General-Giap

Partisan und Heerführer

Landesweite Trauerfeiern am Wochenende in Vietnam: Der legendäre General Vo Nguyen Giap wurde in seiner Heimat beigesetzt

Vietnam hat am Sonntag Abschied von einem Menschen genommen, der mit Sicherheit im Gedächtnis der Bevölkerung des Landes bleiben und in der langen, opferreichen Geschichte seines Freiheits- und Unabhängigkeitskampfes einen Ehrenplatz einnehmen wird. Vo Nguyen Giap, weltweit einer der berühmtesten Heerführer des 20. Jahrhunderts, war am 4. Oktober im Alter von 102 Jahren im zentralen Militärkrankenhaus Hanoi verstorben. Die Regierung ordnete eine mehrtägige Staatstrauer an, eine vom Generalsekretär der Kommunistischen Partei Vietnams (KPV), Nguyen Phu Trong, geleitete Kommission organisierte die Trauerfeierlichkeiten. Diese begannen am Sonnabend mit einer Zeremonie im Staatstrauerhaus in Hanoi. Die Bevölkerung hatte Gelegenheit, an diesem Ort Abschied von dem Verstorbenen zu nehmen, bevor am Sonntag morgen (Ortszeit) eine abschließende Gedenkfeier stattfand.

Auf Wunsch seiner Familie und von ihm selbst wurde Vo Nguyen Giap gestern auf heimatlichem Boden in der zentral gelegenen Küstenprovinz Quang Binh beigesetzt. Zeitgleich mit den Feierlichkeiten in Hanoi fanden Gedenkfeiern am Sitz des Volkskomitees seiner Heimatprovinz in deren Hauptstadt Dong Hoi sowie im Thong-Nhat-Palast (Palast der Wiedervereinigung) in Ho-Chi-Minh-Stadt statt.

Gründervater

Das sozialistische Vietnam hat mit Vo Nguyen Giap eine Persönlichkeit verloren, der auch westliche Kommentatoren in Nachrufen bescheinigen, »in der Ruhmesgeschichte Vietnams auf einer Stufe mit Staatsgründer Ho Chi Minh« zu stehen. Die Washington Post erinnerte an Ho Chi Minh (1890–1969)und den langjährigen Ministerpräsidenten Pham Van Dong (1906–2000). Giap sei »der letzte Überlebende eines Triumvirats revolutionärer Führer« gewesen, »die gegen Frankreichs Kolonialtruppen und dann gegen die Vereinigten Staaten kämpften, um ein von westlicher Vorherrschaft freies Vietnam zu schaffen«. Er werde in seiner Heimat als einer der »Gründerväter seines Landes« verehrt und gelte für »Militärgelehrte in der ganzen Welt« als »einer der führenden Praktiker moderner revolutionärer Guerillakriegführung des 20. Jahrhunderts«.

Er war Oberbefehlshaber der Volksarmee und Verteidigungsminister. Seine militärische Laufbahnwar dem am 25. August 1911 als Vo Giap alias Van in der Gemeinde Loc Thuy (Kreis Le Thuy, Provinz Quang Binh) Geborenen nicht in die Wiege gelegt. Der Sproß der Familie eines bäuerlichen Dorflehrers mit patriotisch gesinnten Vorfahren fühlte sich von früher Jugend an revolutionärem Gedankengut verbunden und war als Schüler eines französischen Elitelyzeums in Hue 1925/26 aktiv an antikolonialen Protestaktionen beteiligt. 1927 wurde er Mitglied der revolutionären Partei Tan Viet (Neues Vietnam), einer der Vorläuferinnen der 1930 gegründeten Indochinesischen KP. 1930 geriet er in die Fänge der Geheimpolizei. Nach zweijähriger Haft in einem der berüchtigten Kolonialkerker studierte er in Hanoi Jura, Ökonomie und Geschichte, unterrichtete als Geschichtslehrer und wurde journalistisch tätig. Ab 1936 wirkte er als leitender Redakteur mehrerer dank der französischen Volksfrontregierung zeitweilig legal bis halblegal erscheinender Zeitungen.

1940 Mitglied der Indochinesischen KP geworden und wiederum von Verhaftung bedroht, hatte er sich im Juni auf Geheiß der Partei in die südchinesische Provinz Yunnan abzusetzen. Dort machte ihn Pham Van Dong mit Nguyen Ai Quoc bekannt, dem geistigen Kopf der revolutionären Bewegung Vietnams, der sich im August 1942 den Namen Ho Chi Minh gab. So begann der Weg Vo Nguyen Giaps an der Seite des in Vietnam noch heute verehrten »Onkel Ho« (Bac Ho). Anfang 1941 siedelte Nguyen Ai Quoc mit einem kleinen Kreis von Gefährten nach 30 Jahren Leben im Ausland illegal von Yunnan in eine Grotte in der Grenzprovinz Cao Bang im gebirgigen äußersten Norden Vietnams um. Wenig später stießen Pham Van Dong und Vo Nguyen Giap hinzu. Fortan gehörte Vo Nguyen Giap zum inneren Kreis der Führung der sich formierenden Widerstandsbewegung gegen das französische Kolonialregime und des politischen Kampfes gegen die Ende 1940 in ganz Indochina eingefallenen japanischen Besatzer.

Am 22. Dezember 1944 bekam der 33jährige in militärischen Dingen völlig unerfahrene Vo Nguyen Giap von Ho Chi Minh im Namen des ZK der 1941 gegründeten Liga für die Unabhängigkeit Vietnams (Viet Minh) den Auftrag, aus inzwischen entstandenen lokalen Partisanentrupps die erste organisierte bewaffnete Einheit aufzustellen. Er wurde Chef der aus 34, nur rudimentär mit Waffen ausgerüsteten Kämpfern bestehenden Bewaffneten Propagandabrigade für die Befreiung Vietnams, von Ho Chi Minh als »Keimzelle der Befreiungsarmee« bezeichnet. Dieses Datum wird als Gründungstag der späteren Volksarmee begangen und markiert den Beginn einer Laufbahn, die Vo Nguyen Giap zum Nationalhelden machte. Von der Gebirgsregion Viet Bac aus, in der allmählich ein starkes Widerstandszentrum entstand, das Mitte 1945 zu einer befreiten Zone wurde, wirkte Vo Nguyen Giap unermüdlich für den Aufbau einer kampfstarken Partisanenbewegung weit über den Landesnorden hinaus. Sie wurde schrittweise ergänzt durch die Schaffung regionaler und regulärer Truppen.

Lektionen erteilt

Im April 1945 waren die Bedingungen dafür herangereift, die inzwischen durch Beutegut besser ausgerüsteten bewaffneten Kräfte unter dem Kommando eines von Giap geleiteten zentralen Militärkomitees zur Befreiungsarmee Vietnams zusammenzuschließen. Nun begann auch der bewaffnete Kampf gegen die japanischen Okkupanten. Im Juni beauftragte ihn Ho Chi Minh mit der Bildung eines provisorischen Leitungskomitees für die befreiten Gebiete. Im unmittelbaren Vorfeld der siegreichen Augustrevolution wurde er Mitglied des ZK der Indonesischen KP und eines Nationalen Aufstandskomitees. Am 29. August konstituierte sich in Hanoi eine provisorische Regierung, in der Vo Nguyen Giap Innenminister wurde.

Mit der Verkündung der Unabhängigkeit Vietnams und der Proklamierung der Demokratischen Republik am 2. September begann für das Land, das zeitweilig unter britische Besatzung im Süden und guomindang-chinesische in der Nordhälfte geriet, eine neue Periode des Kampfes. Mit britischem Beistand und US-amerikanischem Segen startete Frankreich Ende September einen Rückeroberungsfeldzug, der im Dezember 1946 zum landesweiten Krieg eskalierte. Vietnams Führung mußte wieder in die befreite Zone im Viet Bac ausweichen. Die jungen Streitkräfte, nunmehr Nationale Verteidigungsarmee (später Volksarmee) sahen sich gewaltigen Herausforderungen gegenüber. Vo Nguyen Giap wurde im Oktober 1946 Verteidigungsminister und Befehlshaber aller bewaffneten Kräfte. Im Januar 1948 avancierte der 36jährige zum General. Unter seinem Kommando stellten sich die regulären Truppen und im ganzen Land geschaffene regionale Einheiten sowie die allgegenwärtigen Partisanen immer erfolgreicher dem Kampf. Ab 1950 konnte die Armee zu Offensivhandlungen übergehen, die den Rahmen eines Guerillakrieges sprengten. Krönung des Kampfes wurde 1954 die Schlacht von Dien Bien Phu, die Vo Nguyen Giap den Ruf eines hervorragenden Militärführers einbrachte.

Es folgte der erbitterte, anderthalb Jahrzehnte währende Kampf gegen die US-Aggressoren, in dem Vo Nguyen Giap – weiterhin Oberbefehlshaber der Volksarmee und bis 1979 Verteidigungsminister – wieder die Verantwortung trug. Der Ausgang ist bekannt. Die abschließenden Feldzüge im Frühjahr 1975, der Tay-Nguyen-Feldzug zur Befreiung des mittelvietnamesischen Hochlandes vor den Toren Saigons und schließlich der mehrtägige Ho-Chi-Minh-Feldzug beendeten die Geschichte des Krieges in Vietnam. Den Fall Saigons am 30. April 1975 nannte Vo Nguyen Giap später einmal den »glücklichsten Moment in meinem kurzen Leben«.

Jahrzehntelang war Giap Mitglied des ZK der KPV und des Politbüros, amtierte von 1955 bis 1986 als stellvertretender Regierungschef und war lange Abgeordneter der Nationalversammlung. Seine unvergänglichen Verdienste aber erwarb sich der hochdekorierte Vo Nguyen Giap als Militär, der nie die Schulbank einer militärischen Lehranstalt gedrückt hat. Nennt man ihn im Westen »Napoleon des Ostens« oder den »roten Napoleon«, dann wird vergessen, daß er im Gegensatz zu diesem historischen Vorbild keine Schlacht verloren hat.

Im Gegenteil: Der zum Heerführer herangewachsene Dorflehrersohn erteilte dem Besten, was Frankreich an kolonial- und weltkriegserfahrenen Generälen aufzubieten hatte, genauso wie danach der Crème de la Crème der US-amerikanischen Generalität schmerzhafte Lektionen. Sein Land und sein Volk danken es ihm. Freunde in aller Welt trauern mit ihnen.