Information der Verteidigung – 20.12. 2023
Haftbeschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) gegen die Verweigerung der notwendigen medizinischen Behandlung des krebskranken Ihsan Cibelik eingelegt
Am 20.12. 2023 wurde seitens der Verteidigung von Ihsan Cibelik gegen die Verweigerung der notwendigen medizinischen Versorgung durch Ablehnung des Antrags auf Haftunterbrechung durch die Verteidigung Beschwerde zum BGH eingelegt. Am 12.12. 2023 hatte der 7. Strafsenat (Staatsschutzsenat) des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG) im Düsseldorfer Kommunistenprozess gegen drei angebliche Mitglieder der DHKP-C – – gegen den Musiker Ihsan Cibelik der international bekannten Musikband Grup Yorum sowie die Journalistin Özgül Emre und den Antifaschisten Serkan Küpeli – (Aktenzeichen: III-7 StS 1/23) den Beschluss gefällt (https://dhkpcverfahren2023129b.wordpress.com/2023/12/17/olg-dusseldorf-staatsschutzsenat-aktenzeicheniii-7-sts-1-23beschluss-vom-12-dezember-23-des-7-strafsenat-des-olg-dusseldorf-mit-dem-der-antrag-auf-haftunterbrechung-fur-den-krebskranken-ihsan/ ), die seit 19 Monaten andauernde Untersuchungshaft von Ihsan Cibelik trotz dessen Krebs und einer deshalb dringend notwendige Operation nicht zu unterbrechen.
In der Beschwerdeschrift seiner Verteidigung vom 20.12. 2023 heißt es u.a.:
„Zu Unrecht wird in dem angefochtenen Beschluss sowohl eine fortdauernde Fluchtgefahr wie eine fortdauernde Haftfähigkeit angenommen.
Der Haftgrund der Fluchtgefahr besteht jedenfalls nicht mehr, nachdem durch die am 7. September 2023 vorgenommene Biopsie in der Universitätsklinik Köln Prostatakrebs festgestellt worden ist. … So fehlt jegliche Auseinandersetzung bzw. Bewertung der von der Verteidigung vorgelegten umfangreichen medizinischen Stellungnahmen bzw. Behandlungsempfehlungen. Ebenso wenig werden letztlich die Ausführungen der Verteidigung zur Persönlichkeit unseres Mandanten zur Kenntnis genommen, die ganz eindeutig gegen eine Fluchtgefahr sprechen.
Eine Flucht bzw. ein Untertauchen unseres Mandanten hätte, wie im Haftantrag ausgeführt, für ihn weit negativere Auswirkungen als sich, nach Durchführung der von ihm gewünschten Operation bzw. der dann erforderlichen Maßnahmen der Rehabilitation, dem weiteren Verfahren zu stellen. … Anhaltspunkte dafür, dass sich unser Mandant aufgrund eines Sinneswandels nicht operieren lassen und stattdessen untertauchen könnte, werden nicht genannt. Die Annahme des Senats, dass angeblich die DHKP-C auch medizinische Hilfe bis hin zu Operationsmöglichkeiten aufbieten könnte, entbehrt jeder tatsächlichen Grundlage – zumal im Zusammenhang mit einer dermaßen spezialisierten Operation, um die es vorliegend geht. … Bewusst vom Senat missverstanden wird unser Mandant, wenn seiner Entscheidung für eine Prostatektomie die ärztliche Empfehlung einer Beobachtungstherapie gegenübergestellt wird, verbunden mit der Erkenntnis, dass nach der Stellungnahme der Anstaltsärztin vom 20. November 2023 er „nicht akut gesundheitsgefährdet, nicht todkrank und (sich) in gutem, stabilen, durchaus haftfähigen Allgemeinzustand (befinde)“ Mag die Lebensgefahr nicht unmittelbar bevorstehen, so kann sie aber jederzeit eintreten, sobald eine Metastasierung begonnen hat, was aufgrund der Tatsache, dass zu einem Zeitpunkt von nunmehr dreieinhalb Monaten nach Durchführung der Biopsie noch nicht einmal ausgeschlossen werden kann, dass eine Metastasenbildung bereits eingesetzt hat. Dies ist in den letzten dreieinhalb Monaten schlicht nicht untersucht worden. … Weiter liegen erhebliche Anhaltspunkte für von der JVA bzw. deren ärztlichem Dienst zu vertretende medizinische Verzögerungen vor, auf die selbst der Senat in seinem Beschluss vom 12. Dezember 2023 hinweist. Wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass bei Inhaftierung konkrete Lebensgefahr besteht oder irreparable Schäden an der Gesundheit, muss Haftunfähigkeit angenommen werden. Von besonderer Bedeutung ist der prozessuale und medizinisch-diagnostische Weg zur Feststellung haftverhindernder Krankheitszustände – mit Blick auf die realen medizinischen Versorgungsmöglichkeiten bzw. der fehlenden intensiv medizinischen bzw. regelmäßigen spezialmedizinischen Kontrolle, Diagnostik und Überwachung sowie Behandlung im Haftvollzug. Unser Mandant will nicht warten, bis man gegebenenfalls eine Metastasierung feststellen kann. Er will sie verhindert wissen. Allein die konkrete Gefahr einer irreparablen schweren Gesundheitsschädigung, und hierzu gehört die Metastasierung, verbietet in Wahrung der Grundrechte auch eines Inhaftierten eine Haftfortdauer immer dann, wenn eine akute, intensive Spezialbehandlung notwendig ist, um den Eintritt eines dauerhaften Schadens, und dies wäre bei Streuung in andere Organe der Fall, entgegenzuwirken. Ein solches Risiko massiver Lebens- und irreparabler Gesundheitsgefahr wäre ein menschlich unzumutbares, strafrechtlich nicht berechenbares Risikopotenzial. … Der angefochtene Beschluss vom 12. Dezember 2023 ordnet das Grundrecht unseres Mandanten auf Leben und gesundheitliche Unversehrtheit letztlich dem staatlichen Interesse an der weiteren Durchführung der Hauptverhandlung unter. … Besteht die ernsthafte Befürchtung, dass der Beschuldigte bei Durchführung der weiterer Durchführung der Hauptverhandlung ohne unverzügliche Operationsmöglichkeit einen schwerwiegenden oder gar irreparablen gesundheitlichen Schaden erleiden würde, so ist vorliegend zumindest Haftunterbrechung geboten. … Soweit der Senat darauf abgestellt hat, dass die Beobachtungstherapie gegenüber der gebotenen Prostatektomie vorrangig sei und deshalb bei der vom Angeklagten gewünschten Operation zeitliche Verzögerungen in Kauf zu nehmen wären, widerspricht dies dem verfassungsrechtlich gebotenen Abwägungsprozess, weil völlig einseitig die akute Gefahr einer bis jetzt nicht geprüften Metastasierung sowie die deshalb nicht abwägbaren, u.U. lebensgefährlichen Folgen einer weiteren zeitlichen Verzögerung außer Acht gelassen werden. … Die Wahlmöglichkeit des Erkrankten, welche Therapie er wählt und zu welchem Zeitpunkt er sie durchführen lässt, muss vollumfassend gewährleitet werden und steht höher als vermeintliche Haftgründe – wie vorliegend zur Sicherung der Durchführung der Hauptverhandlung.“
Ihsan Cibelik selbst ist aus Protest gegen den sein Leben und seine Gesundheit gefährdenden Beschuss des Staatsschutzsenates am 19.12. 2023 in den Hungerstreik getreten. (https://dhkpcverfahren2023129b.wordpress.com/2023/12/19/presseinformation-der-verteidigung-vom-18-12-2023/ )