Politischer GefangenerNoch ein Geburtstag im Knast

USA: Indigener Aktivist Leonard Peltier wird 79. Kampf um Begnadigung geht auch nach fünf Jahrzehnten Haft weiter

Hintergrund: Lese- und ­Vortragstour

Mehr Informationen zum Fall Leonard Peltiers und dessen Hintergründe finden sich in dem Buch »Ein Leben für die Freiheit – Leonard Peltier und der indianische Widerstand« der Autoren Michael Koch und Michael Schiffmann. Nach Erscheinen des Buches 2016 fanden bislang 87 Veranstaltungen statt. Mehrere tausend Besucher hatten somit die Möglichkeit, sich über den Fall des mittlerweile 79jährigen politischen Gefangenen, aber auch über andere Belange Indigener zu informieren. Dabei reichte das inhaltliche Spektrum der Veranstaltungen von Themen wie Völkermordgeschichte, aktuelle Lebensbedingungen in Reservationen, Repression und Widerstand über die sogenannten Missing and Murdered Indigenous Girls and Women und Frauen im indigenen Widerstand bis hin zum Komplex »Umwelt, Menschenrechte und soziale Kämpfe«.
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An diesem Dienstag, dem 12. September, wird der indigene politische Langzeitgefangene Leonard Peltier 79 Jahre alt. Für den seit vielen Jahren schwerkranken Aktivisten des American Indian Movement (AIM) bedeutet das unter anderem, dass dies der 48. Geburtstag nach seiner Festnahme am 6. Februar 1976 ist, den er in einem der berüchtigten US-Hochsicherheitshaftanstalten verbringt, isoliert von Freunden und Familie, eingesperrt in einer winzigen Zelle, weiterhin der Willkür von Justiz, FBI und einer gnadenlosen Politik ausgesetzt.

Über die Hintergründe von Peltiers Inhaftierung und Verurteilung berichtet die jW seit Dekaden immer wieder. Daher hier nur eine kurze Zusammenfassung. 1975, auf dem Höhepunkt tödlicher Angriffe einer durch die Oglala-Lakota-Stammesregierung gegründeten und unter anderem durch FBI und Polizei aufgerüsteten Todesschwadron (Guardians of the Oglala Nation, GOON) auf traditionelle sowie junge, sich politisch engagierende Lakota der Pine Ridge Reservation, riefen Oberhäupter und Stammesälteste der ­Oglala das AIM zur Hilfe. Am 26. Juni 1975 rasten die beiden FBI-Agenten Jack Coler und Ronald Williams mit einem ungekennzeichneten Wagen in ein AIM-Camp, das zum Schutz älterer Reservationsbewohner eingerichtet worden war. Nach Jahren des GOON-Terrors, dem mindestens 59 Lakota zum Opfer fielen, war dies der Funke, der die Situation endgültig eskalieren ließ.

An einen Überfall glaubend, leisteten Camp- und Reservationsbewohner zur Selbstverteidigung bewaffneten Widerstand. Bei dem Schusswechsel starben der junge AIM-Aktivist Joe Stuntz und die beiden FBI-Agenten. Als Hauptverdächtige präsentierte die US-Bundespolizei der Öffentlichkeit sofort die AIM-Aktivisten Dino Butler, Bob Robideau und Leonard Peltier. Butler und Robideau wurden noch 1975 festgenommen und später aufgrund des Verdachts, dass das FBI die Anklagebeweise manipuliert habe und der anzunehmenden Notwehrsituation freigesprochen. Als Peltier am 6. Februar 1976 in Kanada festgenommen und aufgrund von Falschaussagen einer angeblichen Zeugin an die USA ausgeliefert wurde, hatte er bei seinem Prozess keinerlei Chance auf ein faires und korrektes Verfahren. Das FBI setzte alles daran, seine Verurteilung zu bewirken.

1977 wurde Peltier zu zweimal lebenslänglich verurteilt. Und bis heute verhindern das FBI und andere Kräfte, dass dem Aktivisten endlich Gerechtigkeit widerfährt. Längst haben sich frühere, an den zahlreichen Verfahren beteiligte Richter und Staatsanwälte für Peltiers Begnadigung eingesetzt. Der lange Jahre aufsichtführende Staatsanwalt James Reynold hat sich bei ihm entschuldigt und US-Präsident Joseph Biden gebeten, Peltier freizulassen. Es gebe keinerlei Beweise für dessen Mitschuld am Tod der FBI-Agenten. Zum gleichen Schluss kam die UN-Arbeitsgruppe zu diskriminierenden Inhaftierungen in einem 17seitigen Bericht im August 2022. Und auch der Nationalkongress der Demokratischen Partei der USA hat einstimmig die Forderung nach Peltiers Freilassung in ihr Partei- und Wahlprogramm aufgenommen. Dennoch bewegt sich auf den alles entscheidenden Ebenen immer noch nichts, was auf eine baldige Begnadigung Peltiers hinweisen könnte.

An Peltiers 79. Geburtstag werden daher wieder zahlreiche Veranstaltungen und Aktionen mit der Forderung nach sofortiger Freiheit für den politischen Gefangenen stattfinden. In den USA sind in mehreren Städten Aktionen geplant, unter anderem von Amnesty International direkt vor dem Weißen Haus. Aber auch hier in Europa sind Mahnwachen und andere Aktionen geplant, so in Wien, Mailand, Venedig, Viterbo, in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Leipzig und Hamburg. Eine Übersicht finden Interessierte unter leonardpeltier.de. Und auch die 2021 begonnene Postkartenaktion wird weitergeführt. Mittlerweile sind 65.000 Postkarten im Umlauf, die US-Präsident Biden um Begnadigung Peltiers bitten. Postkarten und Unterschriftenlisten können über die Adresse lpsgrheinmain@aol.com angefordert werden. Koordiniert werden die Aktionen unter anderem durch den Verein Tokata-LPSG RheinMain e. V. und die European Alliance for the Self Determination of Indigenous Peoples.

Junge Welt 12.9.23