Türkei: PKK-Gefangene und HDP-Politiker treten in Hungerstreik. Abdullah Öcalans Freiheit das Ziel
»Die totale Isolation von Öcalan richtet sich nicht nur gegen ihn als Person«: Eine Fahne mit dem
In mehreren Gefängnissen in der Türkei sind Militante aus der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in einen Hungerstreik getreten, um gegen die Isolationshaft des Parteigründers und Vordenkers Abdullah Öcalan zu protestieren.
Seit mehr als zwei Jahren fehlt jedes Lebenszeichen von Öcalan, weder Oppositionspolitiker, noch Angehörige oder Anwälte dürfen den seit seiner Verschleppung vor rund 20 Jahren auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer inhaftierten Politiker besuchen. In dieser Woche lehnte die Staatsanwaltschaft zum 771. Mal einen Besuchsantrag von Öcalans Verteidigern ab. Begründet wird dies allwöchentlich mit angeblich schlechten Wetterverhältnissen oder einem Motorschaden des für die Überfahrt nach Imrali zuständigen Bootes.
Todesfasten
Bereits seit dem 7. November befindet sich die Politikerin der linken Demokratischen Partei der Völker (HDP) Leyla Güven im Gefängnis von Diyarbakir in einem unbefristeten Hungerstreik, der auch als Todesfasten bezeichnet wird. Güven sitzt als einzige derzeitige Abgeordnete noch in Untersuchungshaft. Weil sie als Vorsitzende des legalen Dachverbandes »Kongress für eine demokratische Gesellschaft (DTK) den Einmarsch der türkischen Armee in die nordsyrische Region Afrin in Januar 2018 als »Besatzung« bezeichnet hatte, wirft ihr die Staatsanwaltschaft Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor und fordert 46 Jahre und sechs Monate Haft. Mit ihrem Hungerstreik protestiert Güven allerdings nicht nur gegen ihre Inhaftierung, sie fordert vor allem, dass die Isolationshaft Öcalans aufgehoben wird.
Am 27. November – dem 40. Gründungstag der PKK – schlossen sich Tausende in der Türkei inhaftierte Militante der Partei unter dem Motto »Leyla Güvens Forderungen sind auch unsere Forderungen« dem Hungerstreik an. Außerhalb der Gefängnisse folgten dem Beispiel vorübergehend auch HDP-Politiker. Auch in Dutzenden europäischen Städten finden Mahnwachen und Hungerstreiks von Kurden statt. In Kobani und Derik im nordsyrischen Selbstverwaltungsgebiet Rojava sowie in einem kurdischen Viertel von Aleppo führte die dortige Frauenbewegung Solidaritätsaktionen mit Leyla Güven durch, an denen sich neben Kurdinnen auch Araberinnen und Assyrerinnen beteiligten.
Von der kurdischen Bewegung wurde bereits vereinzelt angekündigt, einige Gefangene und Politiker würden von dem vorübergehenden Hungerstreik zum Todesfasten übergehen. Die türkische Regierung scheint das nervös zu machen. In Diyarbakir, Van und Batman stürmte die Polizei zu Wochenbeginn HDP-Zentralen und nahm Dutzende Hungerstreikende fest. »Die totale Isolation von Öcalan richtet sich nicht nur gegen ihn als Person. Sie betrifft 80 Millionen Bürger und ebenso die Zukunft der Türkei. Denn mit seiner Isolation zusammen wurde die Entscheidung zum Krieg getroffen«, unterstrich die HDP-Abgeordnete Meral Danis Bestas die Bedeutung Öcalans, den Millionen Kurden als ihren politischen Repräsentanten begreifen.
Isoliert seit 1999
Seit seiner Gefangennahme im Februar 1999 befindet sich Öcalan, bewacht von tausend Soldaten und Polizisten, auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer. Mit seinen umfangreichen geschichtsphilosophischen »Verteidigungsschriften« leitete er aus der Haft heraus einen Kurswechsel der kurdischen Freiheitsbewegung ein – weg vom Ziel der Eigenstaatlichkeit und hin zu einer rätedemokratischen Selbstverwaltung unter Einbeziehung aller Volksgruppen und Glaubensgemeinschaften ohne Veränderung der bestehenden Staatsgrenzen. Eine Guerillaoffensive und anschließend ein unbefristeter Hungerstreik von Tausenden PKK-Gefangenen führten Ende 2012 zur Aufnahme von Gesprächen zwischen Vertretern der AKP-Regierung und Öcalan. Der Friedensprozess wurde allerdings vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan 2015 abgebrochen und der Krieg gegen die PKK erneut eskaliert, da die kurdische Seite nicht bereit war, eine Präsidialdiktatur in der Türkei zu unterstützen.
junge Welt 13.12.18
Von Nick Brauns