenen Sprösslinge).

Es ist dieser Stand der Dinge, den der flämischen Philosoph und Kunsthistoriker Lieven De Cauter in seinem Buch Entropic Empire “die Mad Max-Phase der Globalisierung” nennt.

Es ist eine Welt à la Hobbes, die eines latenten globalen Bürgerkriegs, eines Krieg aller gegen alle: die wirtschaftlich Wohlhabenden gegen die Habenichtse; intolerante Wahhabiten gegen “abtrünnige” Schiiten; die Kinder der Aufklärung gegen alle Arten von Fundamentalisten; die Pentagon-Militarisierung Afrikas gegen den chinesischen Merkantilismus.

Die Desintegration und Balkanisierung des Irak, die vor zehn Jahren durch das Shock and Awe des Pentagon gezündet wurde, war eine Art Auftakt für diese schöne neue Unordnung. Die Neo-Con-Weltsicht von 2001 bis 2008 brachte das Projekt mit seiner Ideologie des Lasset-Uns-Den-Staat-Fertigmachen, Und-Zwar-Überall voran. Irak war abermals das beste Beispiel. Aber von der Bombardierung einer souveränen Nation zurück in die Steinzeit zog das Projekt weiter zu einer Bürgerkriegsmanipulation – wie in Libyen und, so hoffen die Manipulatoren, auch in Syrien.

Wenn wir Sessel-Analysten haben, die von reichlich vorhandenen Stiftungen bezahlt werden  – in der Regel in den USA sitzend, aber auch in Westeuropa -, die über “Chaos und Anarchie” dozieren, so  verstärken sie bloß eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Wenn “Chaos und Anarchie” sie anmacht, dann deshalb, weil sie einfach nur die vorherrschende libidinöse Ökonomie widerspiegeln, die vom Reality-TV bis hin zu allerlei dessen reicht, was De Cauter als “psychotische Spiele” beschreibt – in einem Raum, in einem Achteck, innerhalb einer Insel oder praktisch innerhalb einer Digital-Box.

Willkommen also zur Geopolitik des jungen 21. Jahrhunderts: ein Zeitalter des Non-Stop-Kriegs (virtualisiert oder nicht), der scharfen Polarisierung und des Anhäufens von Katastrophen.

Nach Hegel, Marx und diesem mediokren Funktionär des Empire, Fukuyama, aber auch nach den brillanten Dekonstruktionen von Gianni Vattimo, Baudrillard oder Giorgio Agamben ist dies das, was wir bekommen.

Für Marx war das Ende der Geschichte eine klassenlose Gesellschaft. Wie romantisch. Stattdessen vermählte sich der Kapitalismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit der westlichen liberalen Demokratie bis der Tod sie scheidet. Nun, der Tod steht ihnen nunmehr beiden bevor. Der Rote Drache, China, hat die Party betreten und wartete mit einem neuen Spielzeug auf: dem Ein-Parteien-Neoliberalismus.

Eine individualistischer, zügelloser, passiver, leicht steuerbarer Verbraucher, der in einer verzerrten Form der Demokratie ertrinkt, die im Grunde Insider begünstigt – und sehr wohlhabende Akteure; wie könnte dies ein humanistisches Ideal sein? Doch die PR war so gut, dass dies das ist, wonach Legionen in Asien, Afrika, dem Mittleren Osten und in Südamerika streben. Für die geo-ökonomischen Masters of the Universe ist das aber immer noch nicht genug.

Deswegen Post-Geschichte als ultimative Reality-Show. Und Krieg als des Neoliberalismus‘ bevorzugte Waffe.

Wählen Sie Ihr Lager aus

Wir sind nunmehr mit Giorgio Agambens Paradigma des Notfallzustands vertraut – oder des  Ausnahmezustands (the state of exception). Das ultimative Beispiel war bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts das Konzentrationslager. Die Post-Historie aber ist kreativer.

Wir haben die nur für Muslime-Konzentrationslager – wie in Guantanamo. Wir haben das Abbild eines Konzentrationslagers – wie in Palästina, das praktisch ummauert ist und unter 24/7-Überwachung steht, und wo “das Gesetz” von einer Besatzungsmacht diktiert wird. Und wir haben das, was letzte Woche in Boston geschehen ist – als Probelauf; das euphemistische “Einsperren“ (“Lockdown“), was eine Aussetzung des Gesetzes zum Nutzen des Kriegsrechts ist; keine Bewegungsfreiheit, kein Mobilfunk-Netz, und wenn man zum Laden an der Ecke geht, um ein alkoholfreies Getränk zu kaufen, wird man womöglich erschossen werden. Eine ganze Stadt im industrialisierten Norden verwandelte sich in ein High-Tech-Konzentrationslager.

Agamben sprach vom Ausnahmezustand als einen Top-down-Exzess über die Souveränität und vom Zustand der Natur – wie bei Hobbes – als Bottom-up-Abwesenheit der Souveränität. Nach dem Global War on Terror (GWOT), der trotz allem, was das Pentagon sagt, in der Tat ewig ist (oder The Long War, wie er im Jahre 2002 als ein Teil der Pentagon-Doktrin der Full Spectrum Dominance definiert wurde), können wir von einer Fusion sprechen.

Der Krieg gegen den Terror, der von der Obama-Administration verführerisch normalisiert wurde, war und bleibt ein globaler Ausnahmezustand, obwohl das Drumherum kommt und geht; der Patriot Act; zwielichtige Executive Orders; Folter – ein aktuelles parteiübergreifende Panel in den USA beschuldigt alle Top-Beamten der George W Bush-Regierung der Folter; außerordentliche Auslieferungen, bei denen Libyen und Syrien zusammenarbeiteten, um nicht die osteuropäischen Staaten und die üblichen arabischen Marionetten wie das Ägypten unter Mubarak zu erwähnen; und den weitläufigen Apparat der Heimatschutzbehörde (Homeland Security).

Was ein echtes KZ  angeht, brauchen wir nicht weiter als bis nach Guantanamo zu schauen – das, im Gegensatz zu Obamas Wahlkampf-Versprechen, auf unbestimmte Zeit offen bleibt, sowie auf einige “geheime” Gefängnisse der CIA, deren überwiegende Anzahl der Bush-Ära zugehört.

In all diesen Fällen, was auch mit dem gesellschaftlichen Leben geschieht – Aussetzung, Auflösung, Balkanisierung, Implosion, der Ausnahmezustand -, es überträgt sich darin, dass den normalen Bürgern die Bürgerschaft (Biographien) zerbröseln. Aber herrschende Eliten – politische, wirtschaftliche, finanzielle – kümmert Bürgerschaft nicht. Sie sind nur an passiven Konsumenten interessiert.

Wählen Sie Ihre Dystopie aus

Die Dystopien der neuen globalen Unordnung werden allesamt normalisiert. Wir sind mit Staatsterrorismus – wie in dem “geheimen“ CIA-Drohnenkrieg überall in den Stammesgebieten in Pakistan, im Jemen, in Somalia und bald auch in anderen afrikanischen Breitengraden – vertraut. Und wir sind auch vertraut mit nicht-staatlichem Terrorismus, wie er von diesem Nebel angewandt wird, den wir im Westen als “al-Qaida” beschreiben, mit seinen unzähligen Franchisnehmern und Trittbrettfahrern.

Wir haben eine Reihe von Hyper-Staaten – wie die USA, China und Russland und die EU als Ganze – und unzählige Infra-Staaten oder gescheiterte Staaten, einige mit Absicht (Libyen, und Syrien ist auf dem Wege), sowie Sat- Staaten, einige wesentlich für das westlich gesteuerte System wie dem Golf-Konterrevolutions-Club (GCC – Gulf Cooperation Council, Golf Kooperations Rat).

Es ist immer aufschlussreich, einen Blick darauf zurück zu werfen, wie das Pentagon diese Welt interpretiert. Hier finden wir einen “Integrations-Kern” im Gegensatz zu einer “nicht-integrierten Lücke”. Der “Kern” ist, worauf es ankommt, in diesem Fall Nordamerika und das meisten, aber nicht alles der EU. Ängstliche, passive Populationen, mit einer Konsumenten-Elite – die schnellen, mobilen Eliten der flüssigen Moderne, wie von Bauman beschrieben – und eine große Masse von überlebenden Werktätigen, viele von ihnen entbehrlich (wie die Millionen von europäischen Opfer der Troika-Sparpolitik, die nie wieder einen anständigen Job finden werden).

Was die nicht-integrierte Lücke angeht, so handelt es sich durch und durch um Hobbes. Im Fall von Afrika – bis praktisch gestern als ein schwarzes Loch verspottet – gibt es ein zusätzliches geopolitischen Machtspiel; wie kontert man die außerordentliche Durchdringung des chinesischen Merkantilismus im letzten Jahrzehnt? Die Pentagon-Antwort besteht im Einsatz von Africom allerorten; die Nationen, die zu unabhängig sind, werden wie Libyen unterworfen; und im Fall der französischen Elite, die mit auf dem Zug sitzt, um zu versuchen, einige imperiale Muskeln in Mali zurückzuerlangen, profitiert man von genau dieser Implosion und Balkanisierung Libyens.

Der Look der Post-Historie, ihr ästhetisches Ideal, ist die Stadt als Themenpark. Los Angeles war vielleicht das Urbild, aber die besten Beispiele sind Las Vegas, Dubai und Macao. In Abwesenheit von Umberto Eco und Baudrillard, die in den Spiegelbilder-Simulacra schwelgten, können wir dem Stararchitekten Rem Koolhaas folgen – einem scharfen Beobachter der städtischen Demenz in Südchina –, um zu lernen, worum es beim Junk-Raum geht.

Dann gibt es die Sicherheits-Besessenheit – von Städten wie London, das sich in eine weitläufige Version von Benthams Panopticum verwandelt, bis hin zu den lächerlichen Striptease-Ritualen an jedem Flughafen, um gar nicht erst die umzäunten Wohnhäuser und “Communities” zu erwähnen, die eher wie umzäunte Atome sind, Embleme der Kapsel-Zivilisation. Die Guerrilla-Gegenangriffe können gleichwohl so tödlich wie sunnitische Iraker im Kampf gegen die Amerikaner im “Dreieck des Todes” sein, wie er Mitte der 2000er Jahre stattfand. In Sao Paulo, Brasilien – die ultimative gewalttätige Megalopolis – “klonen“ Banden Autos und Nummernschilder, um Sicherheitskräfte am Zugang zu den bewachten Häusern hereinzulegen, fahren dann in die Garage und gehen systematisch raubend durch jede Wohnung in jeder Etage.

Sie sind Geschichte

Konzeptionell kürzt die Post-Historie alle Verfahren ab. Der Fluss der Geschichte wird als Fälschung abgebaut. Das Simulacrum triumphiert über der Realität. Wir sehen die Geschichte sich nicht als Tragödie und Farce wiederholen, sondern als Doppel-Farce; eine überlappendes Beispiel sind die Dschihadisten in Syrien, die ebenso wie die ehemaligen “Freiheitskämpfer” in Afghanistan, die sich in den 1980er Jahren im anti-sowjetischen Dschihad befanden, bewaffnet werden; dies verbindet sie mit der westlichen Gang im UN-Sicherheitsrat, die in Syrien das anzuwenden versucht, womit sie in Libyen durchkam; Regimewechsel.

Wir haben auch die sich wiederholende Geschichte als Klonen; Neoliberalismus mit chinesischen Charakteristika schlägt den Westen in seinem Industrialisierungsspiel – in Bezug auf die Geschwindigkeit -, während zur gleichen Zeit die gleichen Fehler von den geistlosen Auswüchsen einer Akquisitionsmentalität ohne Respekt für die Umwelt begangen werden.

Es versteht sich von selbst, dass die Post-Historie die Aufklärung begräbt – als Begünstigung für die Entstehung aller Arten von Fundamentalismen. So musste sie auch das internationale Recht begraben; von der Umgehung der UN, um einen Krieg gegen den Irak im Jahr 2003 zu starten, bis hin zur Benutzung einer UN-Resolution, um einen Krieg gegen Libyen im Jahr 2011 zu starten. Und nun nehmen Großbritannien und Frankreich keine Gefangenen mehr, um zu versuchen, an den Vereinten Nationen oder sogar der NATO selbst vorbei die “Rebellen” in Syrien mit Waffen auszustatten.

Wir haben also ein neues Mittelaltertum, das nur einer wohlhabenden Neo-Theokratie passen kann – wie in Saudi-Arabien und Katar; denn dies sind westliche Verbündeten oder aber Marionetten – daheim dürfen sie gern mittelalterlich bleiben. Darüber gestülpt finden wir die Politik der Angst – die im Wesentlichen die Festung Amerika und die Festung Europa beherrscht; Angst vor dem Anderen, der gelegentlich Asiate sein kann, die meiste Zeit aber islamisch ist.

Was wir nicht haben, ist eine politische / philosophische Vision der Zukunft. Oder ein historisch-politisches Programm, politische Parteien kümmern sich nur über den Gewinn der nächsten Wahl.

Wie würde ein post-staatliches System aussehen? Unabhängige Köpfe trauen den mammuthaften, asymmetrischen, wackeligen Blöcken wie der EU oder den G-20 oder sogar den angehende Multipolaren wie den BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika – die noch nicht eine echte Alternative zur westlichen Regel repräsentieren) nicht. Niemand denkt im Hinblick auf eine strukturelle Veränderung des Systems nach. Marx lag darin mehr als richtig: was Geschichte bestimmt, sind objektive, konkrete, greifbare Prozesse – einige von ihnen sehr komplex -, die Auswirkungen auf die wirtschaftliche und technologische Infrastruktur haben.

Was möglich zu folgern ist, ist, dass das wirkliche historische Thema von nun an Technologie ist – wie von Jean-Francois Lyotard und Paul Virilio bereits in den 1980er und 1990er Jahren konzeptualisiert worden war. Die Technologie wird sich weit jenseits des kapitalistischen Systems weiter entwickeln. Die Techno-Wissenschaft befindet sich auf dem Fahrersitz der Geschichte. Das bedeutet aber auch Krieg.

Krieg und Technik sind siamesische Zwillinge; praktisch jede Technologie kommt als militärische Technologie zustande. Das beste Beispiel ist, wie das Internet unser Leben völlig veränderte, mit immensen geo-ökonomischen und politischen Auswirkungen; Peking mag das Internet 2010 in einem White Paper als “Kristallisation der menschlichen Weisheit” gefeiert haben, aber kein Staat filtert mehr Informationen aus dem Internet als China. Das Szenario einer dystopischen Grenze anschiebend, argumentiert Googles Eric Schmidt zurecht, dass man mit einem leichten Umschalten bald ein ganzes Land aus dem Internet verschwinden lassen könnte.

Also, im Wesentlichen können wir eine utopische Regression auf den Zustand des Stammesnomaden vergessen – so sehr wir davon fasziniert sein mögen, seien sie nun in Afrika oder im Wakhan-Korridor in Tadschikistan. Wenn wir die geopolitische Landschaft von Ground Zero bis hin zu Boston überblicken, sind die einzigen “Modelle” nur Deklinationen der Entropie.

Treffen Sie den neoliberalen Adam

Nun zur Lieblingswaffe der Post-Historie: Kriegs-Neoliberalismus. Die beste Analyse in den vergangenen Jahren kann davon bei weitem beim französischen Geostrategen Alain Joxe und seinem Buch Les Guerres de L’Empire Global (Die Kriege des globalen Empire) gefunden werden.

Joxe mischt alles miteinander, weil alles miteinander verbunden ist – die Eurokrise, die europäische Schuldenkrise, Besetzungen und Kriege, Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten, absolut korrupte Eliten -, um das Projekt des globalen Reiches des Neoliberalismus, das weit über das amerikanische Imperium hinausgeht, zu entlarven.

Das ultimative Ziel der Verwandlung in Finanzprodukte besteht in der unbegrenzten Akkumulation von Profit – ein System, wo die Reichen viel reicher werden und die Armen immerzu buchstäblich nichts (oder bestenfalls Sparmaßnahmen) bekommen. Die Masters of the Universe des realen Lebens sind die privatisierte Rentierklasse – man kann sie nicht einmal mehr Noblesse nennen, weil die Abwesenheit des Geschmacks und des kritischen Verstands bei ihnen meistens erschreckend ist. Was sie tun, kommt den Unternehmen, statt den Schutzfunktionen der Staaten zugute. In diesem Zustand der Dinge werden militärische Abenteuer zur Polizei-Doktrin. Und eine neue Informations-Technologie – von Drohnen bis hin zu “besonderer” Munition – kann gegen Volksbewegungen verwendet werden, nicht nur im Süden, sondern auch im Norden.

Joxe ist in der Lage aufzuzeigen, wie eine technologische Revolution zur gleichen Zeit zum IT-Management dieser Göttin, des Marktes, sowie zur Roboterisierung des Krieges geführt hat. Hier haben wir also eine Mischung aus wirtschaftlichen, militärischen und technologischen Veränderungen, die parallel zueinander verlaufen, was zu einer Beschleunigung von Entscheidungen führt, die die lange Spanne der Politik völlig pulverisiert, wodurch ein System nicht mehr in der Lage ist zu regulieren, seien es nun Finanzen oder Gewalt. Zwischen der Diktatur der “Märkte” und der Sozialdemokratie, raten Sie mal, wer da spielend gewinnt.

In der Tat hatte Slavoj Zizek bereits die entscheidende Frage gestellt, zumindest in Bezug auf den Untergang des Abendlandes. Der (Schrank-)Gewinner ist tatsächlich der “‘Kapitalismus mit asiatischen Werten‘ – was natürlich nichts mit asiatischen Menschen zu tun hat, dafür aber mit der klaren und gegenwärtigen Tendenz des zeitgenössischen Kapitalismus, die Demokratie zu begrenzen oder sogar auszusetzen”. (Siehe hier.)

Der französische Philosoph Jean-Claude Michéa treibt die politische Analyse weiter voran. Er argumentiert, dass die postmoderne Politik sich in der Tat zu einer negativen Kunst entwickelt hat – die die am wenigsten schlechte Gesellschaft, die möglich ist, definiert. Das ist, wie der Liberalismus – der die moderne Form der westlichen Zivilisation prägte – zum Neoliberalismus wurde, die “Politik des kleineren Übels”. Nun, “kleinere Übel” für jene, die alles unter Kontrolle haben, versteht sich, und verdammt sei der Rest.

In einem weiteren wichtigen Buch kommt Michéa mit der herrlichen Metapher des neoliberalen Adam als dem neuen Orpheus daher, der dazu verurteilt ist, den Weg des Fortschritts eskalieren zu lassen, ohne zurückblicken zu dürfen.

Nicht viele zeitgenössische Denker sind ausgestattet, um die Linke und die Rechte gleichermaßen verheerenden Maßnahmen zu unterziehen. Michea sagt uns, dass links und rechts sich dem Original-Mythos des kapitalistischen Denkens gebeugt haben; dieser “Anthropologie noir“, dass der Mensch ein Egoist von Natur aus ist. Und er fragt, wie die institutionalisierte Linke haben den Ehrgeiz nach einer gerechten, menschenwürdigen Gesellschaft aufgeben konnte – oder wie der neoliberale Wolf unter den sozialistischen Schafen gewütet hat.

Jenseits des Neoliberalismus und / oder einem Wunsch nach Sozialdemokratie zeigt uns die Reality-Show, dass uns ein wechselseitig zerstörerischer globaler Bürgerkrieg bevorsteht – das ist die Hypothese, die ich 2007 in meinem Buch Globalistan erforschte. Wenn wir alles miteinander mischen: Washingtons Schwenken nach Asien; die Obsession mit dem Regimewechsel in Iran; die Angst der westlichen Eliten vor dem Aufstieg Chinas; den echten arabischen Frühling, der nicht einmal begonnen hat; die muslimischen Ressentiments gegen das, was als ein neuer Kreuzzug wahrgenommen wird; das Wachsen des Neofaschismus in Europa; und die fortgeschrittene Verelendung der westlichen Mittelschicht, so ist es schwer, über die Liebe nachzudenken.

Und dennoch – Burt Bacharach komme zur Rettung herbei -, das ist genau das, was die Welt jetzt braucht.

Danke Lars Schall
Quelle: http://www.atimes.com/atimes/World/WOR-01-260413.html
Erscheinungsdatum des Originalartikels: 26/04/2013
Artikel in Tlaxcala veröffentlicht: http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=9637

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