Pressemitteilung zur Urteilsverkündung
Unser Statement zur damaligen Abschiebung und zur Polizeigewalt findet ihr hier.
Am 3.4.2020 wurde das Urteil gegen zwei Angeklagte gefällt, die in Folge einer gewaltsam durchgesetzten Abschiebung in der Leipziger Hildegardstraße in der Nacht vom 09. auf den 10. Juli 2019 festgenommen worden waren.¹
Der eine Angeklagte, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Deutschland hat, wurde wegen besonders schwerem Landfriedensbruch, tätlichem Angriff, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einem Jahr und 6 Monaten Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt. Ihm wurde vorgeworfen eine Flasche in Richtung Polizeibeamten geworfen zu haben, wenn auch niemand getroffen wurde.Der andere Angeklagte, alleinerziehender Vater einer vierjährigen Tochter, wurde von diesen Vorwürfen freigesprochen, da nicht genügend belastenden Beweise für eine Verurteilung vorlagen. Wegen einer angeblichen Beleidigung eines Polizisten während einer Zwangsmaßnahme im Polizeigewahrsam wurde er jedoch zu 30 Tagessätzen á 10€ verurteilt.
Scheinbar in erster Linie um den Gewaltexzess der Polizei zu rechtfertigen, mussten die beiden Betroffenen in den vergangenen Monaten ein nervenaufreibendes Verfahren voller Vorverurteilungen und in völliger Abwesenheit objektiver Beweise über sich ergehen lassen. Beide befanden sich fast 3 bzw. über 7 Monate in Untersuchungshaft.
Der Prozessverlauf war für uns an vielen Stellen immer wieder schockierend. Vorsitzend war ein Richter, der bereits zu Beginn der Verhandlung deutlich machte, dass es aus seiner Sicht keines individuellen Tatnachweises bedarf, um die Angeklagten wegen Landfriedensbruch zu verurteilen. Einziger Belastungszeuge eines Angeklagten ist ein ziviler Tatbeobachter der sächsischen Bereitschaftspolizei, der vor Gericht detailreich angebliche Tathandlungen schildert, aber bezeichnenderweise jede weitere Aussage verweigert, die entlastende Umstände offenbaren könnten. Auch die Staatsanwaltschaft bemühte sich nicht um eine weitere Aufklärung von Widersprüchen oder weitere Aussagegenehmigungen. Dem anderen Angeklagten wurde ein Dolmetscher bei der ersten Vernehmung von der Polizei bestellt, der dessen Muttersprache nicht spricht, nicht vereidigt ist und dessen defizitären englischen Sprachkenntnis vor Gericht deutlich wurden. Polizeizeugen können sich vor ihrer Aussage die Akten zum Fall durchlesen, diese als ihre angeblichen Erinnerungen wiedergeben oder sich mit Kolleg*innen (die teilweise in Uniform oder in Zivil im Publikum sitzen) absprechen – eine Praxis, die schon oft von Strafverteidiger*innen kritisiert wurde. Bekannt wurde durch investigative Recherche durch den Rechtsbeistand zudem, dass ein Polizeizeuge nachweislich Kontakte mit Rechtsextremisten pflegt. Diese Liste an Kritikpunkten an dem konkreten Prozess bzw. generell dem Umgang der Strafverfolgungsbehörden mit Amtsträger*innen ließe sich fortsetzen.²
Im Laufe des Prozesses wurde von verschiedenen Polizeizeugen immer wieder betont, der Abend sei zunächst friedlich verlaufen und erst nach erfolgter Abschiebung und dem Beginn der zwangsweisen „Räumung“ der Straße, unter Einsatz von Zwangsmitteln körperlicher Gewalt, wäre der zuvor gewaltlose Protest durch einzelne Demonstrierende eskaliert worden. Die Rechtmäßigkeit des Polizeieinsatzes hätte bei der Bewertung der strafrechtlichen Relevanz über den – im Übrigen unzureichend bewiesenen- individuellen Tatbeitrag hinaus im Prozess thematisiert werden müssen.Das Solidaritätskomitee erklärt ergänzend dazu: „Es gibt keine friedlichen Abschiebungen. Jede Freiheitsberaubung, auch unter dem Deckmantel von Recht & Ordnung,ist gewaltsam. Die Kriminalisierung einzelner und solidarischer Menschen dient nur der Delegitimation eines vielfältigen Protests, der auf ein würdevolles und sicheres Leben von Geflüchteten abzielt.“
Kontakt zum Solidaritätskomittee: solikomitee1007 at riseup.net
¹ PM: Prozessauftakt
² Für detailierte Prozessberichte der einzelnen Verhandlungstage siehe: https://le1007.home.blog/prozessbegleitung/
Pressemitteilung des Solidaritätskomitees le1007