Immer noch Sicherungsverwahrung und kein Ende

Am 13.01.2011 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erneut Gelegenheit, sich zur deutschen Regelung der Sicherungsverwahrung zu äußern. In den vier zur Entscheidung stehenden Fällen verurteilte der EGMR jeweils die Bundesrepublik Deutschland, da diese die Menschenrechte der Verwahrten verletzt habe.

Ich möchte (in gebotener Kürze) die Regelungen darstellen, die der EGMR beanstandete (a.), auf die Entscheidungsgründe des EGMR eingehen (b.) und mit einer eigenen Bewertung bzw. einem Ausblick schließen (c.).

a.) Sicherungsverwahrung

Im Jahre 1933 führten die Nationalsozialisten (freilich nach Vorarbeiten, die in der Weimarer Zeit liefen, auch unter Beteiligung der Sozialdemokraten) die Maßregel der Sicherungsverwahrung (SV) ein. Damit sollte ermöglicht werden, Menschen auch nach Verbüßung ihrer Haftstrafe im Gefängnis zu behalten, so sie denn (angeblich) „gefährlich“ seien für die Gesellschaft.

Bis zum Jahre 1998 durfte die erstmalige Unterbringung in der SV maximal 10 Jahre dauern. Die CDU/FDP-Koalition beschloss im Frühjahr 1998, dass diese 10-Jahresgrenze ersatzlos entfallen soll, soweit für potentielle Opfer schwere körperliche oder seelische Schäden drohen. Jedoch entfiel diese Obergrenze nicht nur für künftige Fälle/Täter, sondern auch rückwirkend für alle schon Verurteilten.

Des Weiteren wurde im Jahr 2004 die sogenannte nachträgliche SV eingeführt; d.h. noch bis zum Ende der Haftzeit durfte, so die sonstigen Voraussetzungen vorlagen, nachträglich im Rahmen einer öffentlichen Hauptverhandlung die Sicherungsverwahrung angeordnet werden.

b.) Entscheidungen des EGMR


Schon im Dezember 2009 urteilte der EGMR, dass die rückwirkende Verlängerung der SV von 10 Jahren auf quasi-Lebenslang mit der Menschenrechtskonvention unvereinbar sei (vgl. auch meine Besprechung http://de.indymedia.org/2010/01/270543.shtml).

Diese seit Mai 2010 rechtskräftige Entscheidung bekräftigte nun am 13.01.2011 der EGMR in vier weiteren Urteilen und verurteilte die BRD wegen Verstoßes gegen das Menschenrecht auf Freiheit und wegen Verletzung des Artikel 7 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention), welcher die rückwirkende Verlängerung von Strafen verbietet.

Hatte noch 2004 das Bundesverfassungsgericht feinsinnig argumentiert, die SV stelle keine Strafe dar, schließlich wirke sie nicht repressiv, sondern habe rein vorbeugenden Charakter, beurteilte der EGMR die SV angesichts der realen Vollzugsbedingungen als Strafe im Sinne der Konvention.

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Erneut hob der EGMR hervor, dass die materiellen Haftbedingungen in der bundesdeutschen SV-Wirklichkeit von Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit geprägt seien, die Betroffenen in der Tat bloß „verwahrt“ würden und sich die Situation letztlich kaum von der in Strafhaft unterscheide.

Dem gemäß muss die BRD den vier Klägern auch eine Geldentschädigung in fünfstelliger Höhe zahlen (je nach Fall zwischen 25.000 Euro und 70.000 Euro).

Die Urteile können über die Homepage des EGMR abgerufen werden:
http://www.echr.coe.int/echr/Homepage_EN
http://www.echr.coe.int/echr/en/header/case-law/hudoc/hudoc+database/

c.) Bewertung und Ausblick

Erneut mussten Verwahrte erst den viele Jahre dauernden Weg nach Strasbourg gehen, bevor sie mit ihren begründeten Rügen Gehör fanden. Es mutet bedenklich an, mit welchem Nachdruck die Bundesregierung und mit ihr das Gros der PolitikerInnen eine Regelung aus der Zeit des 3. Reichs verteidigt.

EGMR, Anti-Folterkomitee des Europarats, ja sogar die UNO haben die Haftbedingungen in der Sicherungsverwahrung als absolut desolat bezeichnet. Auch Vollzugsbedienstete räumen ein, dass es keine speziellen Behandlungsangebote für Sicherungsverwahrte gebe. So sind die JVA-Sozialarbeiter Gorzel und Lefering (beide: JVA Freiburg) zwar Vollzeit in der Anstalt tätig, dürfen aber jeweils nur 25% ihrer Zeit für die knapp 60 Verwahrten aufwenden („Wegschließen – und zwar für immer?“ in Forum Strafvollzug 2010, S. 136 ff).

Es kann jedoch nicht darum gehen, speziell für die Verwahrten einen „Rundweg zum Spazierengehen, Sitzecken, ein Grillplatz, ein Biotop mit Teich, eventuell mit Schildkröten und Goldfischen“, so ein Gutachten des Kriminologischen Dienstes des bayerischen Strafvollzugs (zitiert nach: Süddeutsche Zeitung vom 06.12.2010, „Goldfische für Gewalttäter“) anzulegen, sondern die Forderung lautet: „Freilassung!“.

Ja! Es sind mitunter schreckliche Taten, die die Verwahrten begangen haben. Abstoßend und abscheulich. Aber zum einen sind diese nicht in der Mehrheit, so sitzen nämlich auch Diebe, Heiratsschwindler, Einbrecher, Betrüger in Sicherungsverwahrung. Und zum anderen haben sie in aller Regel einen Jahrzehnte dauernden Freiheitsentzug hinter sich und sind in der Regel vollkommen ungefährlich. Kaum ein renommierter forensischer Psychiater, der nicht einräumt, dass die Gefährlichkeit der Sicherungsverwahrten vollkommen überschätzt werde.

Wir leben heute in einer Zeit realer Sicherheit, aber gefühlter Unsicherheit. Kaum einer weiß oder nimmt zur Kenntnis, dass in Deutschland beispielsweise noch 1993 mehr als doppelt soviele Tötungsdelikte begangen wurden wie heute. Das heißt in bald zwanzig Jahren ging die Zahl dieser Taten um mehr als die Hälfte zurück!

Angesichts des Kampagnenjournalismus von BILD, SPIEGEL, FOCUS und anderer Medien muss man freilich befürchten, dass Deutschlands PolitikerInnen (zumal in einem Superwahljahr wie 2011) alles tun werden, um die EGMR-Urteile auszuhebeln.

Hierbei könnten sie auch Unterstützung von Seiten des Bundesverfassungsgerichts erfahren. Dieses verhandelt am 08.02.2011 seinerseits über mehrere Verfassungsbeschwerden von Betroffenen (vgl. http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg10-117.html), die sich gegen die Fortdauer ihrer Verwahrung wehren und auf die Strasbourger Entscheidung von Dezember 2009 berufen. Als nämlich 2004 über Ländergesetze (u.a. aus Bayern) zur nachträglichen Sicherungsverwahrung zu entscheiden war, wurden zwar die entsprechenden Ländergesetze als verfassungswidrig beurteilt, jedoch weigerte sich die Senatsmehrheit, die auf Grund der verfassungswidrigen Gesetze untergebrachten Gefangenen freizulassen. Vielmehr wurde dem Bundestag eine Frist von 6 Monaten gesetzt, innerhalb derer ein verfassungskonformes Gesetz erlassen werden könnte.

Dies weist darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht bereit ist seinerseits die Verfassung zu brechen (dies wurde auch der Senatsmehrheit von anderen Mitgliedern des Senats, die für eine sofortige Freilassung der Kläger plädierten, vorgeworfen), wenn es politisch opportun ist. Die Scheu vor BILD-Schlagzeilen im Stile von „Irrsinn Justiz! 5 Polizisten bewachen einen freigelassenen Vergewaltiger“ (BILD vom 11.08.2010) scheint groß zu sein.

Wer sich vor Augen führt, dass jede der Taten, die Menschen in die Sicherungsverwahrung führt, auf allen Seiten Opfer hinterlässt: die konkret geschädigten Opfer, deren Familien, aber ebenso die Familien der Täter und schlussendlich auch die gebrochenen Biografien der Täter selbst, kann erkennen, dass irgendwann Schluss sein muss mit Bestrafung. Die Gefängnisse zerstören erst die Gefangenen, dann deren Familien und Freunde bzw. die Beziehungen zu und mit ihnen. Sie zerstören auch seelisch die in den Anstalten Beschäftigten und am Ende die Gesellschaft.

Die Verantwortlichkeit der Sicherungsverwahrten (es sind in fast 99% der Fälle Männer, auch wenn die Justiz in den letzten Jahren dazu übergeht, auch Frauen in die Sicherungsverwahrung zu stecken) soll nicht in Abrede gestellt werden, aber „Kriminalität“ hat stets mehrere Ursachen und alles auf „den“ Täter zu konzentrieren bedeutet die Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen.

Absolute Sicherheit kann und wird es niemals geben.

Thomas Meyer-Falk
z.Zt. JVA-Z. 3113
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D-76646 Bruchsal
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