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Heute: Urteil im RZ-Prozess | Junge Welt von heute

Im Prozeß gegen das vermeintliche Mitglied der »Revolutionären Zellen« (RZ), Sonja Suder, will das Landgericht Frankfurt am Main am heutigen Dienstag das Urteil verkünden. Der 80jährigen, die nunmehr seit über zwei Jahren in Untersuchungshaft sitzt und jegliche Aussage vor Gericht verweigert hatte, wurde seitens der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, in den 1970er Jahren an verschiedenen Anschlägen der linken Stadtguerilla beteiligt gewesen zu sein.

Konkret soll Suder laut der Anklagebehörde unter anderem Waffen für einen Überfall auf die OPEC-Konferenz 1975 in Wien transportiert haben und in Anschläge auf die MAN-Werke in Nürnberg, das Heidelberger Schloß sowie die Firma Klein, Schanzlin & Becker AG (KSB) in Frankenthal involviert gewesen sein.

Ursprünglich war der Prozeß gegen Suder und ihren Lebensgefährten Christian Gauger gemeinsam geführt worden. Das Verfahren gegen Gauger war jedoch aufgrund seines ausgesprochen schlechten Gesundheitszustandes vorübergehend eingestellt worden (jW berichtete). Hingegen wurden alle Anträge der Verteidigung, die betagte Sonja Suder zumindest aus der Haft zu entlassen, von den Richtern abgelehnt. Dies mit der zynisch anmutenden Begründung, daß aufgrund ihres hohen Alters von einer erhöhten Fluchtgefahr ausgegangen werden müsse. Schließlich sei damit zu rechnen, daß Suder nach einer möglichen Verurteilung den Großteil ihres restlichen Lebens in Haft verbringen müsse, so das Gericht.

Der gesamte Prozeß hatte im In- und Ausland zu Protesten von linken Gruppen und Bürgerrechtsorganisationen geführt. So warf das »Komitee für Grundrechte und Demokratie« dem Gericht vor, gegen die Grund- und Menschenrechte zu verstoßen, an die alle staatliche Gewalt gebunden sei. Die »Internationale Liga für Menschenrechte« hatte die Frankfurter Richter mittels eines offenen Briefes aufgefordert, alles zu tun, »um das Recht der Angeklagten auf ein gerechtes Verfahren vor einem unparteiischen Gericht zu erfüllen und alle für ihre Verteidigung notwendigen Garantien einzuhalten«.

Besagter Aufforderung war das Landgericht jedoch offensichtlich nicht nachgekommen. So ließen die Frankfurter Richter etwa Vernehmungsprotokolle des Zeugen Hermann Feiling aus dem Jahr 1978 verlesen. Feiling mußten in Folge eines schweren Explosionsunfalles beide Augen entfernt und die Beine oberhalb der Oberschenkel amputiert werden. Der Schwerverletzte, der unter diversen Medikamenten gestanden hatte, war damals unmittelbar nach seiner Operation von Beamten verhört worden, was von Bürgerrechtsorganisationen »als Verstoß gegen das Folterverbot« gewertet wurde. Auch ein von einer Traumatologin erarbeitetes Gutachten, in dem diese zu dem Schluß kam, daß Feiling schon damals aufgrund des Unfalls wahrscheinlich an einer posttraumatischen Belastungsstörung gelitten habe, in seiner Willens- und Urteilsfähigkeit eingeschränkt war und nicht hätte vernommen werden dürfen, ließ das Gericht kalt.

Während die Verteidiger Suders deren Freispruch in allen Anklagepunkten fordern, sprach sich Staatsanwalt Bernd Rauchhaus bei seinem Abschlußplädoyer für eine Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten aus. Unterstützer der 80jährigen rufen unterdessen zur Solidarität mit der Angeklagten und zur Teilnahme an der heutigen Urteilsverkündung auf.

Urteilsverkündung im Landgericht Frankfurt am Main, 9 Uhr, Gerichtsstr. 2

www.verdammtlangquer.org

Markus Bernhardt / Junge Welt vom 12. November 2012