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München:Prozessbericht 10.10.2016

Bayerische Justiz ermöglicht türkischem Staat Zugriff auf vertrauliche Post zwischen Angeklagtem und Verteidigern
Der 16. Hauptverhandlungstag begann damit, dass die Verteidigung Elma den Antrag stellte, die Hauptverhandlung zu unterbrechen bis geklärt ist, durch welche Übersetzer die Verteidigerpost der Verteidigung Elma übersetzt worden ist und insbesondere, ob es sich dabei um in der Türkei ansässige Übersetzer handelt.

Hintergrund dieses Antrages ist folgendes: Wie berichtet, unterliegen in diesem § 129b-Verfahren die Mandanten und die Verteidiger_innen erheblichen Einschränkungen. Die Mandanten und ihre Verteidiger_innen sind bei Gesprächen durch eine Glasscheibe getrennt und es wird sämtliche Verteidigerpost – also alle zwischen den Mandanten und den Verteidigern gewechselten Schriftstücke – durch einen sogenannten Kontrollrichter gelesen. Die Anordnung solch einer Kontrolle unterstellt den Verteidigern, sie würden sich mit dem Mandanten schriftlich über andere Themen als die der Verteidigung austauschen. Dieser Kontrollrichter gehört nicht dem erkennenden Senat des OLG München an, sondern sind jeweils in dem für die JVA zuständigen Bezirk ansässig. Soweit die Schreiben der Mandanten und Verteidiger auf Türkisch verfasst sind – was bei fast allen Schreiben der Fall ist –, leitet der Kontrollrichter diese an einen Übersetzer, der sie übersetzt, damit der Kontrollrichter sie anschließend auf Deutsch lesen und „kontrollieren“ kann. Diese Kontrolle führt dazu, dass die gesamte mit dem Mandanten schriftlich geführte Diskussion über Verteidigungsziele und -strategien diesem Richter und dem von ihm beauftragten Übersetzer bekannt werden. Dies ist ein massiver Eingriff in das geschützte Verhältnis zwischen Mandant und Verteidiger, den die Verteidigung mehrfach, neben dem Problem das Briefe dadurch 2-4 Wochen unterwegs sind, gerügt hat.
Zunächst ein vager Verdacht, es könnte aus Kostengründen Verteidigerpost zu Übersetzern in die Türkei gelangt sein, brachte die Verteidigung Elma dazu nachzuforschen, wie der Kontrollrichter die Übersetzungen der Verteidigerpost konkret umgesetzt hatte. Der Senat hatte bereits in der letzten Hauptverhandlung zugesagt, diesen Umstand aufzuklären. Dieser Zusage war der Senat auch nachgekommen, aber es fehlte zu Beginn der heutigen Verhandlung noch die Auskunft des Kontrollrichters des Amtsgerichts Kempten, weshalb die Verteidigung – wie oben geschildert – gleich zu Beginn die Unterbrechung der Hauptverhandlung beantragte. Der Senat lehnte diesen Unterbrechungsantrag mit der Begründung ab, es sei für die Verteidigungsstrategie unerheblich, in welche Hände die Verteidigerpost gelangt sei, die Verteidigung Elma müsse gleichwohl weiterverhandeln und abwarten, bis die Auskünfte eingetroffen seien, die der Senat angemahnt habe.
Anschließend ging der Senat dazu über, Anträge der Verteidigung u.a. auf Ablösung dreier Gerichtsdolmetscher abzulehnen. Der Senat behauptet in den Beschlüssen entgegen der offensichtlichen Probleme der Gerichtsdolmetscher mit der Übersetzung, diese seien für das Verfahren ausreichend qualifiziert. Trotz dieser Behauptung verpflichtet der Senat allerdings ständig zusätzlich neue Gerichtsdolmetscher und bestätigt damit die Berechtigung der Rügen der Verteidigung.
Es folgte – nach 15. Hauptverhandlungstagen – der Einstieg in die Beweisaufnahme. Diese Beweisaufnahme begann mit der Verlesung einer Übersetzung der Satzung der TKP/ML.
Die Verteidigung widersprach aus rechtlichen Gründen der Verwertung dieser Urkunde.
In einer auf diese Verlesung folgende Verhandlungspause, erfuhr sodann die Verteidigung Elma, dass inzwischen die Antwort des Kontrollrichters eingegangen war und sich die schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet hatten: Das von dem Kontrollrichter beauftragte Übersetzungsbüro hatte nach möglichst billigen Übersetzern gesucht mindestens ein Schreiben – also sensible Verteidigerpost – an Übersetzer in der Türkei abgegeben. Gleichzeitig teilt das Übersetzungsbüro mit, dass ihm von dem Kontrollrichter keinerlei Einschränkungen bzgl. der Weitergabe der Verteidigerpost gemacht worden waren und es weigert sich, die dort noch vorhandenen Kopien dieser Verteidigerpost zu vernichten.
Das bedeutet, dass die ansonsten absolut geschützte schriftliche Kommunikation zwischen Angeklagten und ihren Verteidigern per Post oder womöglich unverschlüsselt per Email an nicht weiter überprüfte Dolmetscher geschickt wurde, die nicht einmal zur Verschwiegenheit verpflichtet wurden.
Ganz abgesehen von dem Problem, dass unter solchen Umständen keinerlei vertrauliche Kommunikation zwischen der Verteidigung und den Angeklagten mehr möglich ist, schließlich könnte diese Verteidigerpost ja auch an die Staatsanwaltschaft oder die Polizei gelangen, besteht vorliegend ja wegen des erklärten Strafverfolgungsinteresse des türkischen Staat ein besonderes Problem.
Die Weitergabe an nicht überprüfte und nicht zur Verschwiegenheit verpflichtete Dolmetscher ist vor diesem Hintergrund bereits innerhalb der Bundesrepublik ein Problem.Es ist bekannt, dass der türkische Staat mittels seiner Geheimdienste sowie tausender bewusster oder unbewusster Informant_innen in der Bundesrepublik insbesondere Oppositionelle überwacht. Dieses Netz an Informanten des türkischen Regimes ist innerhalb der Türkei deutlich besser ausgebaut. Doch bereits die Tatsache, dass die Briefe per unverschlüsselter E-Mail in die Türkei geschickt wurden, ist vor dem Hintergrund der Totalüberwachung der elektronischen Auslandskommunikation durch die türkische Polizei und den Geheimdienst ein Skandal. Jede Mail und jeder Brief werden – spätestens seit Verhängung des Ausnahmezustandes und der Suspendierung der Selbstverpflichtung zu Einhaltung der europäischen Menschenrechtskonvention durch das Erdorgan-Regime gespeichert und kontrolliert. Unabhängig von dem Übertragungsweg befindet sich nun Verteidigerpost in den Händen von Übersetzern in der Türkei, ohne jegliche Möglichkeit des Einflusses des Senats oder deutscher Behörden. Auch die Frage welche Informationen möglicherweise über den bekannten Austausch des deutschen und türkischen Geheimdienstes bzw. der deutschen und der türkischen Polizei zurück an deutsche Sicherheitsbehörden fliest, ist nicht bekannt und kaum aufzuklären.
Indem der Kontrollrichter die Übersetzungen an ein Übersetzerbüro zu einem sehr niedrigen Preis gegeben hat und dem Büro keine Vorgaben zu dem Umgang mit der Verteidigerpost gemacht hat, hat die bayerische Justiz dem türkischen Staat eine Möglichkeit zum Zugriff auf die vertrauliche Post zwischen dem Angeklagten Elma und seinen Verteidigern gegeben. Damit ist ein faires Verfahren nicht mehr möglich.
Die Verteidigung Elma beantragte daher, die Hauptverhandlung für heute abzubrechen, damit zunächst einmal mit dem Mandanten besprochen werden kann, was diese neue Erkenntnis bedeutet und welche Konsequenzen hieraus zu ziehen sind. Der Senat gab diesem zweiten Unterbrechungsantrag der Verteidigung Elma nun nach.
Die übrigen Verteidigerteams forderten den Senat auf, bei den weiteren Kontrollrichtern anzufragen, wo die Übersetzungen ihrer Verteidigerpost in Auftrag gegeben wurden, und wer diese Übersetzungen vorgenommen hat. Unter Umständen sind auch andere Angeklagte von dieser Praxis der bayerischen Justiz betroffen.
Mit diesem Skandal kann von einem fairen Prozess nicht mehr gesprochen werden.
19.09. UND 23.09.2016
Prozesserklärung von Musa Demir und: Provokation der Bundesanwaltschaft
Am vierzehnten Verhandlungstag wurde nur halbtätig verhandelt, da am Nachmittag eine Besichtigung des neuen Hochsicherheitsgerichtssaals in der JVA München Stadelheim durchgeführt wurde. Zu den Plänen des OLG, die Verhandlung aus der Innenstadt heraus in das abgelegene Gefängnis zu verlegen, wird zu einem späteren Zeitpunkt berichtet werden. Es ist ein weiterer Versuch, die Angeklagten wider besseres Wissen als gemeingefährliche Terroristen abzustempeln und die Öffentlichkeit von der Prozessbeobachtung im dortigen Verhandlungsbunker abzuschrecken.
Die Sitzung begann mit der Verfügung des Vorsitzenden, dass trotz der nach dem letzten Verhandlungstag von den Angeklagten gestellten Befangenheitsanträgen, weiterverhandelt werden soll. Es war deutlich zu spüren, dass der Vorsitzende vom Vorwurf der Befangenheit getroffen war.
Die Verteidigung stellte weitere Anträge zur Ablösung der Gerichtsdolmetscher, die sich zur ordnungsgemäßen Übersetzung unfähig, und teilweise gegenüber den Angeklagten voreingenommen gezeigt hatten. Wegen erneuter Schwierigkeiten der Übersetzung verzögerte sich dies erneut.
Zum 15.09.2016 lag dann auch ein Beschluss anderer Richter des OLG München vor, mit dem die Befangenheitsanträge als unbegründet verworfen wurden.
Im Anschluss verlas der vorsitzende Richter die Anordnung eines umfangreichen Selbstleseverfahrens. Das Gericht beabsichtigt damit, zahlreiche wichtige Beweismittel in den Prozess einzuführen, ohne diese öffentlich in der Hauptverhandlung zu verlesen. Der normalerweise geltende Grundsatz, dass alles was das Gericht zur Grundlage seines Urteils machen will, mündlich verhandelt werden muss, wird so durchbrochen. Diese Regelung wurde eigentlich für umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren geschaffen, um z.B. stundenlange Verlesung von Kontoauszügen ohne inhaltlichen Aussagen, abkürzen zu können.
Hier aber gehören zu diesen Beweismitteln zum einen Dokumente, aus denen sich der Aufbau und die Struktur der TKP/ML und ihrer Gliederungen sowohl in der Türkei als auch in Europa ergeben sollen, also Satzungen, Erklärungen etc. Diese wurden teilweise von türkischen Behörden auf Anfrage der Bundesanwaltschaft zur Verfügung gestellt.
Zum anderen sollen im Selbstleseverfahren Unterlagen mit Ermittlungsergebnissen türkischer Behörden zu Anschlägen und Angriffen, die der TKP/ML von der Anklage zugerechnet werden, zum Gegenstand des Prozesses gemacht werden. Die Verteidigung erhob Widerspruch gegen diese Anordnungen und wird diesen zeitnah begründen.
Im Anschluss konnte der Angeklagte Musa Demir seine Prozesserklärung vortragen, die wir hier dokumentieren.
Im weiteren Verlauf des Verhandlungstages versuchte die Bundesanwaltschaft die Stimmung im Verhandlungssaal zu kippen, und Handlungsmöglichkeiten der Angeklagten einzuschränken. Zunächst gab es eine Beschwerde beim Vorsitzenden, es habe in einer Verhandlungspause, in der die Angeklagten im Saal bleiben durften, eine Kontaktaufnahme mit Besuchern gegeben. Der Vorsitzende drohte daraufhin an, im Wiederholungsfall die Angeklagten in jeder Pause in die Zellen bringen zu lassen. Daraufhin nutzten die Sitzungsvertreter der Bundesanwaltschaft die nächste Pause zur Eskalation. Ein Angeklagter hatte seinem 6-Jährigen Sohn auf der Zuschauertribüne zugewunken und wohl ein paar Worte zugerufen. Bei den Polizeikräften wurde also interveniert, diese versuchten weiteren Kontakt zwischen Vater und Kind zu verhindern – es entstand ein wüstes Gedränge und Geschimpfe. Als die Bundesanwaltschaft dies mit hämischem Grinsen begleitete, kam es zu einer lautstarken Auseinandersetzung mit der Verteidigung.
Es wurde erneut deutlich, dass die Bundesanwaltschaft diesen Prozess nicht nur juristisch führen will, sondern mit der wiederkehrenden Forderung nach repressiver Handhabe der ohnehin drastischen Sicherheitsvorkehrungens versucht, die Angeklagten auch psychisch anzugreifen und zu schwächen. Um so wichtiger ist die dauerhafte öffentliche Beobachtung des Prozesses.