»Ein schwarzer Tag für die Meinungsfreiheit«
Berlin: Gericht verurteilt palästinasolidarische Aktivistin wegen »Billigung von Straftaten«. Ein Gespräch mit Ava M.
Ava M. ist aktiv bei Zora Berlin und wurde am Dienstag zu einer Geldstrafe verurteilt.
Am Dienstag wurden Sie vom Amtsgericht Berlin wegen »Billigung von Straftaten« zu einer Geldstrafe verurteilt, weil Sie im Oktober vergangenen Jahres »From the river to the sea – Palestine will be free« gerufen hatten. Wie nehmen Sie dieses Urteil wahr?
Ich nehme das Urteil einerseits als Niederlage wahr, weil wir darauf hingearbeitet haben, dass ein Freispruch gesprochen wird. Aus der Sicht meiner Anwälte und auch aus meiner persönlichen fällt die Parole, die ich am 11. Oktober gerufen habe, ganz klar unter das Grundrecht auf Meinungsfreiheit. Wir gingen davon aus, dass Meinungsfreiheit schon noch etwas wert ist in diesem »Rechtsstaat«. Andererseits überrascht mich das Urteil persönlich auch nicht, besonders, wenn wir uns anschauen, wie repressiv der deutsche Staat vorgegangen ist gegen die gesamte Palästina-Bewegung, insbesondere seit dem 7. Oktober letzten Jahres. Vermehrt wurden Strafanzeigen gegen Demonstrierende gestellt, der Palästina-Kongress vor ein paar Monaten wurde brutal abgebrochen. Wir haben heftige Polizeigewalt erlebt, im Grunde auf jeder Demonstration, die irgendeinen Bezug zu Palästina hatte. Wenn wir diese repressiven Entwicklungen betrachten, ist es letztlich auch nicht verwunderlich, dass ich in dem Verfahren – welches ein beispielhaftes Verfahren war – verurteilt wurde.
Was bedeutet das Urteil für das Grundrecht auf Meinungsfreiheit?
Ich würde mich da meinem Anwalt Alexander Gorski anschließen und sagen: Das war ein schwarzer Tag für die Meinungsfreiheit. Es zeigt, dass sich das Amtsgericht Berlin offensichtlich nicht für die Beschlüsse von Gerichten in anderen Städten interessiert. Das Mannheimer Amts- und das Landgericht hatten in einem Beschluss über die Parole nämlich anders entschieden. Das Berliner Urteil reiht sich ein in eine lange Kette von Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, die sich die letzten Monate sehr zugespitzt haben, insbesondere in der Hauptstadt.
Staatsanwalt und Richterin rechnen die Parole der Hamas zu, obwohl es sie schon viel länger gibt als die Organisation, die erst 1987 gegründet wurde. Was bedeutet »From the river to the sea – Palestine will be free« für Sie?
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Angesichts der Kriegführung Israels, des Genozids, der ja nach dem 7. Oktober als Vergeltungsschlag auch so offen angekündigt wurde, ist diese Parole für mich ein Ruf nach Freiheit, nach einer Lösung, die für alle ohne Unterdrückung funktionieren kann. Und nach dem Ende der Besatzung, die den Palästinensern jetzt seit über 76 Jahren aufgezwungen wird.
In Ihrem Statement haben Sie während der Verhandlung gesagt, dass Sie sich klar gegen »jede Art von Sexismus, Rassismus und Antisemitismus« stellen und auch viele »palästinensische und jüdische Genossinnen den gleichen Kampf kämpfen«.
Ich denke, der gemeinsame Kampf war auch beim Prozess zu spüren. Eine jüdische Person mit Kippa saß im Zuschauerraum und hat sich sehr empört gezeigt über das Plädoyer der Staatsanwaltschaft und auch über die Urteilsverkündung der Richterin. Das Urteil ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich für die Rechte der Palästinenser einsetzen, egal welcher Herkunft oder welcher Religion sie angehören.
Bei der Urteilsbegründung bezog sich die Richterin auf die »Staatsräson« und wiederholte das längst widerlegte Märchen von durch die Hamas geköpften Babys. Was würden Sie ihr entgegnen, wenn Sie die Chance dazu hätten?
Ich würde ihr vorhalten, dass die Geschichte mit den Babys schon längst als Lüge offenbart und widerlegt wurde. Und dass seit dem 7. Oktober mindestens 16.000 Kinder in Gaza durch die israelische Kriegführung ermordet wurden. Ich würde ihr auch gerne sagen, dass die sogenannte Staatsräson nicht jüdisches Leben schützt – im Gegenteil. Die »Staatsräson« wurde auf Grundlage des Naziregimes aufgebaut, was danach nie aufgearbeitet wurde. Wo Nazis in einem Land, welches nie wirklich entnazifiziert wurde, in höhere Ämter gehoben wurden. Solch einer »Staatsräson« werde ich mich niemals beugen!
Wie geht es jetzt für Sie weiter?
Wir werden das Urteil nicht hinnehmen, sondern gehen in Berufung. Ich werde die Strafe erst mal nicht bezahlen. Dann wird der Fall im Landgericht weiter verhandelt und das Urteil hoffentlich aufgehoben.
junge Welt 9.8.24