US-Gericht bestätigt »Terrorismus«-Urteil gegen Ökoaktivistin Jessica Reznicek für Sabotage der Dakota-Access-Pipeline Von Christian Stache
Die Dakota-Access-Pipeline ist eine knapp 1.900 Kilometer lange Rohrleitung zum Transport von 570.000 Barrel Rohöl pro Tag von North Dakota nach Illinois durch insgesamt vier Bundesstaaten der USA. Die Unternehmung allein hat ein Investitionsvolumen von knapp 3,8 Milliarden US-Dollar. Sie wurde maßgeblich durch Kredite diverser Großbanken finanziert und befindet sich mehrheitlich im Besitz der Konzerngruppe Energy Transfer, die auch die Pipeline betreibt.
Im April 2022 veröffentlichte der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaveränderungen der Vereinten Nationen, auch bekannt als »Weltklimarat«, einen neuen Zwischenbericht mit dem Titel »Klimawandel 2022. Milderung des Klimawandels«. Aus diesem geht unter anderem hervor, dass die Region »Nordamerika« die meisten Emissionen klimarelevanter Treibhausgase seit dem Jahr 1850 akkumuliert hat und die höchsten Pro-Kopf-Emissionen im Jahr 2019 aufwies. Wenn also irgendwo dringend der ökologische Klassenkampf gegen fossile Unternehmen und Infrastruktur geführt werden muss, dann – natürlich nicht nur – in Nordamerika.
Nur zwei Monate nach Erscheinen des Reports hat ein US-Berufungsgericht am 6. Juni der nordamerikanischen Umweltbewegung allerdings einen herben Schlag versetzt. Die drei von der Regierung unter US-Präsident Donald Trump ernannten, republikanischen Richter des Gerichts bestätigten das im Jahr zuvor gefällte Urteil gegen die mit dem »Catholic Worker Movement« (Bewegung katholischer Arbeiter) verbundene 40jährige Umwelt- und Antikriegsaktivistin Jessica Reznicek. Ihre Strafe von acht Jahren Gefängnis, drei weiteren Jahren auf Bewährung und umgerechnet rund 3,2 Millionen US-Dollar »Schadenersatz« an das Energieunternehmen Energy Transfer bleibt somit bestehen. Reznicek hatte sowohl gegen die Einstufung ihrer Taten als »Terrorismus« als auch gegen die damit verbundene Anhebung des Strafmaßes Berufung eingelegt.
Ursprünglich war Reznicek Ende Juni 2021 von einem Gericht nicht nur für schuldig befunden worden, die Leitungen und Ventile der Dakota-Access-Ölpipeline (DAPL) im mittleren Westen der USA sowie Baufahrzeuge unbrauchbar gemacht zu haben. Dies hatte Reznicek gemeinsam mit ihrer Mitangeklagten Ruby Montoya in einer aufsehenerregenden Aktion 2017 öffentlich eingestanden. Im Prozess bekannten sie sich in der Konsequenz auch der »Verschwörung zur Beschädigung einer Energieanlage« für »schuldig«.
Sie begründeten die Sabotageakte ausdrücklich als »gewaltfreie direkte Aktionen« in einer ausweglosen Situation, in der »Konzerneigentum und -profite über unsere Menschenrechte auf sauberes Wasser und Land gestellt werden«. Tatsächlich haben die Eingriffe in den Bau der Pipeline diesen um mehrere Monate verzögert. Mit ihren Aktionen hätten sie aber »nie Menschenleben bedroht«, so Reznicek und Montoya.
Dennoch sah Bundesrichterin Rebecca Goodgame Ebinger es auch als erwiesen an, dass Reznicek »Terrorismus gefördert« habe. Sie folgte damit der Argumentation des Staatsanwalts Jason Griess, der Rezniceks Taten bei der Urteilsverhandlung als »inländischen Terrorismus« qualifizierte. Er behauptete im Namen Washingtons während des Gerichtsprozesses, die Aktivistin habe das Eigentum des Pipelineunternehmens Energy Transfer zerstört, »um die US-Regierung zu beeinflussen, einzuschüchtern, zu einer Handlung zu nötigen oder Vergeltung gegen sie zu üben«. Die Orientierung für das Strafmaß wurde dadurch von 37 bis 46 auf 210 bis 240 Monate Haft erhöht.
Richterin Goodgame Ebinger führte ferner in ihrer Begründung der Strafhöhe an, dass »Abschreckung im Vordergrund der Überlegung des Gerichts« stehen müsse, weil Reznicek »die Pipeline beschädigt hat, um ein politisches Statement abzugeben«. Zwar blieb die Richterin schließlich mit ihrem Urteil von 96 Monaten unter dem möglichen Höchstmaß. Sie sanktionierte aber eine Haftzeit, die mehr als das Doppelte der Dauer beträgt, die für ein Urteil ohne die Anschuldigung des »Terrorismus« gegolten hätte.
Abgesehen von den persönlichen Konsequenzen der beiden Gerichtsentscheidungen für Reznicek, die bereits im August 2021 ihre Haftstrafe angetreten hat, haben die Verdikte weitgehende Folgen für soziale Bewegungen und ihre Widerstandsstrategien. Denn die Rechtsauslegung der Staatsanwaltschaft und aller beteiligten Richter knüpft nicht nur an politische Kampagnen von Unternehmen an, mit denen Umwelt- und Tierbefreiungsaktivisten bereits seit den 1980er Jahren als »Ökoterroristen« gebrandmarkt werden. Sie verfestigt vor allem eine Rechtspraxis, die in den Vereinigten Staaten spätestens mit dem Patriot Act etabliert worden ist. Mit dem im Oktober 2001 verabschiedeten Gesetzespaket wurde der Begriff des »Terrorismus« derart erweitert, dass Taktiken des zivilen Ungehorsams sozialer Bewegungen als »Inlandsterrorismus« kriminalisiert werden können. So kann dann auf dem vorläufigen Höhepunkt der Klimakrise im regionalen Zentrum ihrer Produktion ein fossiler Konzern zum »Opfer« und eine Ökoaktivistin zur Staatsfeindin eerklärt werden.
junge Welt 17.Juni 2022