129b

Erdogans eiserne Faust in Deutschland

Zehn Mitglieder der Türkischen Kommunistischen Partei stehen in München vor Gericht. Die Verteidiger fordern die Einstellung des Verfahrens

»Verdacht der Rädelsführerschaft – Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland« sind die Vorwürfe der Anklage. Könnte das Verfahren nach zehn Verhandlungstagen eingestellt werden?
Von Rudolf Stumberger, München nd 27.7.16

Grundlage für die Anklage ist der Paragraf 129b. Ihm gemäß kann eine ausländische Organisation dann verfolgt werden, wenn diese in ihrer Heimat »gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung« opponiert.

Da sich derzeit die Türkei auf dem Weg zu einem »offen diktatorisch agierenden Staat« befinde, so die Verteidiger, müsse das Verfahren sofort eingestellt werden. Aus dem »Putsch nach dem Putsch« müssten die deutschen Behörden Konsequenzen ziehen. Ob das Verfahren tatsächlich fallen gelassen wird oder nicht, darüber wird das Oberlandesgericht München am Freitag, den 5. August, befinden.

Seit dem 17. Juni müssen sich neun Männer und eine Frau vor dem Oberlandesgericht München wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung verantworten in demselben Gerichtssaal 101, in dem an anderen Tagen der NSU-Prozess stattfindet. Sie sollen für die TKP/ML Geld beschafft, Veranstaltungen organisiert und Mitglieder geworben haben.

Die Verteidiger und Unterstützer kritisierten zum Prozessauftakt, dass sich die Bundesanwaltschaft bei ihrer Anklage auch auf Ermittlungen aus der Türkei stützt, auf angebliche Indizien und Beweise also, die nicht mit »rechtsstaatlichen« Methoden zustande kamen.

Der Einleitung dieses Strafverfahrens lägen zudem außenpolitische Erwägungen zugrunde. Denn, bevor eine Anklage mit dem Paragrafen 129b erhoben werden konnte, musste das Bundesjustizministerium eine sogenannte Verfolgerermächtigung erteilen. Besagter Ermittlungsparagraf legt die Kriterien hierfür fest. Maßgebend soll bei der Regierungsentscheidung sein, ob sich die Ziele der Vereinigung gegen einen ausländischen Staat richten, der die Würde des Menschen achtet. Laut Gesetzestext muss die Regierung auch prüfen, ob die Ziele der zur Anklage stehenden Vereinigung gegen das »friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen«.

Die Verteidigung der Angeklagten hatten bereits zum Prozessauftakt unter Hinweis auf die Menschenrechtsverletzungen und totalitären Tendenzen in der Türkei die Rücknahme der Verfolgungsermächtigung durch das Bundesjustizministerium und die Einstellung des Verfahrens gefordert: »Die ›Maßnahmen‹ der AKP-Regierung seit dem 15. Juli 2016 zeigen der gesamten Welt, dass sich die Türkei auf dem Weg zu einem offen diktatorisch agierenden Staat befindet, der sämtliche demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien über Bord wirft.« Die Menschenwürde und Menschenrechte würden missachtet.

Die Entwicklung in der letzten Woche nach dem Putsch müsse endlich zu Konsequenzen in der Politik der Bundesregierung führen. Allein der konsequenzlos bleibende Ausdruck einer »Besorgnis« könne nicht mehr ausreichen. »Das gegen unsere Mandanten geführte Verfahren musste schon bisher als Auftragsarbeit für Erdogan und sein Regime verstanden werden. Eine Fortführung dieses Strafverfahrens würde nach den Geschehnissen der letzten Tage eine Legitimierung der antidemokratischen und antirechtsstaatlichen Maßnahmen Erdogans bedeuten«, so die Stellungnahme der Verteidiger. Zu ihnen gehört Sinan Akay und er hält es gegenüber dem »nd« für möglich, dass das Verfahren am 5. August eingestellt wird: »Der Richter sieht sich am Scheideweg, die Entscheidung ist offen«.

Derweil beklagte sich eine der Angeklagten, die Ärztin Dilay Banu Büyükavci, bei der Verhandlung am vergangenen Montag über die Haftbedingungen: »Ich wurde am 15. April 2015 festgenommen und befinde mich seit dem 16. April 2015 im Frauengefängnis von München in Haft. Ich wurde in Deutschland, in einem Land von dem gesagt wird, es gäbe dort keine Folter und keine Menschenrechtsverletzungen, einer der schwersten Formen von Folter, der Isolation, unterzogen«, so die Angeklagte in einer Erklärung. Sie habe 23 Stunden alleine in der Zelle verbringen müssen, mit einer Stunde Hofgang. Dabei sei sie aus den Zellen von Mitgefangenen mit Wasser übergossen, beschimpft, beleidigt und bedroht worden.