Falsche Versprechen US-Gefängnissystem: Covid-19-Gefährdete noch immer in Haft

Die derzeitige Zunahme der Covid-19-Infektionen in US-Gefängnissen und Haftzentren für Geflüchtete ist nicht nur lebensbedrohlich für eine hohe Zahl von Menschen, sondern sie stellt auch eine akute Herausforderung für die Bewegung zur Abschaffung der Gefängnisse und zur Unterstützung der Gefangenen dar. Vor allem für Gefangene mit HIV- und Hepatitis-C-Infektionen und anderen lebensbedrohlichen Krankheiten gibt es in der Haft keine angemessene medizinische Versorgung. Deshalb nehmen anfänglich leichte Erkrankungen für die Inhaftierten nur allzu oft einen schweren Verlauf und bedrohen ihr Leben. Im US-Gefängnissystem wächst die Gruppe der Senioren unter Schwarzen, Latinos, Indigenen, Asiaten und Weißen, die aus armen Verhältnissen stammen. Nach jahrzehntelanger Haft laufen sie Gefahr, an Covid-19 zu sterben.

Zu Beginn der Pandemie prägte eine Gruppe namens »No Justice Under Capitalism« den Slogan »Keine Hinrichtungen durch Covid-19« und kämpfte dafür, dass die gefährdeten Gefangenen in Massen entlassen werden. Ein US-Bundesrichter ordnete sogar an, die Hälfte der Inhaftierten des kalifornischen Staatsgefängnisses San Quentin freizulassen. Auch Politiker versprachen eine große Zahl von Entlassungen. Nichts davon wurde umgesetzt.

Die SARS-CoV-2-Variante Omikron hat zu einem sprunghaften Anstieg der Infektionen in der Bevölkerung geführt. Omikron grassiert derzeit in Gefängnissen und Untersuchungshaftanstalten im ganzen Land. Die Knastbürokratie reagiert darauf, indem sie die reale Ausbreitung vertuscht und die Gefahr für das Leben der Häftlinge herunterspielt. Diese Menschen sind jedoch besonders anfällig für Covid-19-Infektionen, weil die meisten aus Gruppen stammen, die generell durch ein profitorientiertes Gesundheitssystem unterversorgt sind. Viele leiden unter chronischen Krankheiten wie Diabetes, Hepatitis C, Bluthochdruck und Atemwegserkrankungen. Kommt eine Covid-19-Infektion hinzu, kann das für diese Gefangenen das Todesurteil bedeuten.

Die US-Kommission für Bürgerrechte hat am 20. Januar ihren neuesten Bericht mit dem Titel »Die Auswirkungen von Kautionszahlungen auf die Bürgerrechte« veröffentlicht. Darin wird belegt, dass zwischen 1970 und 2015 die Zahl der Personen, die in Untersuchungshaft genommen wurden, weil sie keine Kautionszahlungen leisten konnten, um 433 Prozent gestiegen ist. Damit wuchs die Zahl der Menschen, die in Haft genommen werden, ohne eines Deliktes überführt zu sein, exponentiell – auf eine halbe Million.

Gemeingut in BürgerInnenhand
Bei der Verhängung von Untersuchungshaft spielt in den USA Rassismus ohne jeden Zweifel eine große Rolle, weil Kautionen und Haftgründe für schwarze und hispanische Angeklagte nach strengeren Kriterien festgelegt werden. Bis zu ihrem Prozess werden diese Angeklagten in zahlreichen US-Bundesstaaten zusammen mit verurteilten Strafgefangenen untergebracht. Wie sollen in einem von rassistischen und sexistischen Vorurteilen geprägten Rechtssystem Angeklagte einen fairen Prozess bekommen?

Organisationen wie RAPP (»Release Aging People in Prison – Lasst alternde Häftlinge frei«) setzen sich unermüdlich für die Freilassung älterer und immungeschwächter Gefangener ein. Auch politische Gefangene wie Mumia Abu-Jamal, Leonard Peltier, Sundiata Acoli und Dr. Mutulu Shakur, die seit Jahrzehnten von diesem rassistischen und kriminellen Justizsystem weggesperrt werden, weil sie es gewagt haben, dieses System zu entlarven und für die Befreiung der Unterdrückten zu kämpfen, müssen freigelassen werden, weil sie in Gefahr sind, hinter den Mauern zu sterben.

Das kapitalistische System wird seine Gefängnisse nicht ohne weiteres öffnen. Die Forderung nach Abschaffung der Gefängnisse darf jedoch nicht zum Streit darüber führen, ob dieses Ziel in absehbarer Zeit zu erreichen sei. Wenn wir sagen »Free them all!«, müssen wir das ernst meinen, weil wir sonst das Überleben unserer eingekerkerten Schwestern und Brüder gefährden.

Zuerst veröffentlicht in Workers World am 25.1.2022

Von Judy Greenspan
Übersetzung: Jürgen Heiser
junge Welt 14.2.22