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Gegendarstellung zur Sendung des ARD-Mittagsmagazins über Gefängnismedizin

GG/BO Soligruppe Jena: Am 3. Januar 2019 lief im ARD-Morgenmagazin ein knapp fünfminütiger Kurzbeitrag über die Gefängnismedizin. Aus Perspektive eines Gefängnisarztes wird darin v.a. über die Probleme drogenabhängiger Häftlinge berichtet. Positiv hervorgehoben werden dabei die Bemühungen des Arztes zugunsten der Gefangenen. Durch die Dethematisierung bzw. das Verschweigen struktureller Probleme beschönigt der Beitrag die katastrophale Lage der Gefängnismedizin, weswegen wir uns als Soligruppe Jena der Gefangenen-Gewerkschaft zu folgender Gegendarstellung veranlasst sahen.

Im Rahmen der „Aktionstage Gefängnis“, die im September 2018 vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, dem Deutschen Caritasverband und der Gefangenen-Gewerkschaft veranstaltet wurde, haben wir als Solidaritätsgruppen der Gefangenen-Gewerkschaft bereits ein grundlegendes Positionspapier veröffentlicht. Darin mussten wir auf Grundlage von Ergebnissen wissenschaftlicher Studien, guter journalistischer Arbeit und der Erfahrung der inhaftierten Gewerkschafter*innen folgendes feststellen:

Die Gesundheit der Gefangenen wird durch den Strafvollzug massiv geschädigt – sowohl körperlich wie seelisch.
Gleichzeitig werden die Gefangenen im Strafvollzug systematisch unterversorgt oder gar nicht versorgt – v.a. aufgrund des Ausschluss aus der gesetzlichen Krankenversicherung, der Verweigerung der freien Arztwahl sowie der systematischen Unterfinanzierung und personellen Unterbesetzung der Gefängnismedizin.
Diese Situation führt zu extremen Ohnmachts- und Gewalterfahrungen auf Seiten der Gefangenen. Beispiele gibt es unzählige. An dieser Stelle sei nur auf zwei aktuelle eingegangen.

Eine Gefangene in der JVA Chemnitz wird aufgrund einer Agoraphobie mit Panikstörung die Haftunfähigkeit bescheinigt. Trotzdem erhält sie keine Haftunterbrechung zwecks stationärer Therapie und noch nicht einmal eine ambulante Therapie. Im Gegenteil, die Anstalt hat ihr Suizidalität unterstellt und sie – angeblich zum Selbstschutz – eine Nacht in den sogenannten besonders gesicherten Haftraum (BGH) gesperrt. Der BGH ist ein kahler, gefließter, dauerüberwachter und dauerblichteter Raum, in dem die Gefangene ohne jegliche persönliche Gegenstände total isoliert wird. Er wird von den Gefangenen nicht umsonst „Bunker“ genannt und führt zu einer krassen psychischen Belastung. Zuletzt wurden ihre Persönlichkeitsrechte dadurch verletzt, dass ärztliche Gutachten und Verlaufsbögen über sie ohne ihre Einwilligung, d.h. gegen die Schweigepflicht, weitergeleitet wurden.

Ein Gefangener in der JVA Rosdorf hatte im November einen Sportunfall und hat sich dabei sein Knie so stark verletzt, dass er unter starken Schmerzen leidet und sich ohne Gehhilfen nicht mehr bewegen kann. In den über zwei Monaten, die seitdem vergangen sind, hat er weder eine angemessene Untersuchung (MRT), noch eine Behandlung erhalten.

Gegen diese Zustände wehren sich die Gefangenen – individuell oder in ihrer Gewerkschaft, der Gefangenen-Gewerkschaft. Eine ordentliche journalistische Arbeit hätte die Erfahrungen der Gefangenen, die strukturelle Gewalt und medizinische Unterversorgung, der sie ausgesetzt sind, sowie ihren Widerstand in die Berichterstattung einbezogen. Die erwähnte Gefangene aus der JVA Chemnitz hat sich nun mit einem Schreiben an die Zuschauerredaktion des ARD gewandt, ihr umfangreiche Informationen über ihren Fall zukommen lassen und sich bereit erklärt, gemeinsam mit der ARD einen weiteren, kritischen Beitrag über die Zustände in der Gefängnismedizin zu erarbeiten. Wir fordern das ZDF an dieser Stelle auf, dieses Angebot gut zu überdenken.

Jena, 25 Januar 2019

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