Leserbrief zu jW vom 4./5.5.2013: „Strippenzieher Andreotti“ von Gerhard Feldbauer
Bereits im Februar d. J. behauptete der Autor in dieser Zeitung bei der „Entführung und Ermordung des christdemokratischen Parteiführers Aldo Moro.“ hätte die NATO-Geheimarmee „Gladio“ „Regie“ geführt (jW v. 21.2.13). Diese These geistert durchs linke Feuilleton wie die Behauptung, bei der RAF habe es sich um ein Phantom gehandelt. Tatsächlich wurde die Aktion von der linksmilitanten Brigate Rosse durchgeführt. Nun setzt der Autor noch eins drauf und suggeriert, dass sich Moro in unmittelbarer Gefangenschaft der CIA befunden und direkt von Gladio ermordet worden wäre; Zeugen wären liquidiert worden; alle Brigadisten hätten dazu geschwiegen. Das stimmt nicht. Bereits 1993 erklärte Mario Moretti im Gespräch mit Rossana Rossanda, dass Moro die ganze Zeit in der Via Montalcini gefangen gehalten wurde. „Von dort wurde er nie weg gebracht.“ Die Behauptung des Generals Serravalle, daß an der Entführung ein Militärspezialist teilgenommen hätte, bestätigten die Exbrigadistas, die sich zur Moro-Entführung umfassend öffentlich geäußert haben, bislang nicht. Die Kolonne der Militanten bestand aus weniger als einem Dutzend; geschossen haben vier. Wer will da wen gesteuert haben? Im Gegenteil: So antwortete Moretti auf die Frage, ob es Kontakt zu Geheimdiensten gegeben hätte: „Das wäre schön, he? Wenn man alles zusammenschmeißen könnte, CIA, KBG, SISME, SISDE, Mafia, P2 usw., um alle Ereignisse dieser zwanzig Jahre in den großen universellen Komplott zu packen. Auch eine Bewegung wie die unsere wäre beruhigender, wenn man sie als Manöver obskurer Kräfte, ähnlich den Massaker dirigierenden Geheimdiensten ansähe. Wir sind aber dazu verurteilt, die Dinge differenzierter zu sehen, wenn wir sie verstehen und kritisieren wollen. Die Wahrheit ist, dass die BR keinen Kontakt mit Geheimdiensten jedweder Art und Nationalität geknüpft hat, weder direkt noch über Umwege.“ (Rossana Rossanda / Carla Mosca, Mario Moretti – Brigate Rosse – Eine italienische Geschichte, Berlin/Hamburg 2006, S. 211 f.) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Gespräch „Im offenen Blick“ mit Renato Curcio (Hrsg.: Mario Scialoca, Berlin 1997). Dass die Exmilitanten Interviewbände dieses Umfangs mit frei erfundenen bzw. vom NATO-Geheimdienst diktierten Sachverhaltschilderungen veröffentlichen, um „ihr Leben nicht aufs Spiel zu setzen“, ist wenig glaubhaft.
Wer wissen möchte, wie und warum die Moro-Entführung aus Sicht eines Teils der Brigaden lief, sollte sich auch dieser Quellen bedienen; die Linke sollte sie wenigstens zur Kenntnis nehmen!
Tim Engels, Düsseldorf