Bundesregierung sieht öffentliche Sicherheit durch Liedtexte linker türkischer Grup Yorum gefährdet und rechtfertigt damit Repressalien
Irgendwie ein Sicherheitsrisiko, meint die Bundesregierung: Grup Yorum, hier bei ihrem Auftritt während der Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt am 9. Januar 2016
In der Türkei ist die 1985 gegründete Grup Yorum die wohl populärste linke Musikgruppe, bei deren kostenlosen Volkskonzerten in Istanbul sich schon bis zu einer Million Besucher versammelten. Ihre häufig wechselnden Musiker sind dabei scharfer Verfolgung ausgesetzt. Erst Ende Mai wurden sieben Bandmitglieder bei einer Razzia in Istanbul festgenommen und gefoltert. Doch auch in Deutschland, wo Grup Yorum seit 2012 Konzerte gegen Rassismus mit bis zu 14.000 Besuchern veranstaltet und wo sie 2016 auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt auftrat, leidet die Gruppe unter Repressalien.
So forderte das Bundesinnenministerium in einem am 23. Mai 2017 an die obersten Landesbehörden von Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen versandten Rundschreiben die Verhinderung von Grup-Yorum-Auftritten. Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke, wollte daher in einer kleinen Anfrage wissen, was gegen die Musiker vorliege. Über eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Zusammenhang mit einem Auftritt von Grup Yorum lägen der Bundesregierung zwar »keine Erkenntnisse vor«, heißt es in der nun vorliegenden Antwort. Allerdings seien bei einigen Konzerten Symbole der auch in Deutschland verbotenen Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) gezeigt worden. Diese linksradikale Organisation hatte sich in der Türkei wiederholt zu bewaffneten Angriffen auf die Polizei sowie 2013 zu einem Selbstmordattentat auf die US-Botschaft in Ankara bekannt.
Die Regierung moniert außerdem, dass auf einem von der DKP in Gladbeck angemeldeten Grup-Yorum-Konzert an einem Infostand ein Bild des »DHKP-C-Ideologen Mahir Cayan« gehangen habe. Der 1972 bei einem Feuergefecht mit der Polizei getötete Studentenführer Cayan zählt zu den Idolen der türkischen Linken und gilt als eine Art anatolischer Che Guervara.
Eine Einflussnahme türkischer Stellen auf die Entscheidungen deutscher Behörden wird in der Antwort verneint. Zwar seien Auftritte der Gruppe in Gesprächen von Vertretern des Verfassungsschutzes mit Kollegen türkischer Sicherheitsbehörden thematisiert worden. Von seiten der Türkei, wo die Tonträger der Gruppe auch nach Kenntnis der Bundesregierung frei erhältlich sind, sei aber bislang kein Auftrittsverbot in Deutschland gefordert worden.
Gleichwohl diene Grup Yorum der DHKP-C »zur ideologischen Indoktrination und damit Mobilisierung der (Volks-)›Massen‹«, rechtfertigt die Bundesregierung unter Berufung auf ein Urteil des Oberlandgerichts Stuttgart die Aufforderung an die Landesbehörden, Auftritte zu unterbinden. Das OLG hatte im Juli 2015 vier Funktionäre der legalen Anatolischen Föderation unter anderem wegen der Organisation eines Grup-Yorum-Konzerts unter dem Vorwurf der Mitgliedschaft in einer »terroristischen Vereinigung im Ausland« zu Haftstrafen verurteilt.
Weiter beklagt das Innenministerium, die Gruppe pflege ein »revolutionär-sozialistisches Musikverständnis«. So gehe von deren Liedtexten eine »Gefahr für die öffentliche Sicherheit« aus, da diese »den Terrorismus der DHKP- C rechtfertigen und glorifizieren und zu gewaltsamen Auseinandersetzungen auffordern«. Wenn die Musiker in ihrem neu veröffentlichten Lied »Vur Vur!« singen, »unsere Herzen schlagen für den gelben Stern«, ist damit nach Ansicht Berlins das Symbol der DHKP-C gemeint. Auch die in dem Lied besungene »Fahne der Hoffnung« ist für die Bundesregierung Terrorpropaganda, denn »Hoffnung« sei ein organisationsinternes Synonym für die DHKP-C. Einen Aufruf zur Gewalt hat die Regierung auch in dem Lied »Hakikat Savascisi« entdeckt, das dem in türkischer Polizeihaft zu Tode gefolterten Zeitungsverkäufer Engin Ceber gewidmet ist. Denn dieses endet mit den Worten: »Das Schwert der Gerechtigkeit wird gezogen werden um den Preis neuer Märtyrer.«
Fraglich ist, ob den Zensoren aus dem Bundesinnenministerium jemals die folgenden Zeilen untergekommen sind: »Zu den Waffen, Bürger, formt eure Truppen, marschieren wir, marschieren wir! Unreines Blut tränke unsere Furchen!« und »Heilige Liebe zum Vaterland, führe, stütze unsere rächenden Arme!« Sie stammen allerdings nicht von Grup Yorum, sondern aus der französischen Nationalhymne.
Nick Brauns junge Welt 17.7.2017