Erklärung von Veli Türkyilmaz im Strafverfahren gegen ihn wegen § 129 b StGB vor dem Staatsschutzsenat des OLG Düsseldorf (Auszüge)

Az.: III – 2 StS 1/22
Mein Geburtsort ist das Dorf Laloglu im Kreis Selim/ Provinz Kars in der Türkei.
Dort wurde ich am 1. Januar 1964 geboren. Um in die Provinzhauptstadt Kars zu kommen, war man damals mehr als 4 Stunden unterwegs. Heute geht es schneller, da bessere Verbindungen bestehen.
Mein Vater hat turkmenische Vorfahren, meine Mutter stammt aus einer Zaza sprechenden kurdischen Familie. Meine Familie sind alevitischen Glaubens und auch ich wurde in diesem erzogen.
Das Alevitentum ist – entgegen der auch in Deutschland von den Behörden immer wieder vertretenen Auffassung – eine eigenständige und keine dem Islam zuzurechnende Religion. In der Türkei sind ca. 15% der Bevölkerung alevitischen Glaubens. Wesenselemente des alevitischen Glaubens sind Werte wie Nächstenliebe, Bescheidenheit und Geduld. Die Frauen sind nicht verschleiert und tragen ihr Haar offen und werden als gleichberechtigt behandelt. Diese Werte haben mich mein ganzes Leben geprägt und ich kann von mir sagen, dass ich in meinem Leben noch nie eine Frau geschlagen habe.
Ich sage dies deshalb, weil ich es als eine erhebliche Kränkung meiner Identität und Person ansehe, dass fälschlicherweise behauptet wird, ich hätte seinerzeit in Stuttgart eine Polizistin geschlagen. … (Anmerkung Verteidigung: Dieser Anklagevorwurf wurde im Verlaufe des Verfahrens eingestellt.)
Der alevitische Glauben – und dadurch auch meine Erziehung – ist vom Humanismus und Universalismus geprägt.
In unserem landwirtschaftlich geprägtem Dorf lebten damals rund 250 Einwohner. Jeweils zur Hälfte Angehörige des kurdischen und des turkmenischen Volkes. Die Bevölkerung war alevitischen Glaubens und fortschrittlich eingestellt.
Abfällig wurden und werden wir als Kızılbaş  (‚Rotkopf‘) durch die herrschenden Kreise und die Regierung in der Türkei bezeichnet. Der muslimische Glaube der sunnitischen Mehrheitsbevölkerung wird von diesen islamistisch missbraucht und unter der Bevölkerung eine Hetze gegen die sogenannten „Ungläubigen“ entfaltet, so dass es immer wieder zu Pogromen kommt. Diese nahmen bzw. nehmen gegenüber den alevitischen Kurden, den christlichen Armeniern oder den Yezidi Völkermordcharakter an. Aktuell zeigt sich dies auch in Syrien und dem Irak im Vorgehen gegenüber den dort lebenden alawitischen, christlichen und insbesondere yezidischen Minderheiten. Während der Bundestag eine Resolution gegen den Völkermord an den Yeziden verabschiedet, gehen die Bundesregierung gemeinsam mit der Generalbundesanwaltschaft gegen Kräfte, die die Yeziden schützten und deren Leben gegenüber dem türkischen Militär und den islamistischen Banden des IS retteten, mit 129 b – Verfahren vor, weil dies angeblich zum Schutz des deutschen Staates erforderlich sei. Geschützt wird dadurch aber nur das diktatorische Unrechtsregime von Erdogan.
Wir Aleviten erkennen die in der Türkei geltenden islamistischen Verbote und Gebote nicht an und befolgen sie nicht. Wir linken Aleviten verurteilen in aller Schärfe die islamistisch begründeten sog. Ehrenmorde oder die Zwangsehen gegenüber minderjährigen Mädchen und die von der Regierung permanent verbreitete Frauenverachtung.
Zum Islamismus – wie er vom diktatorischen Erdogan Regime und auch den vorherigen Regimen in der Türkei vertreten und benutzt wird – steht das Alevitentum im grundlegenden Widerspruch. Dies ist bereits seit der osmanischen Zeit ein wesentlicher Grund für die Unterdrückung und Verfolgung der Aleviten.
Es ist im Sinne der Menschenrechte unwürdig und folgt der islamistischen Argumentation Erdogans, wenn mir in der Anklage seitens der Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf sogar meine Aktivitäten und persönliche Teilnahme an Kundgebungen der „Alevitischen Gemeinde in Deutschland“ am 1. Juni 2013 und 22. Juni 2013 in Köln gegen den Besuch des Diktators Erdogan vorgeworfen werden und dies als Beleg für meine Mitgliedschaft in der DHKP-C angeführt wird!
So heißt es auf S. 177 der Anklageschrift sogar, dass bei den von der Alevitischen Gemeinde Deutschland organisierten Protesten am 22.6. 2013 gegen den Erdogan Besuch ein „unmittelbarer Bezug der Veranstaltung zur DHKP-C deutlich“ wurde.
Auch die Alevitische Gemeinde in Bremen, der ich eng verbunden bin und deren Vorstand meine Lebensgefährtin … angehört, ist Teil der „Alevitischen Gemeinde in Deutschland“. Es ist für mich befremdlich und erinnert an das Vorgehen des Erdogan Regimes, dass auch deren Aktivitäten intensiv beobachtet wurden und dies seitens des Senats in das Verfahren eingeführt wurde und weiter wird. Selbst das Aussageverweigerungsrecht meiner Verlobten wird nicht beachtet, wie der Senat ausdrücklich in einem Beschluss bekräftigte.
Die Behandlung des Alevitentums und dessen Gemeinden und Religionsgemeinschaften in Deutschland als terroristisch berührt die Glaubensgemeinschaft unmittelbar und ist eine Diffamierung des Alevitentums.
Zur Erinnerung:
Insgesamt leben in Deutschland rund 500.000 Alevitinnen und Aleviten, die zu 95 % aus der Türkei stammen. Der Prozentsatz von aus der Türkei stammenden Aleviten an der Bevölkerung in Deutschland ist höher als in der Türkei, da sich die Immigration aus der Türkei nach Deutschland zu einem großen Teil aus Regionen speiste, die stark von Aleviten bewohnt waren bzw. sind.
Die alevitische Bevölkerung stand auch beim Militärputsch am 12.9. 1980 überwiegend auf Seiten der Opposition, weshalb in den 1980er Jahren viele Aleviten vor der Verfolgung flohen und in Deutschland Asyl suchten und auch erhielten.
In Deutschland existiert eine im Grundgesetz garantierte Religionsfreiheit. Das Land Nordrhein-Westfalen verlieh der bereits genannten Alevitischen Gemeinde Deutschland im Dezember 2020 die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Im Dezember 2022 wurde auch den Aleviten im Land Berlin der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zugesprochen und damit ein Rechtsstatus wie anderen Glaubensrichtungen (evangelisch, jüdisch, katholisch) gewährt. Die Aleviten in Deutschland sind in einem sehr hohen Grade in Gemeinden und Verbänden organisiert. Größte alevitische Dachorganisation ist die Alevitische Gemeinde Deutschland (AABF) mit Hauptsitz in Köln, der bundesweit 125 lokale Gemeinden angehören.
Zur Versammlung am 22. Juni 2013 heißt es in der Tageszeitung „Die Welt“, die kaum als DHKP-C-Zeitung angesehen werden kann in einem Artikel:
„Zehntausende protestieren in Köln gegen Erdogan
In Köln sind zehntausende Menschen gegen die türkische Regierung auf die Straße gegangen – viel mehr als erwartet. Sie protestieren gegen die Polizeigewalt – und solidarisieren sich mit Brasilien. „Erdogan geh’ – dann wird alles besser“, hat die Alevitin Laura in türkischer Sprache auf das Plakat geschrieben, das sie auf dem Kölner Heumarkt in die Höhe hält. „Wir wollen unsere Solidarität mit den Demonstranten in der Türkei zeigen“, sagt die 19-Jährige aus Bergisch Gladbach, nachdem sie ihren Mundschutz bis zum Kinn heruntergezogen hat. Mit der Atemschutzbinde will sie gegen den Gaseinsatz der türkischen Polizei protestieren, die in den vergangenen Wochen wiederholt gegen Protestierende in türkischen Städten vorgegangen ist.
Laura ist eine von Zehntausenden, die zur bislang größten Demonstration in Deutschland gegen die türkische Regierung unter Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan nach Köln gekommen sind. Bundesweit hat die Alevitische Gemeinde Deutschlands in den vergangenen Tagen zur Kundgebung unweit des Kölner Doms aufgerufen. Mit Erfolg: Statt der zunächst erwarteten 30.000 Teilnehmer sind nach Veranstalterangaben mehr als 80.000 Menschen aus ganz Deutschland und mehreren Nachbarstaaten nach Köln gekommen. Während der Kundgebung macht sogar die Zahl von mehr als 100.000 Teilnehmern die Runde. Wie viele nun auch immer in die Kölner Altstadt gekommen sein mögen – die Zahl der Erdogan-Kritiker ist jedenfalls so groß, dass die Veranstalter aus Sicherheitsgründen auf die ursprünglich geplante Demonstration durch die Innenstadt verzichten und stattdessen eine mehrstündige Kundgebung abhalten. „Wir sind nicht alle – es fehlen die Gefangenen“, steht auf einem der Plakate, die die protestierenden Aleviten während der Veranstaltung hochhalten. „Die Revolution hat gerade erst begonnen“, steht auf einem anderen Transparent. Doch die deutschen Aleviten solidarisieren sich nicht nur mit den türkischen Demonstranten vom Istanbuler Taksim-Platz und in anderen türkischen Städten. „Wir alle sind Taksim – wir alle sind Sao Paulo“, steht auf einem weiteren Schild zu lesen. …“
Es ist beschämend, dass seitens der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf und seitens des Senats in der bisherigen Verhandlung derartige Anklagevorwürfe erhoben bzw. zugelassen werden.
Aber zurück zu meiner Person:
Mit mir im Dorf zusammen wuchs auch mein Cousin Öztürk Türkdogan auf, der seit langem Vorsitzender des  İnsan Hakları Derneği (İHD) der Türkei, zu Deutsch Menschenrechtsverein in der Türkei mit Sitz in Ankara und mehr als 34 Zweigstellen ist.
Der IHD setzt sich – wie dem Senat bekannt ist – für die Einhaltung der Menschenrechte in der Türkei ein, arbeitet eng mit amnesty international zusammen und ist international auch in juristischen Kreisen hoch angesehen.
Vom Erdoganregime und seiner ihm unterstellten Justiz in der Türkei wird der IHD auch als „Tarnorganisation“ der DHKP/C oder der PKK angesehen und gegen meinen Cousin liefen und laufen deshalb immer wieder neue Strafverfahren. Zu einem der auch international bekanntesten Menschenrechtsverteidiger in der Türkei wurde er mit aufgrund seiner Erlebnisse in seiner Kindheit und Jugend in unserem Dorf.
Wie er wurde auch ich bereits in unsere Kindheit von den umfassenden und massiven Repressionen seitens des türkischen Militärs geprägt. Dieses war unmittelbar in unserer Region stationiert war und verhielt sich brutal und unmenschlich – vor allem auch gegenüber den alevitischen Frauen – und wie eine Besatzungsarmee.
Aufgrund der in unserem Dorf – auch aufgrund der systematischen sozialen und wirtschaftlichen Vernachlässigung der alevitisch-kurdischen Regionen – bestehenden Armut ging mein Vater 1969 als sogenannter „Gastarbeiter“ nach Deutschland und arbeitete lange als Stahlarbeiter bei Mannesmann in Duisburg.
Meine Mutter und mein Großvater väterlicherseits passten seinerzeit auf mich und meine Geschwister auf.
Als ich 4 oder 5 Jahre alt war, kam es in unserem Dorf zu einer Operation des Militärs. Hintergrund von ihr war, dass im Sommer die Tiere auf die Hochebenen zu den Sommerweiden gebracht wurden. (türkisch: Yayla) Dieses Recht stand seit Jahrhunderten den alevitischen Familien unseres Dorfes zu. Willkürlich wurde ihnen dieses Recht seitens der Regierung dem Dorf genommen und mit dem Staat verbundenen islamistischen Kreisen aus Erzurum zugesprochen. Dagegen entwickelte sich Protest und ein militanter Widerstand im Dorf. Dieser wurde mit großer Härte seitens des Militärs niedergeschlagen. Es kam zu Festnahmen und Folterungen. Später wurden 14 Männer des Dorfes zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt. Dieser Vorfall wurde damals in der Türkei bekannt. In den 1960er Jahren war es eine der ersten Widerstandshandlungen der Bevölkerung gegen die repressive Unterdrückung seitens der Regierung in Ankara, nachdem längere Zeit in der Türkei eine Art Friedhofsruhe existiert hatte.
Aufgrund dieses Vorfalls wurde direkt in unserem Dorf eine Militärkaserne errichtet. Das Militär wurde so alltäglicher Bestandteil meiner weiteren Kindheit.
Wir wuchsen in einem besetzten Land auf, wurden schlecht behandelt, diffamiert und beleidigt. Gegenüber den Frauen und Mädchen kam es zu systematischen sexistischen Übergriffen.
Diese Erfahrungen prägten mich und führten in Verbindung mit meiner alevitischen Erziehung dazu, dass ich mir vornahm, in meinem Leben gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung einzutreten und nicht zu dulden.
Aufgrund der oben genannten Vorgänge in unserem Dorf wurde unser Dorf auch von Deniz Gezmis und Hüseyin Inan besucht.
Diese waren beide Mitglied der sog. 1968er-Bewegung in der Türkei und traten später auch für die Notwendigkeit des bewaffneten Widerstandes gegen die damals existierende faschistische Diktatur in der Türkei ein.
Im März 1971 hatte in der Türkei ja bekanntlich erneut ein Militärputsch stattgefunden. Oppositionelle wurden damals massenhaft verhaftet, gefoltert, vor Gericht gestellt, zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Sie wurden am 6.5. 1972 – im Alter von nur 23 bzw. 25 Jahren – hingerichtet und waren überzeugte Verfechter des Sozialismus. Auch in konservativen nicht islamistischen Kreisen in der Türkei und international wird heute ihr damaliger bewaffneter Widerstand gegen den Faschismus als gerechtfertigt angesehen, ähnlich wie auch in Deutschland der bewaffnete Widerstand gegen Hitler – so das Attentat von Stauffenberg und seiner Gruppe – als legitim angesehen wird.
Deniz Gezmiş, Mahir Cayan und Ibrahim Kaypakkaya werden heute von größeren Teilen der Gesellschaft in der Türkei als Idol und Symbole des antifaschistischen Widerstandes und gesellschaftlichen Fortschritts verehrt.
Sie haben in der Türkei eine ähnliche Rolle wie international Che Guevara. Über sie gibt es Theater-Stücke, Filme, dutzende Bücher und Lieder. Für demokratische Künstlerinnen und Künstler in der Türkei ist es schon fast eine Verpflichtung, sie in Schriften, Gedichten, Theaterstücken, Filmen oder Liedern zu würdigen.
Das Erdoganregime geht dagegen vor und greift dies als angebliche „terroristische Propaganda“ an.
Es tut mir leid, aber das Vorgehen des Senats im Zusammenhang mit Veröffentlichungen von mir in den sozialen Medien und deren Einführung in die Hauptverhandlung … in diesem Zusammenhang erinnert mich an das Vorgehen des Erdogan Regimes zur Überwachung und Kriminalisierung der sozialen Medien. Dagegen dürfen AKP- und MHP-Politiker und der sogenannten Grauen Wölfe zur gleichen Zeit durch Deutschland reisen und in Moscheen ihre faschistischen Hetzreden abhalten.
Wie der Senat vielleicht weiß, wurde Deniz Gezmis damals einer der Gründer der THKO, Ibrahim Kaypakkaya zum Mitgründer der TKP/ML und Mahir Cayan zum Mitgründer der Volksbefreiungspartei-Front der Türkei (THKP-C).
Die Ideen von Mahir Çayan – die in einer Vielzahl theoretischer Schriften (der Senat kann sich eine Auswahl bei Amazon unter dem Suchbegriff Mahir Cayan) niedergelegt sind – können als Ausgangspunkt einer ganzen Reihe von linken Organisationen in der Türkei wie der Revolutionäre Weg (Devrimci Yol) oder Revolutionäre Linke (Devrimci Sol) angesehen werden. Auch die sogenannte  Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP/C) bezieht sich auf ihn. Devrimci Yol hatte vor dem Militärputsch 1980 fast 1 Million Mitglieder und Masseneinfluss. Nach dem Militärputsch am 12.9. 1980 wurden Zehnttausende verhaftet und gefoltert. Über 30.000 wurden in Massenprozessen vor den Militärgerichten zu hohen Strafen verurteilt.
Auch die Organisation Devrimci Sol hatte Zehntausende von Angehörigen, die seinerzeit verhaftet, gefoltert und zu langen Strafen verurteilt wurden. Allein im sogenannten Hauptprozess gegen Devrimci Sol waren es über 1000 Angeklagte die vor dem Militärgericht standen.
Dev Sol vertrat – wie es Veröffentlichungen zu entnehmen ist – nach den Militärputschen von 1971 und 1980, dass es aufgrund der faschistischen Diktatur in der Türkei neben dem Aufbau einer Massenopposition auch berechtigt und erforderlich ist, sich gegen die faschistische Unterdrückung bewaffnet zu wehren. Aus einer Spaltung von Devrimci Sol entstand später dann die DHKP/C.
In unserem Dorf war es bis zum Militärputsch 1980 so, dass die Hälfte der Bevölkerung mit der THKO von Deniz Gezmis sympathisierte und die andere Hälfte mit der THKP/C von Mahir Cayan. Bei den Organisationen handelte es sich nicht um isolierte terroristische Splittergruppen, sondern um sozialistische Organisationen mit Masseneinfluss, die für eine unabhängige – vor allem aufgrund des massiven Einflusses der USA – und sozialistische Türkei eintraten. Das kurdische Volk sollte ein Selbstbestimmungsrecht erhalten, welches auch das Recht auf einen eigenen Staat beinhaltet.
1972 zog ich mit meiner Mutter und meinen Geschwistern ebenfalls nach Deutschland. Auch in Deutschland wurde ich regelmäßig über die weitere Entwicklung im Dorf durch Berichte dort weiter lebender Verwandter und Freunde – so auch meinem Cousin – informiert.
Bis heute ist die Bevölkerung in unserem Dorf oppositionell und links eingestellt.
Im Zusammenhang mit dem Militärputsch 1980 kam es zu vielen Verhaftungen und Folterungen im Dorf und der gesamten Region. Darunter waren auch noch im Dorf lebende Verwandte. Einen besonderen Hass der Putschisten zog sich die Bevölkerung auch deshalb zu, weil auf dem bekannten Schloss in Kars eine rote Fahne gehisst worden war.
Nach meiner Schätzung wurden damals rund 70% der BewohnerInnen aus unserem Dorf vertrieben und mußten entweder ins Exil oder in Städte im Westen der Türkei mit einem größeren alevitisch-kurdischen Anteil – wie Izmir- umsiedeln.
Die linke Grundhaltung im Dorf und der Region besteht jedoch bis heute. So bekommen im Dorf bei den Wahlen die sogenannte prokurdische HDP und die sozialdemokratische CHP jeweils fast 50% der Stimmen.
Ich selbst wuchs ab 1972 jetzt jedoch in Duisburg-Hüttenheim in unmittelbarer Nähe der Stahlwerke auf. Über diese Zeit dort hatte ich ja bereits einiges in dem Interview mit dem Magazin Schattenblick (SCHATTENBLICK – INTERVIEW/214: Karawane der Richtigstellung – Für Zivilcourage keinen Lohn … Gespräch mit Veli Türkyilmaz (SB)) einiges gesagt, welches im Verfahren bereits verlesen wurde.
Ich besuchte in Deutschland die Schule.
Bereits 1982 – mit 18 Jahren – heiratete ich. Meine damalige Frau kam aus dem gleichen Dorf und hatte ähnliche Erfahrungen wie ich. Wir bekamen zwei Kinder (geboren 1987 und 1992). … Bereits in jungen Jahren begann ich eine Arbeit in der Metallindustrie in Ennepetal als Schleifer. Ich wohnte jedoch noch mit meiner Familie in Duisburg und musste von daher pendeln. 1984 zogen wir dann nach Ennepetal um.
Von Beginn an war ich gewerkschaftlich in der IG Metall aktiv. Ich wurde als Betriebsrat gewählt und nahm diese Aufgabe viele Jahre im Interesse der Belegschaft war.
Politisch und sozial wurde ich als Jugendlicher in Deutschland als erstes bei Türk Danış aktiv. Es handelte sich um den 1962 von der Arbeiterwohlfahrt gegründeten Sozialdienst für Migranten aus der Türkei. Übersetzt heißt es „Beratungsstelle für Türken“.
Ein besonderes Augenmerk wurde auf eine Arbeit gegen die vielfältigen rassistischen Repressionen gelegt, die meine Freundinnen und Freunde und ich fast täglich erfuhren. Auch gab es vielfältige Benachteiligungen durch die Gesetze.
Ich wurde als Jugendlicher aktiv und setzte mich für meine aus der Türkei stammenden Mitbürgerinnen und Mitbürger ein.
Mit 14/15 Jahren beschäftigte ich mich zunehmend mit politischen Fragen. Die ersten sozialistischen Bücher, die ich in Deutsch las, waren von Che Guevara. Seine Ideen beeindruckten mich.
1978 war ich im Urlaub in der Türkei und besuchte auch das Dorf. Dort traf ich auch auf Anhänger von Devrimci Yol und Devrimci Sol und den Ideen von Mahir Cayan.
Die Bücher von Mahir Cayan waren damals legal erhältlich. Ich erhielt diese auch im Dorf. Mahir Cayan bezieht sich in seinen Schriften auch auf Che Guevara. Mahir Çayan war für mich ein Avantgardist und sozialistischer Theoretiker, dessen Theorie des künstlichen Gleichgewichts  (türkisch: Suni Denge), welches in der Krise des imperialistischen Weltsystems in der Türkei zwischen der herrschenden Oligarchie und der Unzufriedenheit der Nation und Bevölkerung auftritt, mich beeindruckte.
Nach dem Militärputsch 1980 kamen viele Flüchtlinge, die in linken Organisationen aktiv waren, auch nach Duisburg. Sie stammten von Dev Yol, Dev Sol, der TKP/ML, der TDKP und später auch der PKK. Viele kamen in die Stadtteile von Duisburg – wie Hüttenheim, Marxloh – in denen viele Menschen aus der Türkei bereits wohnten.
Ich wurde bei FIDEF, der in den 1970er Jahren größten Migrant*innenorganisation aus der Türkei mit ca. 30 Tausend Mitgliedern aktiv, der Föderation der Arbeitervereine aus der Türkei. FIDEF galt als von der TKP (Kommunistische Partei der Türkei) beeinflusst.
Ich begann mich intensiv um die Flüchtlinge mit zu kümmern und diese zu unterstützen und beteiligte mich an Protesten gegen die Militärjunta in der Türkei und deren Unterstützung durch die damalige deutsche Regierung.
Neben FIDEF entstanden später noch weitere Migrantenorganisationen in Duisburg mit Vereinsräumlichkeiten, so die ATIK, die der deutsche Verfassungsschutz der TKP/ML zurechnet und DIDF, die damals der THKO/TDKP zugerechnet wurden und heute der EMEP.
Für mich waren und sind die Unterschiede zwischen diesen Organisationen nicht so wichtig. Ich hatte mit allen gute Beziehungen, da mir die Solidarität mit den politischen Flüchtlingen und die gemeinsame Arbeit gegen die Militärdiktatur besonders wichtig waren. Dies ist bis heute so.
So bin ich auch in Bremen aktiv und beteilige mich auch an Protesten, wie gegen das faschistische Massaker der türkischen Regierung und des IS an den linken Jugendlichen in Suruc am 20. Juli 2015 (36 vor allem junge Menschen wurden getötet, mindestens 76 schwer verletzt) oder dem Anschlag auf die Friedensdemonstration in Ankara am 10. Oktober 2015 (102 Menschen starben, über 500 Verletzte).
Lange spielte ich in dieser Zeit auch Fußball beim multinational und multikulturell zusammengesetzten VfL Duisburg-Süd.
Das war für mich auch eine praktische Alternative gegen den auch in Duisburg vielfältigen alltäglichen Rassismus, den ich auch von Teilen der deutschen Bevölkerung erlebte. Aber ich erfuhr ihn auch von anti-alevitischen und anti-kurdischen Rassisten der MHP/Grauen Wölfe – Anhänger aus der Türkei. Dieser tritt bis heute auf, in Deutschland weitgehend unbehelligt von Staatsanwaltschaft und Polizei. Während die Grauen Wölfe in Frankreich verboten sind, unterhalten sie hier Moscheen und werden teils sogar staatlich gefördert.
Im Zusammenhang mit dem Fußball wurde ich seinerzeit sogar von Bernard Dietz angesprochen und erhielt ein Angebot des MSV Duisburg. Wegen meiner Aufgaben in der Familie und meinen gewerkschaftlichen und sozialpolitischen Aktivitäten blieb später jedoch kein Raum mehr für meine fußballerischen Aktivitäten und ich wurde zu einem sogenannten „Freizeitkicker“.
Auch aus der Türkei erhielt ich immer wieder Berichte – so von meinem Cousin, der beim IHD aktiv ist – über die menschenfeindlichen Verbrechen des türkischen Regimes. Diese bestärkten mich in meinem Einsatz bestärkten.
Wie ich schon gesagt hatte, zogen wir 1984 nach Gevelsberg und 1986 dann nach Schwelm. Der Schwerpunkt meiner Aktivitäten verlagerte sich mehr und mehr nach Schwelm und Wuppertal.
Dort wurde ich später in den Vereinen Özgürlük Dernegi und Komkar aktiv, die in der Alten Feuerwache in Wuppertal ihren Sitz hatten. Auch zu weiteren linken Organisationen bekam ich in Wuppertal Kontakt.
So lernte ich dann auch die Anatolische Föderation und deren örtlichen Vereine tätig, so in Dortmund. Damals lernte ich auch Latife Cenan – Adigüzel und ihre Familie kennen und wir befreundeten uns.
Am 2.7. 1993 kam es in Sivas zum Sivas-Massaker. Es bezeichnet den pogromartigen Angriff mit Duldung der Sicherheitskräfte und Regierung einer faschistisch aufgepeitschten Menge auf Teilnehmer eines alevitischen Festivals und den anschließenden Brand des Madımak-Hotels in Sivas. Dabei wurden 37 Aleviten – darunter sehr bekannte Künstler und Geistliche – ermordet.
Ich beteiligte mich damals mit an der Organisierung von Gedenk- und Protestkundgebungen, wobei ich mit der Alevitischen Gemeinde und der Anatolischen Föderation zusammen arbeitete. In dieser waren ebenfalls viele Menschen alevitischen Glaubens tätig.
Die Vereine legten einen besonderen Augenmerk auf die antirassistische Arbeit in Deutschland und zum anderen aber auch auf die Solidarität mit den politischen Gefangenen in der Türkei. So entstand auch mein Kontakt zu der Gefangenenhilfsorganisation TAYAD, die bereits 1980 von Familienangehörigen linker politischer Gefangener in der Türkei gegründet worden ist.
Wie die Alevitische Gemeinde in Deutschland, die Musikgruppe „Grup Yorum“ wird auch TAYAD vom deutschen Verfassungsschutz, dem türkischen Geheimdienst MIT und der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf als Tarnorganisation der DHKP/C angesehen. Das ist jedoch nicht richtig.
In meiner Arbeit unterstützte ich Flüchtlinge als Übersetzer bei Terminen bei Behörden oder bei Rechtsanwälten. Damals in den 1980 er Jahren lernte ich auch Rechtsanwalt Roland Meister, meinen Verteidiger kennen. Zu ihm und seiner Kanzlei kam ich mit Flüchtlingen unterschiedlichster politischer Auffassungen, die wegen ihrer Aktivitäten für die TDKP (heute EMEP-Partei), TKP/ML, Dev Yol oder Dev Sol fliehen mußten. Für mich war die konkrete Organisationszugehörigkeit nicht entscheidend, sondern die Tatsache, dass sie wegen ihrer linken Weltanschauung durch ein faschistisches Regime verfolgt werden.
Ende 1997 war ich zum Urlaub in der Türkei. Ich war bereits im Atatürk- Flughafen in Istanbul, hatte die Kontrollen durchlaufen und saß bereits im Flugzeug, um nach Deutschland zurück zu fliegen.
Mit einem älteren Mann hatte ich auf dessen Wunsch den Sitz gewechselt. Plötzlich kamen Sicherheitskräfte in den Raum, riefen meinen Namen und stürzten auf den älteren Mann, der auf meinem Sitz saß und wollten ihn mitnehmen.
Sie wussten nur meinen Namen und hatten nicht einmal ein Foto von mir. Erst als sich der Irrtum herausstellte, nahmen sie mich fest und prügelten mich bereits im Flugzeug. Ich rief laut meinen Namen mit der Bitte, diesen nicht zu vergessen und in Deutschland über meine Verhaftung zu informieren.
Im Flughafen wurde ich in einen geschlossenen Raum gebracht und anschließend zur Antiterrorabteilung im Polizeipräsidium. Ich wurde dabei beleidigt und geschlagen.
Im Polizeipräsidium wurde mir gesagt, aufgrund der Information durch einen befreundeten ausländischen Geheimdienst (wohl der deutsche Geheimdienst) haben sie erfahren, dass ich Mitglied der als terroristisch bezeichneten DHKP/C sei.
Ich wurde 5 Tage lang intensiv gefoltert und dann zusammen mit Waffen, die nicht von mir stammten, in den türkischen Medien mit dem Hinweis präsentiert, dass ein „bewaffneter Terrorist der DHKP/C“ festgenommen worden sei.
Obwohl nichts stimmte, erging gegen mich dann auch ein gerichtlicher Haftbefehl und ich wurde in das Ümraniye Gefängnis gebracht. Meine Frage nach einem Rechtsanwalt wurde lange nur mit Schlägen beantwortet. Erst später konnte ich mit einem Rechtsanwalt sprechen.
1998 wurde ich dann vom 2. Senat des Staatssicherheitsgerichtes (DGM) von Istanbul wegen Hilfeleistungen für die DHKP/C zu einer Haftstrafe von 5 Jahren verurteilt. Obwohl die Anklageschrift auf Mitgliedschaft gelautet hatte, musste dies abgelehnt werden, da es außer Beschuldigungen durch – in der Türkei zulässige – Geheimzeugen keinerlei Beweise gab.
Ich war dann 1 ½ Jahre im Gefängnis in Ümraniye inhaftiert. Dort bekam ich auch Kontakt zu einer ganzen Reihe von Menschen, die inhaftiert waren, die später nach Deutschland fliehen mußten.
Die damaligen gemeinsamen Erfahrungen von systematischer Folter, Bedrohungen und ständigen Beleidigungen erzeugten unter uns ein Band der Solidarität, da seitens der Sicherheitskräfte alles versucht wurde, um uns zu brechen.
Mit diesen Menschen hatte und habe ich auch später in Deutschland Kontakt, auch um ihnen im Zusammenhang mit ihren Asyl- und ausländerrechtlichen Verfahren zu helfen.
Sie sind Weggefährten in einer der schlimmsten Zeiten meines bisherigen Lebens.
Im August 1999 wurde ich in das Gefängnis von Cankiri verlegt.
In der Türkei wurden damals Strafgefangene in kasernenähnlichen Hafträumen mit 20 bis 100 Personen untergebracht. Politische linke Gefangene waren in gemeinsamen Zelleräumen.
2000 sollte dann auf Druck aus den USA und Deutschland die Isolationshaft, die sogenannten Typ-F-Gefängnisse eingeführt werden. Der damalige Justizminister Hikmet Sami Türk entschloss sich zum Vollzug vom Übergangs- zum „Zellensystem“. Dagegen entwickelte sich außerhalb und innerhalb der Gefängnisse ein breiter Protest. Die politischen Gefangenen traten am 26. Oktober 2000 aus Protest gegen den Verlegungsplan in die neuen Haftanstalten in den Hungerstreik. 1150 Strafgefangene in 48 Gefängnissen nahmen teil. Obwohl sich namhafte Personen, wie der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk für uns einsetzten, scheiterten alle Versuche einer Einigung.
Türkische Sicherheitskräfte stürmten unter dem zynischen Namen „Operation Rückkehr ins Leben“ am 19. Dezember 2000 über 20 Gefängnisse, darunter auch das Gefängnis Cankiri, in dem ich mich befand. Bei dem militärischen Großangriff mit Präzisionsgewehren, Nachtsichtgeräten, Flammenwerfern, Panzern, Hubschraubern, Nerven-, Rauch- und Gasbomben, Bulldozern, Baggern, Vorschlaghämmern, Schweiß- und Bohrmaschinen wurden mindestens 30 Mitgefangene getötet und mehrere Hundert verletzt. In dem Interview im Magazin „Schattenblick“ wurde das von mir ja bereits weitergehend geschildert.
Ich erlitt damals schwere physische und psychische Verletzungen. Wegen der erlittenen Traumata bin ich bis heute in ärztlicher und psychologischer Behandlung. So habe ich massive Schlafstörungen.
Seitens der politischen Gefangenen war damals ein sich aus Gefangenen verschiedenster Richtung zusammen gesetztes Komitee gebildet worden.
Einer der Sprecher dieses Komitees war Sadi Naci Özpolat. Er war in Bayrampasa inhaftiert und wir hatten über Briefe Kontakt. Ein Cousin von ihm war mit mir in Cankiri inhaftiert.
Durch die „Operation Rückkehr ins Leben“ begann kurz danach die Verlegung in die Typ-F-Gefängnisse, die laut dem Justizminister unter Berücksichtigung der VN-Mindestgrundsätze zur Behandlung der Gefangenen laut europäischen Gefängnisregeln sowie der Empfehlung Nr. R (82) des Europarats errichtet worden wurden. 524 Gefangene wurden in die Gefängnisse Edirne, Kocaeli und Sincan verlegt. Das gab am 21. Dezember 2000 das Justizministerium bekannt.
Ich wurde später freigelassen und kehrte nach Deutschland zurück. Die Erlebnisse in der Türkei waren für mich prägend. Sie bestärkten mich in meinem Einsatz gegen Unterdrückung, Repression, Rassismus und zur Solidarität mit Flüchtlingen und Verfolgten.
Dazu werde ich in einem zweiten Teil meiner Erklärung Stellung nehmen.

Während meiner Inhaftierung wurde ich immer wieder systematisch gefoltert. Selbst bei meiner Freilassung wurde ich nochmals massiv geschlagen und getreten und mir wurde gedroht, dass ich mit meinen Tod rechnen kann, wenn sie mich wieder in die Hände bekommen würden.
Ich wurde auch nicht einfach entlassen, sondern sie fuhren mich in die Berge in der Umgebung von Ankara und warfen mich dort dann aus dem Fahrzeug. Ich musste mich dann orientieren, um nach Ankara zu kommen.
Meine Verurteilung in der Türkei erfolgte im Widerspruch zu allen geltenden Bestimmungen eines fairen Verfahrens, wie sie unter anderem in der EMRK festgelegt sind. Es hat mich deshalb auch gewundert, dass die Staatsanwaltschaft diese Verurteilung in ihrer Anklageschrift einfach unkritisch übernimmt … Für mich ungeklärt ist nach wie vor, welcher ausländische Geheimdienst seinerzeit die türkischen Sicherheitskräfte informiert und mich falsch beschuldigt und dafür gesorgt hat, dass ich inhaftiert und gefoltert wurde.
Wie ich bereits erklärt hatte, war ich in den Gefängnissen in der Türkei in Sammelzellen, in denen jeweils rund 25 Gefangene waren. Es handelte sich um politische Gefangene, die den verschiedensten linken antifaschistischen Parteien und Organisationen zugerechnet wurden, die in der Türkei oppositionell tätig waren. So Gefangene, die der TKP/ML, der TKIP oder auch der DHKP/C zugerechnet wurden.
Am 26.01. 2001 konnte ich nach Deutschland zurückkehren.
Von Beginn an stand ich unter Beobachtung des Verfassungsschutzes und des BKA und wurde mehrfach deshalb auch von Beamten des BKA angesprochen.
….
Seinerzeit war mir vorgeworfen worden, dass ich gegen den § 129 a StGB verstoßen habe, was von mir jedoch abgelehnt wurde. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde ich auch zuhause aufgesucht, wo mir dann eröffnet wurde, das Verfahren gegen mich sei nach § 170 II StPO wegen Unschuld und fehlendem Tatverdacht eingestellt worden.
Ich lebte wieder mit meiner Familie zusammen; Probleme mit der Ausländerbehörde konnten schnell gelöst werden, da mir keine subjektive Verantwortung vorgeworfen werden konnte, dass ich mehr als 6 Monate die Bundesrepublik Deutschland verlassen hatte.
Ich fand auch schnell wieder Arbeit.
Aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen mit einem Willkürprozess, Folterungen und dem blutigen Sturm der Gefängnisse durch türkische Sicherheitskräfte war es mir ein besonderes Anliegen, diese Zustände auch in Deutschland bekannt zu machen und solidarisch mit den antifaschistischen politischen Gefangenen in der Türkei zu zeigen.

Wie ich bereits erklärt habe, habe ich es immer als Aufgabe verstanden in meinem Leben gegen Ungerechtigkeiten aktiv zu sein. Aufgrund meiner Erlebnisse bereits als Kind in meinem Heimatdorf, meiner Erfahrungen mit Rassismus seit meiner Jugend in Deutschland, meiner Tätigkeit als Arbeiter und aktiver Gewerkschaftler sowie meiner Erfahrungen mit Haft und Folter in der Türkei war und ist es mir ein besonderes Anliegen, Opfern von Repression und Folter und den Machenschaften der Erdogan – Diktatur in der Türkei mit Hilfe zur Seite zu stehen.
Ich sage dies auch aus aktuellem Anlass im Zusammenhang mit dem Erdbeben:
Das terroristischer Propaganda sicher unverdächtige Magazin Focus hat am 26.02. 2023 geschrieben:
„Nach dem schweren Erdbeben steht in der Türkei alles auf Wiederaufbau. Doch es wird immer deutlicher, dass hinter dem Ausmaß der Katastrophe auch ein Geflecht aus Korruption und Vetternwirtschaft steckt. Die türkische Bevölkerung hinterfragt zunehmend das politische System des Landes. Nach großen Katastrophen ist der Ablauf immer ähnlich: Den Erschütterungen folgt der Schock. Alsbald beginnen die Bergungsarbeiten – verbunden mit der Hoffnung, Überlebende aus dem Schutt zu retten. Spätestens nach zwei Wochen, vielleicht auch früher, endet diese Phase: Die Hoffnung schwindet, der Tod besiegt das Leben. Verzweiflung greift um sich. Das große Aufräumen beginnt. Am Ende steht der Wiederaufbau. Und die Aufarbeitung. Dies ist nicht das Terrain allein der Architekten und Ingenieure. Ebenso wichtig, wenn nicht von größerer Bedeutung – das lernen wir aus der türkischen Katastrophe – ist die Rolle von Politik und Justiz. …
Geflecht aus Korruption und Vetternwirtschaft maßgeblich verantwortlich
An jedem Tag, der vergeht wird deutlicher: Ein Geflecht aus Korruption und Vetternwirtschaft ist maßgeblich verantwortlich für das Ausmaß der Katastrophe. In den letzten zwanzig Jahren avancierte die Bauindustrie zu einer zentralen Stütze des Machtsystems  – von Erdogan gehegt und beschützt. Wenn diese Säule zum Einsturz kommt, ist das gesamte System in Gefahr. >Wir sprechen bei Naturkatastrophen niemals über Demokratie<, beklagt die türkische Schriftstellerin Elif Shafak. Dabei gebe es einen Zusammenhang, so Shafak. >In einer funktionierenden Demokratie wissen die Menschen, dass es Transparenz gibt und Rechenschaftspflicht. Wenn wir jetzt diese gewaltigen Zerstörungen sehen, liegt es daran, dass es keine Demokratie gibt<. Die Konsequenzen dieser Analyse liegen auf der Hand. Es ist die Systemfrage – oder anders ausgedrückt: Je weniger demokratisch das politische System, desto größer die Gefahr, dass bei der nächsten Katastrophe abermals gewaltige Schäden entstehen, die vermeidbar wären.“
(www.focus.de/politik/ausland/erdogan-nach-dem-erdbeben-die-tuerken-stellen-jetzt-die-systemfrage_id_186608414.html)
Auch Grup Yorum ist gegenwärtig für die praktische Solidarität mit den Erdbebenopfern in Deutschland, der Türkei und weiteren Ländern aktiv.
Sie können selbst deren Aufruf „An unser Volk unser Beileid! Solidarität ist die Waffe der Völker, lasst uns unsere Solidarität stärken!“
Angesichts der gegen mich erhobenen Anklage und der Beweisaufnahme, die der Senat durchführt, frage ich mich immer wieder, warum wird durch eine deutsche Staatsanwaltschaft und ein deutsches Gericht dieses verbrecherische Erdogan System – um die Worte von Focus zu nehmen „geschützt und gehegt“ und als ein schützenswertes System behandelt.
Warum werden meine Aktivitäten, so die Mobilisierung und Organisierung von Protesten aus dem alevitischen Umfeld gegen Erdogan hier vor dem Senat behandelt? Gerechtigkeit hat etwas mit Moral zu tun. Ich kann es nicht als moralisch ansehen, dass Gegner dieses faschistischen Erdogan Systems, zu denen ich mich zähle, hier vor Gericht stehen, während zugleich jedes Opfer des Erdbebens eine Anklage dieses System ist.
Wenn die Übersetzung von Terrorismus die Verbreitung von Angst und Schrecken ist, dann müsste Erdogan hier vor Gericht gestellt werden und nicht die oppositionellen antifaschistischen Kräfte.
Aber zurück zu weiteren Geschehnissen in meinem Leben und verschiedenen Anklagepunkten:
Die Gefängniserfahrungen und die Folter hatten bei mir Spuren hinterlassen. Dies trug dazu bei, dass sich die Beziehung zu meiner Ehefrau verschlechterte und wir uns schließlich dazu entschieden, uns zu trennen und uns scheiden zu lassen.
Ich lebte nun alleine, hatte aber weiter Kontakt zu meinen Kindern. Ich war weiter als Metallarbeiter tätig und war politisch im Wuppertaler Verein der Anatolischen Föderation aktiv. Mit meinen Aktivitäten setzte ich mich für Arbeiterrechte ein, für die Gleichbehandlung von deutschen und migrantischen Arbeitern und ihren Familien. Ein Schwerpunkt waren Aktivitäten gegen die vielfältigen Formen des Rassismus. Angesichts der Ermordung von Mehmet Kubaşık am 4. April 2006 in Dortmund wies die Anatolische Föderation von Anfang an darauf hin, dass dieser Mord rassistische und faschistische Hintergründe hatte und wandte sich entschieden gegen die Versuche von Polizei (auch des BKA und LKA) sowie Bundes- und Generalstaatsanwaltschaft, einen faschistischen Hintergrund auszublenden.
Dem Senat ist vielleicht bekannt, dass die Ermittlungsbehörden damals willkürlich davon ausgingen, dass der Mord mit dem familiären Hintergrund des Opfers zusammenhänge. Witwe und Kinder wurden damals getrennt voneinander nach vermeintlichen Drogengeschäften, Mafia- und Kontakten zu revolutionären Organisationen in der Türkei des Ehemannes/Vaters befragt und lange selbst der Tat verdächtigt. Der Verdacht gegen Mehmet Kubaşık wurde sogar öffentlich gemacht und die Familie über Jahre stigmatisiert. Ein Untersuchungsausschuss kam 2017 zum Ergebnis, dass die Ermittlungen nach dem Mord von Vorurteilen geleitet gewesen seien, die Familie durch die Art der Ermittlungen stigmatisiert und kriminalisiert worden sei und Polizei und Staatsanwaltschaften in Hinblick auf strukturellen Rassismus untersucht werden müssten.
Vielleicht ist das ja auch ein Grund, warum die Aktivitäten der Anatolischen Föderation im Zusammenhang mit dem faschistischen Mord an Mehmet Kubasik nicht zum Gegenstand der Anklage gegen mich gemacht worden sind.
Ich will noch auf einige konkreten Vorwürfe der Anklage eingehen:
Während dieser Zeit benötigte ich aus privaten Gründen ein neues gebrauchtes Auto. Ü. kannte einen Autohändler. Wir waren zusammen dort und fanden auch ein Fahrzeug. Ich wollte es kaufen. Da ich einen Schufaeintrag hatte, kam der Verkauf jedoch nicht zustande und wir verließen den Autohändler. Später rief der Händler jedoch an und teilte mit, ich könnte das Fahrzeug doch kaufen. Grund des Sinneswandels war, dass das LKA ihn dazu gebracht hatte, das Fahrzeug an mich zu verkaufen, um es für seine Ermittlungen zu nutzen. In der Anklageschrift wird mir ja vorgeworfen, dass ich für die DHKP-C … als Fahrer tätig gewesen sei und für die Erledigung von Fahrten meinen PKW zur Verfügung gestellt hätte. Der Vorwurf ist nicht richtig. Selbst wenn er richtig wäre, müsste aber berücksichtigt werden, dass ich diese Tätigkeiten ohne Eingreifen der Polizei nicht hätte durchführen können, da ich den PKW nur mit Hilfe der Polizei bekommen habe.
Ende 2005 bekam ich die Niederlassungserlaubnis. Im türkischen Amtsblatt wurde bereits 2004 meine Ausbürgerung verkündet. Es ist nicht richtig, wenn die Staatsanwaltschaft schreibt, dies sei wegen Nichtleistung des Militärdienstes erfolgt. Deshalb ist meines Wissens auch kein Entzug der Staatsangehörigkeit möglich. Im Hinblick auf das Interesse der Türkei, dass sich türkische Staatsangehörige freikaufen, wird allein wegen Nichtableistung des Wehrdienstes niemand ausgebürgert. Nach dem türkischen Gesetz erfolgt eine Ausbürgerung jedoch bei Menschen, gegen die wegen ihrer oppositionellen Tätigkeit aus politischen Gründen ermittelt wird. Dies war bei mir der Fall.
Ich beantragte die deutsche Staatsangehörigkeit. Im Hinblick auf die gegen mich durch Generalbundesanwalt und Generalstaatsanwaltschaft geführten Ermittlungen habe ich diese jedoch bislang nicht bekommen. … Im Ergebnis erhielt ich einen sogenannten Staatenlosenpass, der mit erheblichen Beeinträchtigungen verbunden ist.

Auf S. 104 der Anklage werden … ohne dies zu problematisieren … die angeblichen Erkenntnisse der türkischen Strafverfolgungsbehörden wiedergegeben. Ich hatte bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass ich nach der Festnahme in der Türkei gefoltert worden bin, um Aussagen zu erzwingen. Diese angeblichen Aussagen und die Informationen der türkischen Strafverfolgungsbehörden dürfen doch nicht benutzt werden. Wie kommt die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf dazu, den Informationen eines Folterregimes zu folgen …
Auf S. 118 wird auf meine angeblichen Reaktionen im Zusammenhang mit Ecevit Sanli eingegangen. Ich kannte ihn persönlich aus der Türkei, da wir zusammen im Gefängnis in Ümraniye inhaftiert waren. Er hatte seinerzeit in der Türkei schlimmes durchgemacht. Da ich ihn persönlich kannte und viele Tage des Leides mit ihm erlebt hatte, ging mir sein Tod nahe. Ich erinnere mich, dass er Yücel genannt werden wollte, da er seinen Vornamen Ecevit nicht mochte, da ein früherer türkischer Präsident mit Nachnamen so hieß.

Auf S. 135 der Anklageschrift wird auf die Ereignisse im Zusammenhang mit dem Gefängnismassaker vom 19.12. 2000 eingegangen. In vollem Umfange verwendet hier die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf die Diktion des Erdogan Regimes. Dies ist bedauerlich und belegt erneut, wie sich hier eine deutsche Behörde durch ein diktatorisches Regime instrumentalisieren lässt.
Grotesk wird es auf der Anklageschrift auf S. 139, wenn die „Alevitischen Vereine“ in Deutschland als eine Tarnorganisation der DHKP-C bezeichnet werden. Auch dies entspricht der Diktion des Erdogan Regimes.
Die Generalstaatsanwaltschaft möge die katastrophale Behandlung der überwiegend alevitischen Erdbebenopfer in der Türkei betrachten. Für Erdogan sind wir Aleviten nichts als Terroristen und Ungläubige.
Schade, dass offensichtlich auch bei der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf eine solche Sichtweise Einfluss nimmt.

Der Verein, zu dem Grup Yorum in Siegen – Anklageschrift S. 163 – kommen wollte, ist der Alevitische Verein in Siegen. Eine legale Einrichtung und eine legale Veranstaltung.
Auch gegenwärtig tritt Grup Yorum in alevitischen Vereinen im Zusammenhang mit der Sammlung von Spenden für Erdbebenopfer auf.
Ist das Terrorismus?
Auf S. 166 wird erneut die Teilnahme am Grup Yorum – Konzert in Oberhausen angesprochen. Dafür habe ich Karten verkauft … Es ist richtig, dass ich am langen Marsch und auch an der sog. Karawane 2010 (S. 168) teilgenommen habe. Dies sind legale politische Aktivitäten, die durch mein recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit gedeckt sind.

In der Anklage sind auch die Teilnahme an den Gezi-Protesten auf den S. 172 ff. aufgeführt. Ja, es ist richtig, dass ich daran teilgenommen habe, das war für mich selbstverständlich.
Auch an den Veranstaltungen, die auf den S. 178, 179, 180 und 182 genannt sind, habe ich teilgenommen.
Dilek Dogan wurde durch die türkische Polizei am 18.10. 2015 in Istanbul ermordet. Dagegen habe ich protestiert.
Weiter wird in der Anklage … behauptet, ich hätte Geld für die DHKP-C gesammelt bzw. gespendet. Dies ist nicht richtig.
Richtig ist jedoch, dass ich für politische Gefangene Geld gesammelt und dies an die Gefangenenhilfsorganisation TAYAD gegeben habe. So erinnere ich mich, dass ich insgesamt 7500 Euro bei Verwandten für Güler Zere gesammelt habe.
Güler ZERE war 14 Jahre in der Türkei in politischer Gefangenschaft. Sie erkrankte im Gefängnis schwer an Krebs. Ihr wurde aufgrund der politischen Verhältnisse die Möglichkeit entzogen, die Krankheit frühzeitig zu erkennen und eine wirksame Behandlung durchzuführen. Obwohl sich die Krebszellen rapide ausbreiteten und 5 ärztliche Befunde deutlich darlegten, dass eine Behandlung unter Haftbedingungen nicht möglich sei, weigerte sich die Regierung lange Zeit, Güler Zere freizulassen. Im Zuge der von mir mitgetragenen Kampagne „Freiheit für Güler Zere“, wurde sie schließlich aus dem Gefängnis entlassen und ihre Behandlung wurde draußen fortgesetzt. Da es keine staatliche Unterstützung gab, wurde eine Spendensammlung durchgeführt, um sehr teure Krebsmedikamente zu kaufen. Ich beteiligte mich daran aktiv und gab dafür auch selbst Geld. Das gesammelte Geld ging dann an TAYAD. Ihr Zustand wurde jedoch immer schlechter und der Krebs breitete sich rapide aus. Sie verstarb am 7. Mai 2010. Nach ihrer Freilassung hatte Güler Zere treffend erklärt: „Sie haben mich kurz vor dem Sterben freigelassen. Mir wurde das Recht auf Leben genommen. Es wurde mir das Recht erteilt ‚draußen zu sterben‘. Auch das werde ich nicht vergessen. Drinnen gibt es immer noch kranke Gefangene“.
Für mich steht fest: Güler Zere wurde von der AKP-Regierung getötet, weil sie sie trotz der Krebsbefunde nicht freigelassen und damit ihre Behandlung verhindert wurde.
Zu der Sammlung von Spenden für sie und die Weiterleitung an TAYAD stehe ich und sehe darin keine terroristischen Aktivitäten.
Ja, und ich habe auch an einem Prozesstag im Strafverfahren gegen Musa Asoglu in Hamburg teilgenommen.
Dies ist nicht verboten und das Recht auf Öffentlichkeit ist sogar ein Grundrecht.
Auch in diesem Punkt tendiert die Anklageschrift zu einem Gesinnungsstrafrecht.
Ich bin ein antifaschistischer Mensch.
Ich bin solidarisch mit den politischen Gefangenen in der Türkei.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass ich ein Mitglied der DHKP-C bin.
Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit!

Anmerkung: Veli ist zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden