Am vorletzten Mittwoch, den 06 Februar, fiel ein weiteres Urteil in einem §129b Prozess. Diesmal gegen Musa Aşoğlu in Hamburg. Wie bereits in vergangen Prozessen war auch hier nur ein Justiztheater mit Verurteilung zu hohen Strafen zu erwarten.
Dennoch soll hier einmal auf 42 Jahre §129 geschaut werden, und ein Vergleich mit dem Stammheim-Prozess aufgezeigt werden.
Am vorletzten Mittwoch wurde erneut ein Gerichtsurteil in der Bundesrepublik in einem § 129b Prozess gesprochen. Der am 2. Dezember 2016 festgenommene Niederländer Musa Aşoğlu wurde mit der Anschuldigung der “Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland” in der DHKP-C zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 9 Monaten durch die zuständige Richterin verurteilt.
Die genauen Umstände des Urteils sollen hier nicht nochmals genannt werden. Sie sind bereits in Artikeln wie diesen (http://political-prisoners.net/item/6763-zum-prozess-gegen-musa-asoglu.html) benannt, und können dort detailliert nachgelesen werden. Hier soll eher eine vorläufige Bilanz gezogen werden. Die politische Justiz über den § 129 Strafgesetzbuch (StGB) hat lange Tradition, und beansprucht bereits antikommunistische Verfolgung seit seiner Entstehung im August 1951. Damals ging es allerdings noch um die Verfolgung rein „strafrechtlicher Handlungen“ durch „kriminelle Vereinigungen“. Dies änderte sich mit dem Stammheim-Prozess ab dem Jahr 1974.
Von da an geht es gegen die „terroristische Vereinigungen“. Hier geht es gegen deren „Mord, Totschlag, Völkermord und Straftaten gegen die persönliche Freiheit“ wie es § 129a StGB selbst steht. Der Paragraph selbst wurde am 18. August 1976 beschlossen und richtet sich mit mehreren Änderungen im Strafgesetz und der Strafprozessordnung gegen die damaligen Angeklagten Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan Carl Raspe in Stuttgart-Stammheim. Die Abänderungen sind schon sehr schwerwiegend und betreffen folgende Punkte (vgl. Werkentin 1991: 21):
1. Eine vereinfachte Beweisführung; den Verzicht auf den Nachweis von konkreten Handlungen und Beteiligungen an vorgeworfenen Delikten.
2. Die Möglichkeit der Haft in Haft; „Isolierhaft“ als Maßnahme gegen das „Fortsetzen des Verhaltens“ als staatliche Organe (BGHSt 26, 228), sowie die Möglichkeit die Verhandlungen auch in Abwesenheit der Angeklagten fortzusetzen.
3. Die Legitimation für sämtliche „Ermittlungsorgane“ unbegrenzte Arsenale zur Ausforschung einzusetzen.
4. Kriminalisierungen und repressive Maßnahmen gegen jeden und alles, der mit dieser Vereinigung in Verbindung gebracht werden könnte.
In den Verhandlungen in Stammheim wurde von all dem auch Gebrauch gemacht. Es wurden falsche Zeugen genutzt, Anwälte ausgeschlossen, Anwaltsgespräche abgehört, die Gefangenen isoliert und erm..t, deren Schriftverkehr zensiert und sogar ohne ihre Anwesenheit verhandelt.
Heute, knapp 45 Jahre später, besteht dieses Gesetz immer noch. Es findet nun zusätzlich Anwendung in der Verfolgung nach § 129b – die Expansion des § 129a als „Terroristische Vereinigung im Ausland“. Hier wird auch erstmals deutlich: scheinbar war der vor 43 Jahren kreierte 129a derart erfolgreich, dass man ihn über die nationalstaatlichen Grenzen hinaushiefen kann, und Vereinigungen und vermeintliche Mitglieder bestrafen kann, die noch nicht mal Bürger oder „Vereinigungen“ in der BRD und damit des Gesetzbuches sind. Dennoch gibt anscheinend der 40-Jährige „Erfolg“ im Sinne einer Absicherung gegen „Vereinigungen“ genug Legitimation für dieses Vorgehen.
Ganz im Sinne dieser Idee startet auch die vorsitzende Richterin Musa Aşoğlus die Urteilsverkündung. In der Legitimation als Urteilende spricht sie davon „[…] Rechtsstaatlichkeit duldet Tötungen der DHKP-C nicht […]“. Sie hätte stattdessen „[…] Respekt davor, wenn in der Türkei friedlich für Menschenrechte und Demokratie demonstriert wird […]“. Zu dem repressiven Vorgehen, den Morden und der Foltereien in der Türkei äußerte sie sich nicht. Stattdessen machte sie weiter mit der Einlassung. Sie habe hier erwartet, der Angeklagte würde zu seinen Überzeugungen stehen, und würde auch zu ihr sprechen. Aber schließlich, so die Richterin weiter, habe er nur über 6 Monate geredet, ohne zu den Tatvorwürfen Stellung zu nehmen. Er habe nur Fragen gestellt, und letztlich ihre Zeit gestolen, so die Richterin.
Das war auch in Stuttgart-Stammheim im Januar 1976 erkennbar. Die damalige Einlassung nahm Stellung zur „Politik der RAF“, und stellte die damalige Situation sowie die Konsequenzen dar. Gundrun Ensslin kommentierte die Reaktion des Gerichts: „Das Gericht hat ihn [den Text; Die Erklärung zur Sache] ignoriert. Eine Reaktion, die nur zwei Deutungen zulässt: Sie haben nichts verstanden, aber wahrscheinlicher: Prinzing darf die Verantstaltung nicht abkürzen, weil sie von der Dramaturgie des Bundestagswahlkampfes bestimmt ist“ (http://delete129a.blogsport.de/2007/09/03/anderslautern-bemerkungen-aus-anlass-der-stammheim-tondokumente/)
In beiden Fällen ist recht klar, dass gegenüber den politischen Erklärungen von Senaten und Gericht schlicht Ignoranz geübt wird. Es wird weder die Bereitschaft noch irgendein Interesse gezeigt, die Angeklagten überhaupt zu verstehen. Stattdessen sind die Erklärungen, bei denen sich die Angeklagten schon etwas gedacht haben, als ein Schaupiel zu verstehen, damit den ohnehin verurteilten Angeklagten nicht gänzlich der Mund verboten wird, und man den Eindrücken eines „Schauprozesses“ entkommt. Das weiterhin eingeforderte Gespräch durch die Richterin kommt einer Erpressung eines gewünschten Verhaltens gleich. Die Angeklagten sind in dieser Situation nicht mehr nachdenkende Wesen, die entscheiden können, was passiert, sondern sie werden zu Marionetten in einem Theaterspiel, um die „Dramaturgie“, wie Ensslin es nannte, aufrechtzuerhalten.
Das Possenspiel setzt sich auch bei Musa Aşoğlu ein. Die Richterin nimmt Bezug auf die Anschuldigungen durch das Gericht. Er sei als Bindeglieb zwischen Führung und Kadern in den jweiligen Ländern zu bezeichnen. Der Zweck selbst der Vereinigung DHKP-C sei Mord und Todschlag. Ihre konkrete „Mitgliedschaft“ ergebe sich durch ein 8-jähriges Eingebundensein in die Organisation der DHKP-C, so die Richterin. Aşoğlu sei hierbei in hochrangiger Position gewesen.
Das scheint dem Senat für eine Begründung einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 9 Monaten zu langen. Ähnlich ist es auch in Stuttgart-Stammheim abgelaufen. Auch wenn die Anklagepunkte „schwerwiegender“ (Mord, Mordversuch) waren, so ist der Prozessverlauf von der Anklageschrift zur Urteilsbegründung ähnlich vage. Im Prinzip ist auch dieser Prozess durch einfaches Aneinanderketten von Indizien geprägt: gefundene Fingerabrücke, unkonkrete Zeugenaussagen, RAF-Schriften und Kassiber, unglaubwürdige Kornzeugen. Alles in Allem hat man 1977 kaum etwas in der Hand. Trotzdem sieht die Bundesanwaltschaft „[…] die persönliche Mitwirkung jedes einzelnen der Angeklagten [… als] ausreichend bewiesen […]“ (Bakker Schut 1986: 449) an. Sie verurteilt die übrigen drei Angeklagte Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan Carl Raspe (Ulrike Meinhof und Holger Meins hatte man bereits vorher erm…rden lassen) zu langjährigen Haftstrafen. Die Urteilsbegründung ist in weiten Sinne dieselbige wie die Anklageschrift (vgl. ebd.: 453).
Nach mehr als 40 Jahren kann damit sicher von vorverurteilten Angeklagten gesprochen werden. Beiden Prozessen kann ebenso das Label „Schauprozess“ verliehen werden. Mit Rechtsstaatlichkeit, an die ein Otto Schily damals noch so sehr glaubte, hat das nichts zu tun. Eher hat es was von einem institutionalisierten Ablauf, der auf menschenunwürdige Weise versucht, einen nicht mehr kontrollierbaren Teil seiner Gesellschaft mit allen Mitteln aus dem Denken seiner Mitglieder zu entfernen. Der Ablauf steht dabei fest: Kronzeugen und haltlose Indizien, Isolationsfolter zur Geständniserpressung, Ausschluss von Verteidigern, Verhandlungen in Abwesenheit der Angeklagten, „plötzlicher Tod in der Zelle“, Kriminalisierungen des Umfelds. Es ist ein institutionalisierter Ablauf: von Neuen Anwälten und Richtern lernbar und durchführbar.
Es darf auch nicht internationale Einbindung vergessen werden. „Vereinigungen“, die sich gegen Institutionen des US-Imperials richten, werden hier scheinbar mit besonderer Härte berücksichtigt. Sie scheinen in besonderer Weise die imperialistische Interessen im In- und Ausland zu bedrohen. Diese systemische Zusammenhänge waren auch bei der RAF, als auch bei Musa Aşoğlu greifbar. Aşoğlu kommentierte bereits am Anfang seines Prozess, dass die Verurteilung bereits feststünde, und dass dessen Funktion auf das Mitmachen bei diesem Justitztheater reduziert sei. Eine sehr weitsichtige Einschätzung, denn die Richterin hatte sogar die Besucher der Urteilsverkündung als „terrorirtische Freunde“ bezeichnet.
Damit kann abschließend gesagt werden, dass diese Prozesse gar nichts mit der Verteidung von Menschenrechten zu hat. Im Gegenteil, werden hier noch Menschen vorgeführt, um die eine Form von Gesellschaft gegen jeden Widerstand abzusichern. Leute sollen abgeschreckt und beherrscht werden, um imperialistische Interessen auch weiterhin durchzusetzen. Es ist letztlich nur ein Mittel der Konterrevolution, gegen das wir gegenan zu gehen haben
FREIHEIT FÜR ALLE POLITISCHEN GEFANGENEN
HOCH DIE INTERNATIONALE SOLIDARITÄT
Werkentin, Falco (1991): Zur Archäologie des politischen Strafrechts. In: aufrurh. widerstand gegen repression und § 129 a. Berlin: ID-Verlag
Bakker Schut, Pieter Herman (1986): Stammheim – der Prozeß gegen die Rote Armee Fraktion. Kiel: Neuer Malik Verlag