Oury Jalloh Prozess

Hoffnung im Jalloh-Prozeß

Unerwartete Wende: Brandsachverständiger sieht durch neues Gutachten Aufklärungschancen im Fall des in einer Polizeizelle verbrannten Flüchtlings. Richterin lenkt ein

Nebenklagevertreter sprachen am Dienstag abend von einer »unerwarteten Wende im Verfahren«. Hoffnung hat ihnen der zuvor vor dem Magdeburger Landgericht befragte Brandsachverständige Henry Portz aus Fellbach-Oeffingen gemacht.

Er sagte, durch weitere Experimente seien einige der bislang ungeklärten Fragen zur Entstehung und Entwicklung des Brandes zu beantworten. Dies würde aber zwischen einem halben und einem Jahr dauern. Bei dem Feuer kam der Asylbewerber Oury Jalloh vor mehr als sieben Jahren in einer Dessauer Polizeizelle ums Leben. Angeklagt ist der Polizeibeamte Andreas Schubert wegen Körperverletzung mit Todesfolge.

 Schon im vergangenen Jahr beantragten die Anwälte der Nebenklage, die Jallohs Familie vertreten, ein neues Gutachten. Richterin Claudia Methling hatte dies bislang abgelehnt. Daraus seien keine neuen Erkenntnisse zu erwarten, hieß es noch Anfang März. Die Staatsanwaltschaft sah das genauso, stimmte aber einer vor rund drei Wochen von Methling vorgeschlagenen Einstellung des Prozesses nicht zu. Die Nebenklage hegt seit langem Zweifel am ersten Gutachten, das nach mehreren Einzelversuchen zwischen 2005 bis 2008 zustande kam. Der damals eingesetzte Sachverständige habe nur die Möglichkeit der Selbstanzündung Jallohs in Betracht gezogen, so die Kritik. Außerdem habe er mehrfache experimentelle Nachstellungen der Brandsituation abgelehnt und dies unter anderem mit hohen Kosten begründet. Das bestritt die Richterin am Dienstag erneut, lenkte dann aber ein.

 Die Kammer befragte Portz zunächst informell. Sie wollte wissen, ob weitere Versuche genauere Aussagen zu den Brandumständen in der Polizeizelle zuließen, in der Jalloh an Händen und Füßen gefesselt starb. Ungeklärt sei unter anderem, welche Menge an Füllstoff der als schwer entflammbar geltenden Matratze gebrannt haben muß, um in der kurzen Zeit Temperaturen von mindestens 180 Grad zu erzeugen. Weitere offene Fragen betreffen die dafür nötige Größe des Brandherdes sowie die Rauchentwicklung, die Art von Jallohs Verletzungen, einen möglichen Einsatz von Brandbeschleunigern und das Anschlagen des Brandmelders. Portz sagte, man könne ziemlich eindeutig die Entwicklung der Rauchgasschicht und deren Erreichen des Brandmelders nachvollziehen. Danach könne man auch konkret sagen, ob Brandbeschleuniger eingesetzt wurden. Nur unsicher bestimmen ließe sich hingegen, wann der Alarm anschlug.

 Zur übernächsten Verhandlung am 20. April will der Sachverständige dem Gericht nach Einsicht der Unterlagen ausführliche Antworten vorlegen. Richterin Methling versprach, ihm alle bisherigen Erkenntnisse in Form von Protokollen und Videos auszuhändigen, falls die Kammer ein neues Gutachten in Auftrag gibt. Als schwierig erachtete sie es allerdings, eine gleiche Matratze zu bekommen, da es diese nicht mehr gebe. Die Richterin bemängelte zudem die in Aussicht gestellte Dauer von bis zu einem Jahr. Portz hatte zuvor erklärt: »Diese Experimente sind nicht in zwei oder drei Monaten zu machen.« Die Zeit sei jedoch zum Teil abhängig von der Qualität der Vorgaben und der Materialbeschaffung.

 Auch für Nebenklageverteidigerin Gabriele Heinecke könnte die Zeit zum Problem werden. »Die Kammer muß alle drei Wochen verhandeln, sonst wird der Prozeß ausgesetzt«, erklärte sie am Dienstag abend gegenüber junge Welt. Ansonsten sei sie zuversichtlich. Der neue Sachverständige gehe bereits jetzt »ganz anders« vor als der frühere. Heinecke glaubt: »Das Gericht hat sich jetzt so weit vorgewagt, ich kann mir nicht vorstellen, daß die Kammer wieder einen Rückzieher macht.«

 Über den Antrag der Staatsanwaltschaft vom 13. März, die Anklage um den Tatbestand »Freiheitsberaubung« zu erweitern, will das Gericht indes erst bei der nächsten Verhandlung am 18. April entscheiden. Methling begründete, man wolle zuvor vom Innenministerium Sachsen-Anhalt erfahren, welche Beamten und Dienststellen über die Festnahme Jallohs am 7. Januar 2005 zu entscheiden hatten. Die Staatsanwaltschaft glaubt, Jalloh wurde bereits zu Unrecht eingesperrt.