Justiz-Frühling 2022: von Verhandlungen und weiteren Neuigkeiten!

Heute berichte ich über die mündliche Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts über die

Klagen von Strafgefangenen gegen die niedrige Entlohnung von Arbeit hinter Gittern (1.),

sowie über aktuelle Veränderungen im Freiburger Vollzug im Hinblick auf die Corona-

Pandemie (2.).

  1. Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht

In fast allen Bundesländern müssen Strafgefangene arbeiten. Zwar ist Zwangsarbeit

verboten, aber in Artikel 12 Absatz 3 Grundgesetz heißt es ausdrücklich, dass

„Zwangsarbeit bei gerichtliche angeordneter Freiheitsentziehung“ zulässig sei.

Streitig ist seit Jahrzehnten die Entlohnung der Gefangenenarbeit. Das BVerfG

beanstandete im Jahr 1998 die bis dato gewährten 5% (!) des Durchschnitts-

Verdienstes aller Arbeiterinnen und Angestellten (vgl. § 18 SGB IV) als zu gering. Die

im Jahre 2001 erfolgte Erhöhung auf 9 % des Durchschnittsverdienstes ließ das

BVerfG als gerade noch verfassungsrechtlich vertretbar durch. Nun, über 20 Jahre

später, nahm sich das Karlsruher Gericht am 27. und 28. April 2022 zwei Tage Zeit

um über Klagen aus NRW und Bayern zu verhandeln.

In der Verhandlung zeichnete sich laut Medienberichten (u.a. im DLF, taz, SZ)ab,

dass die aktuellen Gefangenenentlohnung nicht nur von Inhaftierten, sondern auch

Sozialverbänden, und -nachvollziehbarerweise- der Gefangenengewerkschaft

(GG/BO) kritisch betrachtet wird, weil bei Stundenlöhnen zwischen 1,37 € und 2,30 €

den Arbeitenden nicht wirklich der Wert von Arbeit vermittelt werde.

Die Justizministerien wiederum legten dar, dass die Gefangenen zum einen

kostenfreie Kost und Logis genießen würden, ferner sei die Gefangenenarbeit

Instrument der „Resozialisierung“, es stünde also nicht die Erzielung von Einkünften

im Mittelpunkt, sondern das Einüben einer Tagesstruktur, von sozialer Kompetenz.

Ferner seien die Anstaltsbetriebe nicht mehr konkurrenzfähig, müsste die Entlohnung

angehoben werden.

Auch die Frage der Einbeziehung in die Rentenversicherung war Gegenstand der

mündlichen Verhandlung, denn jede Lücke im Rentenverlauf wirkt sich heute

vielleicht noch mehr als früher, verheerend auf die Alterseinkünfte aus, so dass fast

regelhaft Gefangene von Altersarmut bedroht sind, erst recht, wenn sie längere Zeit

hinter Gittern haben verbringen müssen.

Da der Strafvollzug seit rund 15 Jahren reine Ländersache ist, dürfe es

geraume Zeit dauern, selbst wenn die klagenden Gefangenen obsiegen sollten, bis

alle Inhaftierten in der BRD eine spürbare Lohnerhöhung auf ihrem Knastkonto

bemerken, denn erst muss jedes Landesgesetz geändert werden. Es steht zu

vermuten, dass die Bundesländer dies erst auf konkrete Beanstandung durch das

BVerfG tun werden. Beispielhaft kann auf die Zwangsmedikation in den forensischen

Psychiatrien verwiesen werden: während das BVerfG vor einigen Jahren schon

entsprechende Länderregelungen beanstandet hatte, weigerte man sich in Baden-

Württemberg strikt diese Rechtssprechung auch auf das eigene Bundesland

anzuwenden. Erst nach einer erfolgreichen Klage eines Patienten aus Baden-

Württemberg gab die Landesregierung nach. Ähnlich würde es wohl bei der

Gefangenenentlohnung laufen.

  1. Veränderungen in der JVA Freiburg im Hinblick auf die Corona-Pandemie

Seit Dezember 2021 finden hier keine Ausführungen und auch keine

Begleitausgänge statt. Erstere werden von Bediensteten des uniformierten Dienstes

bewacht, letztere von AnstaltspsychologInnen oder Sozialarbeiterlnnen begleitet.

Auch viele anderen Aktivitäten sind ausgesetzt: beispielsweise

Stationsversammlungen, gemeinsame Sommer-/Winterfeste, Nutzung der

gefängniseigenen Sporthalle. Ferner fielen Besuche monatelang aus. Mittlerweile

sind Besuche wieder möglich, wenn auch nur unter dauerhaftem Tragen von FFP-2

Masken. Und ab dem 09. Mai 2022 werden, so eine Verlautbarung des Anstaltsleiters

Herrn Völkel, auch wieder Ausführungen und Begleitausgänge stattfinden, allerdings,

so die Anstalt, müssten so viele Ausführungen nachgeholt werden, dass jeweils nur

2 1/2 Stunden gewährt werden könnten.

Besuche sind für den Haftalltag ein ganz zentraler Baustein, nicht nur, weil die

entsprechenden familiären und freundschaftlichen Beziehungen so besser gepflegt

werden, können, sondern weil Haft immer auch Zwangsgemeinschaft bedeutet, und

es psychisch entlastet, endlich wieder Menschen sehen zu können, die man mag und

schätzt. Nichts anderes gilt für Ausführungen. Diese ermöglichen nicht nur, ganz

lebenspraktisch, einkaufen zu gehen und sich zu günstigeren Preisen versorgen zu

können, als sie der Gefängniskaufmann (Firma Massak Logistik GmbH) fordert,

sondern befreiter durch- und aufatmen zu können, weil man zumindest mal ein paar

Stunden außerhalb der Gefängnismauern verbringen darf, wenn auch nur in

Begleitung von Personal.

Freilich kommen neben den Sicherungsverwahrten, die einen gesetzlichen Anspruch

auf vier (!) Ausführungen pro Jahr haben, wesentlich weniger Strafgefangene, welche

die Mehrzahl der Freiburger Insassenschaft stellen, in den Genuss solcher

Ausführungen, denn für letztere fehle es, so die Anstalt, an Personal. Meist sind es

„Langstrafer“, Z.B. jene welche eine lebenslange Haftstrafe verbüßen, die aus dem

geschlossen Vollzug heraus solche „Lockerungen“ erhalten.

Jene Sicherungsverwahrten die vor der Pandemie im Bereich der

Strafhaftbetriebe arbeiteten dürfen allerdings auch bis auf weiteres nicht an ihre

Arbeitsstätten zurück kehren, da es im Strafhaftbau seit einiger Zeit zu diversen

Infektionen mit dem Corona-Virus gekommen ist.

Mit diesem Arbeitsausfall ist auch ein entsprechender Einkommensverlust verbunden,

denn das Land Baden-Württemberg kompensiert diesen nicht (zu der

unterschiedlichen Praxis der Bundesländer vgl. meinen Beitrag von April 2022 „Die

prekäre finanzielle Situation von Gefangenen während der Pandemie“). Abgesehen

davon, hängen die betroffenen Verwahrten immer unzufriedener auf den engen

Stationen herum und wissen vielfach nichts mit sich anzufangen. So dass zumindest

die Aufnahme der Ausführungen etwas Entlastung verspricht.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. Justizvollzugsanstalt (SV),

Hermann-Herder-Str. 8, 79104 Freiburg

https://freedomforthomas.wordpress.com

http://www.freedom-for-thomas.de