Das Gefängnis konnte sie nicht brechen. Als Maritza Garrido Lecca am 11. September in Lima aus der Haft entlassen wurde, bedrängten die in Scharen anwesenden Journalisten die ehemalige Tänzerin. »Willst du das Land um Verzeihung bitten, Maritza?« oder »Schämst du dich, Maritza?« schrien sie von allen Seiten und bedrängten die zierliche 52jährige.
Verhaftet wurde Garrido Lecca vor fast genau 25 Jahren. Damals herrschte in Peru ein »interner Krieg«, von den Herrschenden nur als »Zeit des Terrorismus« bezeichnet. Zwischen 1980 und 2000 bekämpften die maoistische Guerilla »Sendero Luminoso« (»Leuchtender Pfad«) sowie die guevaristische MRTA den Staat.
Am 12. September 1992 gelang den peruanischen Repressionsbehörden – mit Unterstützung von US-Geheimdiensten – ein schwerer Schlag gegen den »Leuchtenden Pfad«. Ein Spezialkommando stürmte ein Tanzstudio in einem gutbürgerlichen Stadtteil Limas. Sie nahmen den Anführer der Maoisten, Abimael Guzmán, zusammen mit dessen Lebensgefährtin und Nummer zwei des Zentralkomitees, Elena Iparraguirre, fest. Unterschlupf war ihnen von der damals 27jährigen Tänzerin und Tanzlehrerin Garrido Lecca gewährt worden.
Viel wurde darüber spekuliert, ob Garrido Lecca, die mittlerweile zu einer der bekanntesten »Senderistas«, wie die Anhängerinnen der Guerilla in Perus genannt werden, zählt, zu diesem Zeitpunkt überhaupt Mitglied der Partei war. Wahrscheinlich ist, dass die Tochter aus wohlhabendem Hause sich wie viele junge Menschen in den 80er Jahren politisierte und mit der Guerilla und ihren Zielen für ein sozialistisches Peru sympathisierte.
Als »Jahrhundertverhaftung« gefeiert, wurden die Gefangenen in bizarr anmutenden schwarzweiß gestreiften Anzügen der Presse vorgeführt. Garrido Lecca bezeichnete dieses Zurschaustellen als Farce und bekannte sich öffentlich zum Marxismus-Leninismus-Maoismus in der Auslegung des »Leuchtenden Pfades«. In einem Prozess mit anonymen Richtern wurde sie ohne richtige Verteidigung zu lebenslanger Haft verurteilt.
Bis 2001 saß die Tänzerin im Hochsicherheitsgefängnis von Yanamayo in der abgelegenen Andenregion Puno. Im Jahr 2002 wurde das Gerichtsverfahren wegen »Terrorismus« neu aufgerollt, denn die Praxis der geheimen Richter war für rechtswidrig erklärt worden. Für das Verstecken von Guzmán und Iparraguirre wurde Garrido Lecca schließlich zu 25 Jahren Haft verurteilt; der Vorwurf »terroristische Aktivität« konnte indes nicht bestätigt werden.
In den Tagen vor ihrer Entlassung hatte die peruanische Presse bereits ein Schreckensszenario konstruiert. Fernsehteams fuhren ins wohlhabende Miraflores, wo ihre Mutter lebt, und hatten sich in der Nachbarschaft umgehört. »Soll sie doch in die armen Barrios gehen. Das sind die Leute, die sie befreien wollte«, erklärte eine Anwohnerin.
Für die Bourgeoisie und die weiße Elite ist Garrido Lecca eine Klassenverräterin. Denn in Peru verläuft die Grenze zwischen oben und unten entlang von Klasse und Rasse. Außerdem traf sie geballt das gesamte frauenfeindliche Ressentiment des Landes: »Wie konnte eine so hübsche junge Frau einen so grausamen Mann verstecken?« Sie wurde als »Hexe« und »Barbarin« dämonisiert und immer wieder öffentlich gedemütigt.
Garrido Lecca fuhr nach ihrer Entlassung aus Lima heraus Richtung Norden. Wo immer sie hielt, wurde sie von den Bürgermeistern zur unerwünschten Person erklärt, denn sie hat sich nie vom Maoismus losgesagt oder den Staat um Verzeihung gebeten. Im Gegenteil. Sie hat in Interviews das Entstehen des »Leuchtenden Pfades« in einen historisch-politischen Kontext gestellt und betont, dass sie eine politische Gefangene ist. Eine Haltung, die sie auch Anfang des Jahres vertrat, als junge Welt mit ihr im Gefängnis sprach. Bis Ende 2017 stehen in Peru die Entlassungen von weiteren 16 politischen Gefangenen des »Leuchtenden Pfades« an.
Von Eleonora Roldán Mendívil
junge Welt 27.9.17