ausageverweigerung

„Isch hab Internet“ – Diskussionspapier zur „Internetkultur“ (gerade auch) in Berlin –

Mit Besorgnis ist zu beobachten, dass sich (nicht nur aber auch) in der Berliner „Szene“ eine gewis­se „Kultur des Internets“ breitgemacht hat. Hiermit ist gemeint, dass sehr viel über das Internet (ex­plizit die Kommentarspalte von linksunten, aber auch z.B. dem reflect-Verteiler) kommuniziert wird und Veranstaltungen oft nur noch im Internet beworben werden. Diese Kommunikationskultur birgt mehrere Gefahren und trägt auch zu diversen Dynamiken bei, die meines Erachtens nach zu einer Zerstörung von Bewegung beitragen.

 

Der vorliegende Text ist eigentlich kein wirklich neuer Gedanke, doch in unserer schnelllebigen Zeit ist es durchaus angemessen auch schon mal Gesagtes immer wieder neu zur Diskussion zu stellen. Zugleich soll dieser Text ein Anstoß zur Diskussion sein, er hat nicht den Anspruch eine vollständige (oder auch „wahrhafte“) Analyse abzuliefern. Weiterhin geht es in diesem Text nicht um ein weiteres „Berlin-Bashing“ andere Städte können sich gerne genauso angesprochen fühlen, der Verfassende verortet sich jedoch größtenteils im Berliner Kontext und schreibt deswegen aus dieser Perspektive.
 Konkreter Anstoss dieses Text zu schreiben war ein Ereignis im Sommer 2016:
 Anfang Mai tobte ein Sturm durch das Wasserglas der emanziopatorischen Szene Berlins. Vorher über Mundpropaganda und die Weiterleitung auf einem Mailverteiler schon semi-publik gemacht, wurde am 04.05. eine Pressemitteilung eines Kiezladens auf linksunten.indymedia publiziert. Es geht hier überhaupt nicht darum, in die Diskussion um deren Inhalt einzusteigen.1
Vielmehr um die Beobachtung, was dann passierte. Vier Stunden nach der Pressemitteilung gab es auf linksunten schon 12 Kommentare zu dieser, wobei kein einziger wirk­lich inhaltlicher oder ergänzender Natur war, sondern alle – mehr oder weniger – unter die Katego­rie „Ich kotz jetzt auch mal ab“ zusammengefasst werden können. Zwei Tage später zählte der Arti­kel bereits 54 Kommentare. (Wobei natürlich zu bedenken ist, dass es hierbei auch merhfache Posts einer Person geben kann.)

Als Reaktion auf den schon am Wochenende der Walpurgisnacht grassierenden Unmut über die Pressemitteilung hatte das Kiezladen-Kollektiv mehrere Schritte beschlossen: Zum Einen eine nicht übers Internet publizierte Einladung zur einer Diskussionsveranstaltung, um sich der Kritik zu stel­len. Zum Zweiten ein zu diesem Zwecke angefertigtes ellenlanges Statement, als Input in diese.
 Beides – sowohl Termin, wie auch Statement – wurden, ausdrücklich gegen den Willen und das Wissen der Organisierenden, vorab auf linksunten veröffentlicht. Zu der Veranstaltung kamen am Ende, abzüglich der Einladenden, sehr viel weniger Menschen als sich Kommentare zur Pressemit­teilung zählen ließen.
 Problemfeld 1 „Das Internet als Diskussionsort“
Zu verschiedenen Anlässen lässt sich mit erschreckender Regelmäßigkeit beobachten, wie Men­schen die Kommentarspalte von linksunten nutzen um Diskussionen zu führen und zwar oft in einer Form, dass sich am politischen Verstand der Verfassenden ernsthaft zweifeln lassen muss.
 1) Das Veröffentlichen von Internas
oder: „Anna und Arthur schreiben jetzt Kommentare“
 Zu Allererst: Linksunten ist eine öffentliche Plattform, die auch noch ein großer Teil der Menschen in Deutschland mitlerweile kennt! Diese wird eben nicht nur von der eigenen Szene gelesen, son­dern auch von diversen Menschen die ihr kritisch bis feindlich eingestellt sind. Seien es tatsächlich neugierige „Bürger*innen“, Journalist*innen, Rechtsoffene bis Neo-Nazis, oder die Angestellten di­verser Agenturen des Staates. Wer hier öffentlich Debatten führt, muss sich immer darüber bewusst sein, dass diese auch von diesen Leuten mitgelesen werden – und zwar mit sehr viel höherer Fre­quenz als zum Beispiel diverse kursierende Printmedien, wie das „autonome Blättchen“ oder die „Inte­rim“. Wer hier also meint regelmäßig persönliche Statements rauszuhauen, führe sich bitte Folgendes Bild vor Augen: Genauso gut könnte sich die Person auf den Alexanderplatz stellen und per Mega­phon anfangen mit Anderen über die gemeinten Fragen zu diskutieren – und das während einer AFD-Veranstaltung mit Polizeischutz.

Vom teilweise aufkommenden Fremdscham-Faktor einmal abgesehen, hat dies auch harte politische Auswirkungen. Um auf das Kiezladen-Beispiel zurückzugreifen: Obwohl das vorher erwähnte Statement, dass vol­ler Interna war, nur für ca. vier Stunden online war, muss zwingend davon ausgegangen werden, dass der Staatsschutz und auch die der Kiezladen gegenüber feindlich eingestellte Hausverwaltung, dieses nun in vollem Umfang zur Verfügung hat und daraus heraus den Kampf aus Kiezladen-Seite heraus analysieren kann.
Ebenso ist es mittlerweile Gang und Gäbe, dass die bürgerliche Presse linksunten mitliest und jeden auch noch so offensichtlichen Unsinn direkt übernimmt, auch gab es schon genug bekannte Vorfälle in denen bekannt wurde, dass die Bullen Analysen2 und Gefahrenprognosen aus der Kommentar­spalte von linksunten nutzten. Natürlich ist dies ein Element, mit dem sich spielen lässt, doch dann eben genau das: mit dem Wissen darum und mit strategischem Denken und nicht als Offenlegung eigener (emotionaler) Standpunkte.
 
Es ist schon ein Unding, dass Menschen meinen, wirklich jeden Szenekleinkrieg auf linksunten breitzutreten, bzw. sämtliche taktischen Einschätzungen zu Ereignissen den Bullen frei Haus zu lie­fern. Aber explizit die Veröffentlichung der Veranstaltung ist noch einmal eine neue Dimension: Ich kann Gründe haben es Scheiße zu finden, aber: wenn Menschen eine Veranstaltung außerhalb des Internets bewerben wollen, dann ist das die Entscheidung der Organisator*innen. Sich eben nicht mehr mit diesen auseinanderzusetzen, auf sie zuzugehen und mit der Kritik an einer internen Be­werbung im Vorfeld zu konfrontieren, sondern stattdessen ihre Veranstaltung anonym auf linksunten zu posten ist ein Gipfel an Frechheit.
 2) Auswirkungen auf die Diskussionskultur
 Zum Anderen führt eine solche Perspektive auf das Internet auch zu einer Verschlechterung der all­gemeinen Diskussionskultur. Denn wenn ich meine, das Internet als Forum des Austauschs zu ha­ben, dann erspar ich mir damit die persönliche Auseinandersetzung mit Menschen. Dies führt zu ei­ner weiteren Entfremdung und Zerstörung ernsthafter und stabiler sozialer Beziehungen unterein­ander. Natürlich ist das „über Andere reden statt mit Ihnen“ ein Problem, das älter ist als das Inter­net und es soll hier auch nicht dazu aufgefordert werden an „jeder Mülltonne zu schnuppern“, also sich mit allen immer in jeden Konflikt zu begeben. Aber: Es macht eben einen gewaltigen Unter­schied in einen direkten und persönlichen Austausch miteinander zu treten, statt sich (anonym) über das Internet zu bashen. Denn mit dem Ersteren als Anspruch geht eine Menge eigentlich wichtiger Dinge einher.
 → Das Suchen nach Orten und Möglichkeiten der Kommunikation, das heißt eine ernsthafte Suche (ob individuell oder als Gruppe) nach Möglichkeiten miteinander überhaupt ins Gespräch zu kom­men.
Die angesprochene Kultur der Internetdiskussion dürfte mit ein nicht unbedeutender Baustein sein, warum ernsthafte Vernetzungsversuche in den letzten Jahren immer wieder scheitern und offene Abende so schlecht besucht sind: Wer sich darauf verlässt über die Kommentarspalte oder den eige­nen Blog Inputs über „den eigenen Kreis“ hinausgeben und erhalten zu können, ist (zumindest für den Austausch) auf Orte des persönlichen Aufeinandertreffens eben auch nicht mehr angewiesen. Und so ist es auch leider nicht verwunderlich, dass im obengenannten Beispiel die Personenzahl in der Diskussionsrunde hinter der Zahl der anonymen Kommentare zurückblieb.

Als weiteres Beispiel seien hier die Mobilisierungen in die Berliner Randbezirke im Winter 2014/2015 genannt. Teilweise über Monate waren viele Antifaschist_innen frus­triert über die meist schlecht laufenden Ereignisse um die „Anti-Heim-Proteste“ in den Randbezir­ken. Dieser Frust spiegelte sich auch auf linksunten ab: Artikel erschienen und wurden jedesmal mit Dutzenden von Kommentaren „ergänzt“. Doch zeitgleich scheiterten diverse Ansätze von Vernet­zung. Besonders negativ stach hier eine Veranstaltung in Neukölln hervor. In einer Zeit, in der es im Internet schien, als ob alle irgendwie eine Meinung zu dem Thema hätten, kamen zu einer (dringed nötigen) Diskussionsveranstaltung zum Thema mit einem extra angereisten Referenten aus ebenje­nen Randgebieten nicht dutzende sondern ein kleines Häufchen von vielleicht zehn Leuten (in­klusive Veranstalter*innen) zusammen um sich direkt auszutauschen. Eine ernsthafte Auseinander­setzung, ein sich inhaltliches Kennenlernen und Austauschen, ein Aufbau von Beziehung zueinan­der, all das interessierte die Internetszene anscheinend einen feuchten Furz.
 → Die Ernsthaftigkeit hinter Diskussionsbeiträgen.
Kennst du das Gefühl, nach einem Naziaufmarsch oder einer größeren Aktion, erschöpft und mit vollem Kopf nach Haus zu kommen? Und den Kopf noch so voll von Eindrücken zu haben, dass du erstmal ne Nacht zum Schlafen und ein Gespräch am Küchentisch bräuchtest um ansatzweise eine inhaltliche/taktische Meinung zum Geschehen zu haben? Und dann dieser Unglaube, als du siehst, dasss es auf linksunten bereits einen „Auswertungsartikel“ inklusive der obligatorischen Kommen­tare gibt? Wobei nichts (sowohl Arikel, als auch Kommentare) die 5-Zeilen-Marke überschreitet?
Mich hinzusetzen, mir Gedanken zu machen, diese zu formulieren, nocheinmal gespiegelt zu krie­gen, niederzuschreiben, erneut zu lesen, teilweise zu verwerfen und dann nochmal zu diskutieren ist einfach ein anderer Prozess, als mal gerade irgendwas in die Tasten zu hacken. Ganz klar, dieser Text hat nicht die Absicht sich über auch öffentlich geführte Debatten auszulassen, oder deren Wichtigkeit in Frage zu stellen. Aber eben genau darum geht es: Ernsthafte Debatten, auf der Grundlage von Austausch und Reflektion, mit einem eigenen Anspruch daran, sich einen Stand­punkt zu bilden und diesen und Fragen zu formulieren und eben keine kurzfristige Endlagerung des spontanten Gedankens auf den Spiegelservern des LKA.

 „Ich lauf mir doch nicht die Hacken wund, es gibt doch den Stressfaktor“
 Hinzu kommt, dass viele Gruppen das Internet mittlerweile als Hauptbewerbungsmittel für ihre Veranstaltungen sehen. So ist es denn auch nicht verwunderlich, dass die Strassen- und Nachbarschaftsmobilisierung immer mehr ab­nimmt, gleichzeitig aber auch nicht, dass eben kaum Nachbar*innen oder neue Leute zu Ver­anstaltungen kommen.
 Wenn ich meine Veranstaltungen schon als beworben empfinde, wenn sie einmal über den reflect-Verteiler ging und im Stressfaktor steht, dann muss ich mich eben auch nicht wundern, wenn die „Szene“ kaum neue Gesichter sieht. Abgesehen davon, dass es natürlich auch eine ander Form der Planung und Sorgfalt erfordert, Material zu drucken und rechtzeitig zu verteilen, hat dies auch kon­krete Auswirkungen auf mein Verhältnis zu dem Kiez in dem ich mich organisiere oder lebe.
Denn fernab von verklärender autonomer Romantisierung der Kiezästethik macht es einen Unterschied ob wir uns auch viel in den Strassen bewegen und in jenen plakatieren, Infostände abhalten und Materialien in den Läden unserer Kieze auslegen, sprich uns sichtbar und ansprechbar machen, oder auf Szeneseiten „unter uns“ bleiben. Es ist schon teilweise absurd wie innerhalb der Subkultur immer wieder diskutiert wird, eben eine solche nicht sein zu wollen und dann selbst auf die kleinsten und einfachsten Schritte hinaus aus der Selbstbezogenheit verzichtet wird.
 
Dies ist kein Text, der dafür plädoyiert sich nur noch außerhalb des Internets zu organisieren. Sondern ein Text für einen anderen Umgang mit dem Internet. Ich würde mir wünschen, dass wieder breitere Teile der „Szene“ oder Bewegung dazu übergehen, die gemeinsame Debatte zu suchen und das Internet selbst mal nicht so ernst nehmen. Ersteres ist sehr viel zeitaufwendiger, zweiteres dafür auch befreiend.
  
ps.: Zur Auseinandersetzung mit Facebook ist wirklich genug gesagt worden. Z.B. hier:
https://linksunten.indymedia.org/en/node/162073.

1Der Autor ist übrigens auch nicht Teil dieses Ladens.
2Als Beispiel seien hier die diversen Kabelbrände in Berlin genannt. Die Bullen attestierten diesen, das sie auf „starke Antipathien“ in der Szene stoßen würden, was sie wohl unter Anderem hauptsächlich aus den Kommentaren zu den Artikeln gezogen haben dürften.