In der Nacht vom 6. auf den 7. Juni, wurde in Hannover ein Brandanschlag auf Militärfahrzeuge verübt. Auf dem Gelände des Dienstleistungszentrums der Bundeswehr brannten 6 LKW, 3 VW-Busse und 4 PKW. Die Täter kannten sich erstaunlich gut aus: Sie überwanden den Zaun an einer Stelle, der von den Überwachungskameras nicht erfasst werden konnte und sie schlugen exakt zu einem Zeitpunkt zu, als eine Flotte fabrikneuer Fahrzeuge für eine Nacht auf dem Platz abgestellt war. So die Presse. (HAZ-Online. 7.6.2012)
Zwei Tage später ging bei mehreren Medien ein anonymes Bekennerschreiben ein, von dem die Polizei den Eindruck habe, dass es authentisch sei – wie es hieß. Der Wortlaut des Schreibens, das in der „Jungen Welt“ (9.6.2012) veröffentlicht wurde, sei hier dokumentiert: (siehe pdf)
Soweit das möglicherweise authentische Bekennerschreiben und so weit die bislang bekannten Fakten. Einen Tag bevor dieses Schreiben bekannt wurde und die Sprecherin des Verfassungsschutzes ausdrücklich betonte, die Polizei stehe erst am Anfang der Ermittlungen und man solle jetzt nicht vorgreifen und „bestimmte Gruppen“ stigmatisieren, wusste die Hannoversche Allgemeine Zeitung bereits, wo die Täter zu suchen seien: In der hannoverschen Antikriegsbewegung, die zur Zeit die alljährliche Protestdemonstration gegen das für den 29. Juni geplante „Sommerbiwak“ der 1. Panzerdivision vorbreitet. Der Verfassungsschutz nämlich – so die Begründung – habe einen „Blick auf Antimilitaristen“. Dann wird aus dem Verfassungsschutzbericht zitiert, in dem wiederum der „Antimilitaristische Aktionskreis“ zitiert wird, nämlich so: „Das Sommerbiwak ist für uns der Anlass, diejenigen, die von Krieg und Ausbeutung profitieren, mit sichtbarem um hörbarem Protest und Widerstand zu konfrontieren und ihnen die Akzeptanz zu entziehen“. Inwiefern dieser Satz etwas mit dem Anschlag auf die Bundeswehrfahrzeuge zu tun haben könnte, wird nicht erklärt, kann auch gar nicht erklärt werden, weil er damit in keinem Zusammenhang steht. Er stammt nämlich aus einem früheren Protestaufruf des antimilitaristischen Aktionskreises (AMAK), einem Bündnis verschiedener Gruppen aus ganz unterschiedlichen politischen Spektren. Vertreten sind beispielsweise das Friedensbüro Hannover, Attac, die Grüne Jugend, der Arbeitskreis Regionalgeschichte, die Rote Aktion Kornstraße und andere.
Da die Zitate aus dem Verfassungschutzbericht in keinerlei zeitlichem und inhaltlichem Zusammenhang mit dem Anschlag auf die Bundeswehrfahrzeuge stehen, stellt die HAZ diesen Zusammenhang per Layout her. Unter den Fotos von den ausgebrannten Fahrzeugwracks und gleich neben der fetten Schlagzeile „13 Fahrzeuge der Bundeswehr zerstört“ ist die Subüberschrift „Verfassungsschutz hat Blick auf Antimilitaristen“ platziert.
Bei flüchtigem Lesen der den Bildern untergeordneten Schlagzeilen und Texte entsteht der Eindruck, hannoversche Antimilitaristen und speziell der Antimilitaristische Aktionskreis stünden im Zusammenhang mit dem Anschlag. Manipulation der plumpesten Art – aber typisch für die seit geraumer Zeit zu beobachtende „Boulevardisierung“ der Presse, die zunehmend ihren Gebrauchswert als Nachrichtenmedium verliert. In ihrem medienkritischen Buch „Blödmaschinen – die Fabrikation der Stupidität“ konstatieren die Autoren Markus Metz und Georg Seeßlen: „Der Vorgang der Nachrichten-Übermittlung (…) ist gleichsam ein natürliches Feld der Fälschung.“ (S. 370) Und an andere Stelle: „Mit der Erweiterung des Nachrichten-Feldes wird auch das Feld der Fälschungen erweitert und vor allem die Grauzone zwischen Information und Fiktion.“ (S. 372)
Volker Goebel, der Kommentator der HAZ (7.6.2012) gleitet dann endgültig aus der Grauzone ins Fiktionale, indem er den Anschlag auf Bundeswehrfahrzeuge in Hannover gleichsetzt mit Anschlägen auf Bahnlinien, um dann schlussfolgern zu können, die Attentäter würden in Kauf nehmen, „dass Menschen zu Schaden kommen“ – was ja nun in Hannover gerade nicht der Fall war. Aber was nicht passt, wird passend gemacht. Nachdem Goebel alles in einen Topf gerührt hat, steigert er sich zu einem furiosen Ende: „Linksextremisten“, glaubt er erkannt zu haben, knüpften mit den Anschlägen „an ein düsteres Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte an: Die Ära des RAF-Terrorismus begann mit dem Legen von Brandsätzen. Anfangs wurde betont, es gehe doch nur um Gewalt gegen Sachen. Doch auf einer schiefen Ebene rutschte die Bewegung bald in Richtung Terror.“
Weder mit der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch mit der Geschichte der RAF scheint Goebel sich sonderlich gut auszukennen. Doch darauf kommt es auch gar nicht an. Goebel und seiner HAZ geht es um Stimmungsmache gegen die hannoversche Friedens- und Antikriegsbewegung. Die Proteste gegen das Sommerbiwak der 1. Panzerdivision sollen kriminalisiert, potentielle TeilnehmerInnen abgeschreckt, die Antikriegsbewegung soll gespalten werden. Demonstrationsauflagen oder sogar –verbote – und hier schließt sich der Kreis – lassen sich dann bei Bedarf mit dem herbeihalluzinierten Gefahrenpotential begründen, das von den antimilitaristischen Demonstrationen und Kundgebungen ausgehe.
Die Hetze der HAZ zielt auf das Demonstrationsrecht und ist im Kern antidemokratisch.