Nakba-Demo in Berlin: Gebrochene Nase und Gehirnerschütterung – Betroffene berichten von Polizeigewalt

Medial wird breit über einen Polizisten berichtet, der in Berlin im Zuge eines pro-palästinensischen Protests verletzt wurde. Demonstrierende, die ins Krankenhaus mussten, finden derweil kein Gehör. Perspektive hat zwei von intensiver Polizeigewalt betroffene Aktivist:innen getroffen.
Ihr musstet am Donnerstag in Krankenhäusern aufgrund von Polizeigewalt behandelt werden. Warum wart ihr dort und was ist dann geschehen?
Daniel: Am 15. Mai – dem Tag der Nakba, der Beginn der Vertreibung des palästinensischen Volkes – hat in Berlin Protest stattgefunden. Tausende Menschen wollten ihre Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand auf die Straße tragen. Die Polizei hat eine Demonstration durch Kreuzberg und Neukölln verboten, auf dem Südstern durfte nur noch eine Kundgebung stattfinden.

Nach den ersten Reden hat die Berliner Polizei die Kundgebung angegriffen. Menschen wurden geschubst, geschlagen und getreten. Als Reaktion darauf haben ich mich gemeinsam mit solidarischen Menschen eingehakt um passiv den Angriffen der Polizei Widerstand zu leisten und klar zu machen: unser Protest ist legitim und trotz Angriffen werden wir hier stehen und laut sein!

Die Polizei hat wahllos auf Menschen eingeschlagen, auch auf mich. Mein Kopf wurde nach unten gedrückt und ich konnte mich nicht bewegen, ich habe Schläge auf meinen Hinterkopf und in mein Gesicht bekommen. In dieser Situation habe ich auch mehrfach das Knie eines Polizisten in mein Gesicht bekommen. Mir wurde schwindelig.

Mareike: In einem von vielen Momenten der Eskalation durch die Polizei habe ich mehrere Schläge ins Gesicht bekommen. Ein Polizist hat mir zwei Mal sehr gezielt auf die Nase geschlagen. Mir war in dem Moment schon relativ schnell klar, dass sie mir die Nase gebrochen haben, weil ich sehr stark geblutet habe. Mein ganzes Gesicht und meine Kleidung war blutverschmiert.

Dennoch konnte ich nicht weg, weil uns die Einsatzkräfte so stark zusammengedrängt haben, dass ich und andere Verletzte noch weitere Schläge und Tritte kassieren mussten, bevor wir medizinische Hilfe bekommen konnten.

Als wir dann von den Demo-Sanitäter:innen versorgt wurden und im Krankenhaus waren, wurde mir dort bestätigt, dass mir die Nase gebrochen wurde.

Daniel: Nach wenigen Minuten habe ich es geschafft von der ersten Reihe gemeinsam mit anderen verletzen aus den Angriffen der Polizei weg zu kommen, wir wurden von solidarischen Menschen versorgt. Weil Demosanitäter:innen klassische Symptome einer Gehirnerschütterung feststellten und eine ärztliche Diagnose für notwendig gehalten wurde, wurde für mich ein Rettungswagen gerufen.

Während ich gewartet habe, habe ich im Minutentakt Schreie nach Sanitäter:innen gehört. Immer wieder sind Verletzte, teils Blutüberströmte Menschen in die entstandene Ecke der Demonstration mit Verletzten gekommen.

Der Rettungsdienst hat mich in den Krankenwagen gebracht, hierbei standen dauerhaft Polizisten vor der Tür, beim öffnen der Tür haben sie immer wieder neugierig zu mir geschaut. Im Krankenhaus angekommen, musste ich warten. Nach etwa einer halben Stunden betraten vier Polizisten die Notaufnahme und fragten nach „dem mit der Kopfverletzung“. Es ging um mich.

Die Polizisten haben mich nach meinen Personalien gefragt, auf meine Nachfrage warum sie diese möchten gingen sie nicht ein. Sie nahmen mich in eine Abstellkammer in einer ruhigen Ecke mit und befragten mich. Erneut machte ich klar „es gibt keinen Grund warum ich meine Personalien geben müsste“ – die Polizisten sagten, sie müssen das mit der Zentrale rückbesprechen.

Während auf eine Antwort gewartet wurde hat einer der Polizisten versucht Smalltalk mit mir zu beginnen, erst ging es darum was ich für eine Ausbildung machen würde, später fragte er mich „Warum hassen sie die Polizei?“. Ich verweigerte ein Gespräch.

Nach mehreren Minuten kamen die restlichen Polizisten wieder. Sie sagten „wir haben jetzt von dem Krankenhaus ihre Personalien bekommen, ob sie noch Post bekommen können wir ihnen nicht sagen“ und verließen das Krankenhaus.

Mir wurde kein Vorwurf, geschweige denn eine rechtliche Begründung genannt warum die Polizei meine Personalien möchte – die Mitarbeitenden des Krankenhaus schien das nicht zu interessieren.

Während ich auf meine Behandlung wartete habe ich jedes Mal, wenn die Tür der Notaufnahme auf ging, geschaut, ob es Menschen sind, die ich kenne oder auch wie ich aufgrund von Polizeigewalt im Krankenhaus waren. Auf eine Handvoll Menschen traf dies zu. Nach vier Stunden warten wurde ich untersucht. Ich habe neben Schrammen und blauen Flecken wie anfangs vermutet eine Gehirnerschütterung.

Wie geht es euch jetzt?
Daniel: Noch immer habe ich Kopfschmerzen und immer wieder Momente in denen mir schwindelig wird. In meinem Gesicht und an meinen Beinen habe ich Schmerzen aufgrund von blauen Flecken und Schwellungen.

Mareike: Mir geht es jetzt soweit gut, ich habe zwar noch Schmerzen in der Nase, aber die Solidarität, die ich von anderen Demonstrierenden und von meinen Genoss:innen erfahren habe hat mich sehr gestärkt. Ich denke, auch deswegen ist so wichtig, dass wir uns solidarisch miteinander zeigen. Der Staat versucht uns ständig zu spalten, insbesondere anhand unserer Herkunft, was wir aktuell vor allem an der Hetzte gegen Migrant:innen sehen können. Deswegen ist es wichtig, dass wir generell und besonders in solchen Situationen zusammenstehen und uns entgegen dieser Spaltungsversuche miteinander solidarisieren.

In der Öffentlichkeit melden sich vom Bundesinnenminister bis hin zu Journalisten zu Wort, welche das brutale Vorgehen der Polizei verteidigen und sogar härteres Vorgehen fordern. Was sagt ihr dazu?
Daniel: Ich denke, dass das mal wieder zeigt, auf welcher Seite dieser Staat und große Teile der Presse sind. Nicht auf der Seite von Internationalist:innen die auf die Straße gehen gegen einen Genozid, gegen Imperialismus und für die Freiheit des palästinensischen Volks – sondern auf der Seite der Polizisten, welche wahllos Menschen verprügelt haben.

Die Forderung nach härteren Polizeigesetzen zeigt uns denke ich, dass unser Protest als eine Gefahr gesehen wird. Unser Kampf für ein freies Palästina muss sich auch gegen dieses System wenden welches Völker unterdrückt und Kriege für Profite führt. Ich bin überzeugt davon, dass wenn dieses System mich als Feind sieht und Angst vor uns hat, machen wir etwas richtig.

Mit der Forderung nach noch mehr Repressionen und Polizeigewalt soll unser Widerstand im Keim erstickt werden, wir sollen mundtot gemacht werden. Ich weiß, dass das nicht möglich ist. Wir sind entschlossen unseren Protest trotz Polizeigewalt und Verbote auf die Straße zu tragen.

Mareike: Ich sage dazu, dass ein solches Vorgehen der Polizei vollkommen unverhältnismäßig ist. In Videos lässt sich sehr gut beobachten, wie die Polizei Situationen immer wieder bis auf das Äußerste eskaliert hat. Festgenommenen werden absurde Tatvorwürfe gemacht, die fernab von der Realität sind.

Eine Berichterstattung, die davor die Augen verschließt, hat kein Recht sich objektiv oder gar unabhängig zu nennen. In den Medien wird bereits seit mehreren Jahren versucht ein Bild zu vermitteln, welches uns als „Hamas-Liebhaber“ oder „Judenhasser“ diffamiert und unseren Protest delegitimiert. Das hat rein gar nichts mit den Inhalten zu tun, die auf entsprechenden Veranstaltungen vermittelt werden.

Damit wollen sie die Gewalt gegen uns rechtfertigen, während sie die Realität eines Genozids durch den israelischen Staat verkennen. Diese Forderungen nach einem noch härteren Vorgehen durch die Polizei auf pro-palästinensischen Protesten reiht sich meiner Meinung nach vor allem in die allgemeine Faschisierung in Deutschland ein. Antifaschist:innen werden inhaftiert und an faschistische Staaten ausgeliefert, die Migrationspolitik wird verschärft und das Versammlungsrecht immer enger gezurrt.

Solche Verletzungen sind natürlich heftig. Wie wird das euren Einsatz gegen das Vorgehen Israels in Palästina und euer allgemeines politisches Engagement beeinflussen?
Daniel: Solche Gewalt macht erstmal Angst. In der Situation selbst überwiegt das Gefühl, dass man nichts gegen diesen Angriff tun kann und der Polizeigewalt ausgeliefert ist. Wenn ich jetzt darauf zurück blicke, weiß ich, wenn Genoss:innen und solidarische Menschen nicht gemeinsam mit mir da gewesen wären, dann wäre ich der Polizeigewalt ausgeliefert. Wenn auch nur kurz – ich und dutzende andere haben Schläge in Kauf genommen, um den legitimen Protest und andere Protestierende zu schützen. Das ist gelebte Solidarität und unglaublich stärkend für mich zu spüren.

Genau dieses Gefühl überwiegt auch jetzt noch immer. Komme was wolle, ich werde niemals aufhören aufzustehen und Widerstand zu leisten wenn Menschen Unterdrückt werden. Dieser Staat, der Waffen für den israelischen Völkermord liefert und Menschen verprügelt die sich dagegen stellen, zeigt mir: Mein Kampf gegen dieses System ist legitim und wichtig.

Während auf der ganzen Welt Protest stattfindet – ob das Blockieren von Waffenlieferungen oder militanten Aktionen gegen Fabriken welche Waffen nach Israel senden – ist es hier in Deutschland unsere Pflicht, als Internationalist:innen unseren Beitrag zu leisten.

Wenn dieser Beitrag so aussieht, Protest gegen Angriffe des Staates zu verteidigen, den Verboten und Hausdurchsuchungen zu trotzen – ja, dann bin ich überzeugt davon, dem gerecht zu werden und weiterzumachen. Ich möchte nochmal ganz viel Kraft an alle Verletzten und von Repressionen betroffenen senden. Ihr seid nicht allein.

Mareike: Solche Repressionen gehen natürlich nicht spurlos an einem vorbei. Jedoch hat mich das weder in der Vergangenheit daran gehindert, weiter politische Arbeit zu machen und gegen den Genozid in Palästina auf die Straße zu gehen, noch wird es das jetzt tun.

Repressionen sind ein Mittel des Staates, um uns einzuschüchtern, uns in die Defensive zu drängen und letztendlich die gesamte Bewegung zu schwächen. Diese ideologische Komponente von Repressionen zu kennen ist denke ich essenziell dafür weiterzumachen.

Als Frau und als Arbeiterin erfahre ich in diesem System jeden Tag Unterdrückung, das wird sich nur dann ändern, wenn ich mich weiterhin für den Kampf um Befreiung einsetze. Mir ist bewusst, dass der Staat nicht tatenlos dabei zuschauen wird, wenn wir genau diesen Kampf führen, wenn wir aber aufgeben, dann wird sich nichts an unserer Situation verändern.

Deswegen müssen wir den Repressionen mit unserer Überzeugung entgegengetreten, denn zahllose historische Beispiele haben bewiesen: unsere Überzeugung ist stärker, als jeder Versuch unseren Widerstand (oder unsere Nasen) zu brechen!

https://perspektive-online.net/2025/05/nakba-demo-in-berlin-gebrochene-nase-und-gehirnerschuetterung-betroffene-berichten-von-polizeigewalt