KNASTKOSTÜM: Gegen die Anstaltsuniform

Politische Gefangene aus der Türkei beendet erfolgreich Hungerstreik

Die politische Gefangene Özgül Emre hat am Mittwoch ihren seit dem 17. Mai andauernden Hungerstreik beendet. Zu Wochenbeginn war die 40jährige aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustandes aus der rheinland-pfälzischen JVA Rohrbach ins Justizvollzugskrankenhaus Wittlich verlegt worden. Die JVA-Leitung hatte ihr nach Angaben von Unterstützern, die zunächst vor der JVA und dann vor dem Krankenhaus eine Dauermahnwache veranstalteten, zuvor über längere Zeit die während eines Hungerstreiks lebensnotwendige Einnahme von Salz und Zucker verweigert.

Emre, die in den 1990er Jahren als Journalistin für die linke Zeitschrift Kurtulus (Befreiung) in der Türkei gearbeitet hatte und später im deutschen Exil lebte, war aufgrund eines Haftbefehls der Bundesanwaltschaft am 16. Mai in Heidelberg festgenommen worden.

Ihr sowie den beiden Aktivisten Ihsan Cibelik und Serkan Küpeli, die ebenfalls in Untersuchungshaft genommen wurden, werden »Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland« nach dem Strafgesetzbuchparagraphen 129 b vorgeworfen. Sie sollen der in der BRD verbotenen Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) aus der Türkei angehören, Emre soll die Deutschlandverantwortliche der antiimperialistischen Organisation gewesen sein.

Ihren Hungerstreik begann Emre, nachdem ihr die JVA-Leitung befohlen hatte, Anstaltskleidung zu tragen. Anstelle der Gefängnisuniform fordert sie ihre eigene Kleidung. Tatsächlich sieht das Justizvollzugsgesetz von Rheinland-Pfalz gar keine einheitliche Anstaltskleidung für Untersuchungsgefangene vor, wie Emres Rechtsanwalt Yener Sözen am Dienstag gegenüber jW bestätige. Der Jurist hält daher die Anordnung von Anstaltskleidung für willkürlich und fordert, dass seine Mandantin ihre private Kleidung ausgehändigt bekommt. Dagegen hatte die Anstaltsleitung Sicherheitsbedenken geltend gemacht und gemutmaßt, es könnten Waffen oder geheime Botschaften in der Kleidung transportiert werden. Inzwischen habe die JVA-Leitung ihn darüber informiert, dass zivile Kleidung für Emre in das Justizvollzugskrankenhaus unterwegs sei, berichtete Sözen am Dienstag. Damit ist Emres Forderung erfüllt, so dass sie ihren Protest nach Angaben ihrer Unterstützer am Mittwoch abbrach.

Warum der Widerstand gegen Anstaltskleidung für politische Gefangene so eine große Rolle spielt, dass sie dafür bereit sind, ihre Gesundheit aufs Leben zu setzen, begründete Sibel Teke (Name auf Wunsch geändert) am Dienstag gegenüber jW. »Das Verhältnis zwischen Revolutionären und den Behörden kapitalistischer Staaten ist ein Antagonismus«, so die ehemalige politische Gefangene, die selbst einmal im Gefängnis in einem anderen europäischen Staat mit einem Hungerstreik ihr Recht auf eigene Kleidung durchgesetzt hatte.

»Mit der Anstaltskleidung soll uns unsere politische Identität genommen und unser Wille gebrochen werden. Es ist eine Aufforderung zur Unterwerfung unter den politischen Gegner, der wir nicht nachkommen.« Für politische Gefangene gehe es darum, vom ersten Moment der Gefangenschaft an überall dort Widerstand zu leisten, wo es unter diesen Bedingungen möglich sei. In Isolationshaft bliebe dafür vor allem das Mittel des Hungerstreiks.

In der Türkei haben Hungerstreiks gegen Anstaltskleidung lange Tradition. Schon unter der Militärdiktatur 1984 fand im Gefängnis in Metris über mehrere Monate eine solche Protestaktion statt. Der Zwang zum Tragen von Anstaltskleidung wurde zu einem hohen Preis abgewehrt: Die Gefangenen Abdullah Meral, Fatih Öktülmüs, Haydar Basbag und Hasan Telci starben damals im Hungerstreik.

Von Henning von Stoltzenberg junge Welt 20.6.22