Die österreichische Staatsanwaltschaft verfolgt türkische Antifaschisten und Oppositionelle
Beinahe wöchentlich kommen derzeit Mitglieder der Anatolischen Föderation am Wiener Landesgericht zusammen. Der Grund: Sie müssen sich wegen des »Gutheißens terroristischer Straftaten« verantworten.
Im Jahr 2015 hatten rund 50 Menschen aus dem Umfeld des türkisch-österreichischen Kulturvereins an einem 1.-Mai-Umzug in der Wiener Innenstadt teilgenommen. Mit grünen Hemden, roten Halstüchern mit gelbem Stern und dunklen Kappen, im »typischen Einheitskleidungstil der DHKP-C«, wie die Staatsanwaltschaft Wien meint. Seit auf Drängen der Türkei die kommunistische Untergrundorganisation »Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front« (DHKP-C) im Jahr 2002 auf die europäische Terrorliste gesetzt wurde, werden europaweit mutmaßliche Unterstützer strafrechtlich verfolgt. Sowohl in Frankreich, Griechenland als auch in Deutschland, wurden in den letzten Jahren immer wieder Menschen wegen ihrer vermeintlichen Mitgliedschaft in der DHKP-C zu Haftstrafen verurteilt. Allen Anschein nach wollen die Strafverfolgungsbehörden in Österreich jetzt nachziehen.
Hatime A. ist im Vorstand der Anatolischen Föderation. Vor rund 20 Jahren ist sie wegen politischer Verfolgung aus der Türkei geflüchtet, jetzt wird ihr die Organisation des beschriebenen Mai-Aufmarschs angelastet. Wie der gesamte Vorstand des Wiener Vereins, ist sie zudem nach Paragraf 278b wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Ihnen wird vorgeworfen, »für die Öffentlichkeit wahrnehmbare Propagandahandlungen« im Sinne der DHKP-C organisiert zu haben. Als Beleg gilt, dass sie Gedenkveranstaltungen für Kämpfer der Untergrundorganisation abgehalten und Konzerte der linken Band Grup Yorum organisiert haben. Über den Verein soll auch der Vertrieb der in Deutschland zwar verbotenen, in Österreich aber legalen, DHKP-C-nahen Zeitschrift Yürüyüs laufen. »Das Ganze ist nur ein Vorwand. In Wirklichkeit werden wir wegen unserer Meinung angeklagt«, sagte Hatime A. gegenüber jW. »Das passiert einem überall, wenn man eine antifaschistische Grundhaltung vertritt.«
Konkret wird A. und ihren Mitstreitern unter anderem eine Gedenkveranstaltung für Safak Y. und Bahtiyar D. zur Last gelegt. Die beiden DHKP-C Aktivisten hatten 2015 den Staatsanwalt als Geisel genommen, der für den Fall des 15jährigen Berkin Elvan verantwortlich war. Dieser war zwei Jahre zuvor von Polizisten in Istanbul am Rande der Gezi-Proteste erschossen worden, im Laufe der Ermittlungen kam der Vorwurf auf, jemand halte seine Hand über die Todesschützen. Safak Y. und Bahtiyar D. forderten nach der Geiselnahme des Staatsanwalts die Veröffentlichung der Namen der beschuldigten Polizisten. Spezialeinheiten beendeten die Aktion blutig, sowohl die beiden Geiselnehmer als auch der Staatsanwalt starben.
Die Mitglieder der Anatolischen Föderation hätten mit einer Gedenkveranstaltung die Geiselnehmer geehrt und damit nach Paragraf 278b eine terroristische Vereinigung unterstützt, so die Wiener Staatsanwaltschaft. Die Angeklagte Hatime A. dazu: »Wir gedenken allen Antifaschisten, die vom Erdogan-Regime ermordet worden sind. Das ist freie Meinungsäußerung.«
Ähnlich wie bei Paragraf 129a in Deutschland, geht es bei Paragraf 278b in Österreich um ein sogenanntes Vorfelddelikt, das Agieren schon kriminalisiert, bevor tatsächliche Straftaten passiert sind. Den Mitgliedern der Anatolischen Föderation werden keine geheimen Anschlagspläne vorgeworfen, lediglich Aktivitäten wie die Organisation von Konzerten oder interkulturelle Fussballturniere – öffentlich beworben und zum Teil sogar polizeilich angemeldet.
Bislang werden Organisationen wie die kurdische Arbeiterpartei (PKK) oder die Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Österreich strafrechtlich kaum verfolgt. Anders als in Deutschland werden Fahnen der Organisationen auf Veranstaltungen von der Polizei geduldet. »Die Zusammenarbeit der österreichischen Behörden mit der Türkei ist in dem Verfahren offensichtlich«, meint Hatime A. und deutet auch an, warum Paragraf 278b insbesondere für die migrantische Linke von immer größerer Bedeutung werden könnte: Wenn bereits Demonstrieren in Einheitskleidung am 1. Mai die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ist, dann ist es bis zur Verfolgung weiterer oppositioneller Gruppen aus der Türkei nicht weit.
Von Christof Mackinger, Wien
junge Welt 25.5.18