Vielleicht kann die Kritik der Anti-Folter-Stelle an der Situation in deutschen Gefängnissen der Einsicht zum Durchbruch verhelfen, dass auch Häftlinge Rechte haben und sie auch durchsetzen können müssen
Verdreckte Zellen, lange Einzelhaft, enge Zellen. Die Mängelliste ist lang, mit der die Anti-Folterstelle in ihrem Jahresabschlussbericht das deutsche Gefängnissystem charakterisierte.
Die Nationale Stelle wurde auf Grundlage des Fakultativprotokolls zur UN-Antifolterkonvention vom 10. Dezember 1984 geschaffen. Sie hat den gesetzlichen Auftrag, regelmäßig „Orte der Freiheitsentziehung“ zu besuchen und die Bedingungen für die Behandlung der dort untergebrachten Personen zu überprüfen. Sie weist auf ggf. vorgefundene Missstände hin und richtet Empfehlungen zur Verbesserung an die zuständigen Aufsichtsbehörden.
Diese durch ein internationales Abkommen nötig gewordene Einrichtung wurde von der deutschen Politik bisher weitgehend ignoriert. Die Meinung, dass eine Anti-Folterstelle in Ländern wie Deutschland überflüssig sei, hält sich hartnäckig. Dass es sich dabei um ein Fehlurteil handelt, zeigt der aktuelle Jahresbericht.
Weitwinkelspione in den Toilettenräumen
Die Mängelliste ist lang. So wurde in den Zellen des Polizeirevier Kehls, über das zahlreiche Flüchtlinge nach Frankreich zurückgeschickt werden, der Einsatz von Weitwinkelspionen in den Toilettenräumen als Eingriff in die Menschenwürde kritisiert. In den Räumen der Bundespolizeidirektion Düsseldorf wurden an den Pritschen angebrachte metallene Fixierungsvorrichtungen gerügt. In mehreren der besuchten Gewahrsamszellen waren zudem keine Brandmelder angebracht, was angesichts der heftigen Diskussion anlässlich des bis heute ungeklärten Feuertodes des Flüchtlings Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle besonders verwunderlich ist.
Besonders kritisiert wurden die Zustände in der Jugendvollzugsanstalt Berlin: „Der besonders gesicherte Haftraum befand sich zum Bezugszeitpunkt in einem unhygienischen, ekelerregenden Zustand. Die Schaumstoffmatratze … wies undefinierbare Flecken auf und war übersät mit toten Insekten. Die Toilette sowie der Trinkwasserspender waren völlig verdreckt“, heißt es in dem Bericht. Auch die Arresträume wurden als extrem ungepflegt charakterisiert. In der Justizvollzugsanstalt Bernau am Chiemsee moniert die Anti-Folter-Stelle, dass Einzellzellen doppelt belegt gewesen seien. In anderen JVA waren die Zellen zu eng.
Die in dem Bericht erwähnten Zustände in vielen Gefängnissen machen verständlich, warum Gefangene nicht selten Leben und Gesundheit gefährden, um die Änderung der von ihnen als unmenschlich empfundenen Zustände im Gefängnis durchzusetzen. Erst kürzlich hat der in der Häftlingsinteressenvertretung aktive Peter Scherzl mit einen Hungerstreik Verbesserungen in seinem Knastalltag zu erreichen versucht. Nach der Aussetzung der Aktion versuchen Solidaritätsgruppen bisher vergeblich, eine Verbesserung zu erwirken.
Im letzten Jahr hatte sich der Häftling Werner Braeuner mit einem langen Hungerstreik unter anderem gegen Verunreinigungen im Essen gewehrt. Solche Aktionen bekommen in der Regel wenig Öffentlichkeit und werden von Teilen der Bevölkerung sogar regelrecht abgelehnt. Die Vorstellung, dass Strafgefangene keine Forderungen zu stellen haben, ist weitverbreitet. Vielleicht kann die Diskussion um den Jahresbericht der Anti-Folter-Stelle der Vorstellung zum Durchbruch verhelfen, dass eine JVA kein rechtsfreier Raum ist und dass auch verurteilte Strafgefangene Rechte haben und diese auch einfordern können müssen.
Peter Nowak
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151739