Counterinsurgency

Im Keim ersticken (I)

BERLIN/KIEL (Eigener Bericht) – Wissenschaftler der Universität Kiel haben ein Konzept zur Aufstandsbekämpfung in den Ländern des globalen Südens entwickelt. Die im Auftrag des Bundesverteidigungsministeriums verfasste Studie wurde unlängst bei einer Veranstaltung des Berliner Think-Tanks „Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik“ (DGAP) präsentiert. Die Arbeit bezieht sich explizit auf den vom Heereskommando der Bundeswehr herausgegebenen „Leitfaden Aufstandsbewältigung“ und fordert, gegen westliche Interessen gerichtete Widerstandsbewegungen möglichst „im Keim zu ersticken“.

Als eines der „wirksamsten Instrumente“ zur Erreichung dieses Ziels bezeichnet der Autor die „Enthauptung“ aufständischer Gruppen durch „Ausschaltung von bedeutenden Führern“. Wesentliche Erkenntnisse der Studie resultieren aus sogenannten Feldforschungen in Afghanistan.

Operationen gegen Partisanen

Wie die in Berlin beheimatete Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) mitteilt, hat sie kürzlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit eine Veranstaltung zum Thema Aufstandsbekämpfung in den Ländern des globalen Südens („Counterinsurgency“) durchgeführt.[1] Robin Schroeder, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK), präsentierte bei dieser Gelegenheit seine im Auftrag des Bundesverteidigungsministeriums angefertigte Studie zu diesem Thema. Zu den Vortragenden zählten außerdem der Direktor des ISPK, Joachim Krause, der Militärpolitiker Winfried Nachtwei (Bündnis 90/Die Grünen) sowie Brigadegeneral Andreas Helmut Hannemann, Kommandeur der Luftlandebrigade 26 der Bundeswehr. Laut Autor Schroeder ist die Studie wesentlich auf die Initiative Hannemanns zurückzuführen.[2] Dessen auch als „Saarlandbrigade“ bekannte Einheit war an Militäraktionen gegen Aufständische in Afghanistan beteiligt und hat immer wieder durch positive Bezüge auf NS-Traditionen von sich reden gemacht (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Das Motto der „Saarlandbrigade“ lautet „Einsatzbereit – jederzeit – weltweit“; einer Selbstdarstellung zufolge ist die Truppe auf „Operationen gegen irreguläre Kräfte“ spezialisiert und bekämpft „Terroristen“ und „Partisanen“.[4]

Unbequeme Lehren

Explizite Grundlage der Counterinsurgency-Studie des ISPK ist denn auch der vom Heereskommando der Bundeswehr herausgegebene „Leitfaden Aufstandsbewältigung“. Zentrale Definitionen werden direkt aus den darin zu findenden „Handlungsempfehlungen für Truppenführer“ übernommen. Als Aufstand ( „Insurgency“) gilt demgemäß eine „organisierte Widerstandsbewegung, die meist durch koordinierten und fortwährenden Einsatz von Gewaltakten und politischer Agitation versucht, die staatliche Autorität zum Scheitern zu bringen und langfristig ihre politischen Ziele und Ordnungsvorstellungen zu realisieren“.[5] Aufstandsbekämpfung („Counterinsurgency“) bezeichnet der Studie zufolge „die Gesamtheit aller zivilen und militärischen Maßnahmen, um mittelbar oder unmittelbar gegen die staatliche Ordnung gerichtete Subversion und Gewalt zu beseitigen“. Wie der Autor weiter ausführt, müssten vor diesem Hintergrund einige „unbequeme Lehren“ aus dem Kriegseinsatz in Afghanistan gezogen werden. So habe die „politisch verordnete Zurückhaltung“ in Bezug auf Counterinsurgency-Aktionen dafür gesorgt, dass die Aufständischen „buchstäblich vor den Augen deutscher Kräfte große Teile der Provinz Kunduz unter ihre Kontrolle bringen konnten“. Wären stattdessen „frühzeitig entschlossene Gegenmaßnahmen“ erfolgt, hätte der sich entwickelnde Aufstand „im besten Falle im Keim erstickt“ werden können.

Abschreckung durch Bestrafung

Gleichzeitig lässt die Studie keinen Zweifel darüber aufkommen, wie die besagten „Gegenmaßnahmen“ auszusehen haben. Eines der „wirksamsten Instrumente“ zur Bekämpfung eines Aufstandes bestehe in der „Enthauptung“ von Widerstandsgruppen („Decapitation“) durch die „Ausschaltung von bedeutenden Führern“, heißt es. Entsprechende Aktionen der westlichen Interventionstruppen seien dabei in eine Strategie der „Abschreckung durch Bestrafung“ („Deterrence by Punishment“) einzubetten; durch permanente Repression müsse „das alltägliche Risiko für die Aufständischen selbst so erhöht werden, dass es für potentielle Rekruten definitiv keinen Sicherheitsgewinn bringt, sich der Insurgency anzuschließen“. Insbesondere „potentielle oder auch tatsächliche Unterstützer einer Aufstandsbewegung, die nicht fanatisch sind und ihr Handeln nach Kosten und Nutzen abwägen“, könnten auf diese Weise „in ihrem Verhalten beeinflusst werden“. Voraussetzung hierfür sei allerdings die Errichtung eines möglichst lückenlosen Überwachungsregimes, erklärt der Autor: „Biometrische Datenerfassung“, „Meldepflicht“, „regelmäßige Kontrollen“ und die „Registrierung der Bevölkerung durch einen Zensus“ hätten sich bereits als überaus „effektive Counterinsurgency-Maßnahmen“ erwiesen.

Shape, Clear, Hold, Build

Scharf wendet sich der Verfasser der Studie gegen die Vorstellung, die Bevölkerung eines „fragilen Staates“ könne durch „Entwicklungshilfe“ für die westlichen Interventionstruppen und die mit diesen kollaborierende Regierung gewonnen werden: „Die international weit verbreitete Annahme, dass Stabilität nur durch die sich gegenseitig stärkende Wechselwirkung von Sicherheit und Entwicklung entstehen kann, wurde in Afghanistan wie auch in anderen Fällen klar widerlegt.“ Folgerichtig bekennt sich der Autor denn auch zu einem Counterinsurgency-Phasenmodell, das in der Terminologie der NATO mit den Begriffen „Shape“, „Clear“, „Hold“und „Build“ umrissen wird. Danach müssen zunächst „günstige Rahmenbedingungen“ für die in einem Aufstandsgebiet operierenden ausländischen Truppen geschaffen werden – etwa durch die „Beseitigung von Minen und Sprengfallen“ oder durch „gezielte Kommandooperationen gegen Führungspersonen der Aufständischen“ („Shape“). Im Anschluss sieht das Konzept die „Säuberung“ des jeweiligen „strategischen Raums“ von Widerstandsgruppen vor – mittels „Durchführung von offensiven Operationen“ („Clear“). In der „Hold“-Phase schließlich sind Interventionstruppen und einheimische Kollaborateure gehalten, ihre Präsenz durch bauliche Maßnahmen wie die Anlage von Stützpunkten und „Checkpoints“ zu festigen. Erst im letzten Schritt („Build“) ist demnach an die Bereitstellung von sauberem Trinkwasser, medizinischer Versorgung oder schulischer Bildung für die Bevölkerung zu denken – als Belohnung für politisches Wohlverhalten.[6]

Straßenbau für’s Militär

In diesem Sinne hat der Autor der Counterinsurgency-Studie dann auch Verwendung für die Institutionen der „klassischen“ Entwicklungspolitik wie etwa die „Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit“ (GIZ). So könnten „Quick Impact Projects“, die die Agentur im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in Nordafghanistan durchführte, durchaus „eine gewisse Akzeptanz für die Präsenz von Sicherheitskräften schaffen“, heißt es (german-foreign-policy.com berichtete [7]). Auch sei es „sehr wichtig, dass ruhige Landesteile von Entwicklungsprojekten profitieren“ und „wirtschaftliche Zentren gestärkt werden“: „Nur so kann ein für die Funktionsfähigkeit des Staates notwendiges Mindestmaß an Steuereinnahmen generiert werden. Darüber hinaus sollten sichere Räume bewusst gefördert werden, um der Bevölkerung zu demonstrieren, dass friedliches Verhalten einen Mehrwert hat.“ In den Aufstandsgebieten hingegen müsse die „Verbesserung der Hauptverkehrsinfrastruktur durch befestigte Straßen und Brücken“ favorisiert werden, um den Aktionsradius der Interventionstruppen zu erweitern: „Durch die schnellere und sicherere Bewegung von Kräften im Raum wird sowohl deren Präsenz in der Fläche als auch deren Reaktionszeit erhöht.“

Ressortübergreifend

Grundsätzlich betrachtet der Verfasser der Counterinsurgency-Studie die Aufstandsbekämpfung gemäß der Doktrin der „vernetzten Sicherheit“ als „ressortübergreifende Aufgabe“. Unter der politischen Führung des Auswärtigen Amts soll seiner Ansicht nach das Bundesverteidigungsministerium für die Gewaltoperationen gegen Widerstandsbewegungen zuständig sein, während das BMZ für zivil-militärische „Entwicklungsprojekte“ verantwortlich zeichnet und das Bundesinnenministerium den Polizeiaufbau in den Interventionsgebieten anleitet. Als positiv wird in diesem Zusammenhang die Verabschiedung interministerieller „Leitlinien“ für eine „kohärente Politik gegenüber fragilen Staaten“ vermerkt (german-foreign-policy.com berichtete [8]) – und gleichzeitig eine vermeintliche „Kernproblematik“ identifiziert: „Die ressortübergreifende Zusammenarbeit findet (…) in einem strategischen Vakuum statt und verliert dadurch im Einsatzland einen großen Teil ihrer Wirkung.“

[1] Counterinsurgency als Aufgabenfeld der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Studienvorstellung 15.04.2013; dgap.org
[2] s. hierzu und im Folgenden Robin Schroeder (Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel): Counterinsurgency. Erfahrungen, Strategien und Aussichten unter besonderer Berücksichtigung des ressortübergreifenden Ansatzes (Abschlussbericht). Kiel, 30.01.2013
[3] s. dazu Rot scheint die Sonne im Kongo, Einsatzbereit, jederzeit, weltweit und Die Hohe Schule der Infanterie
[4] Luftlandebrigade 26 – Auftrag; www.deutschesheer.de 07.08.2012
[5] Robin Schroeder (Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel): Counterinsurgency. Erfahrungen, Strategien und Aussichten unter besonderer Berücksichtigung des ressortübergreifenden Ansatzes (Präsentation). Berlin, 15.04.2013
[6] s. dazu auch Rezension: Marc Thörner: Afghanistan-Code, Demokratie „nicht prioritär“, Gezieltes Töten im großen Stil und Urban Operations (II)
[7] s. dazu Partner ohne Uniform
[8] s. dazu Ressortübergreifende Leitlinien