Polizei stürmte Offenes Antifa Treffen Augsburg – Interview: “unsere Stadt ist ein Experimentierfeld, aber wir lassen der AfD keine Ruhe”.

Am 1. März stürmten rund zwei dutzend Polizist:innen das “Offene Antifa Treffen” (OAT) im bayrischen Augsburg. Anlass war, dass ein Indymedia-Artikel über die Veröffentlichung von Daten von AfD-Kommunalpolitiker:innen auf Instagram geteilt worden war. Obgleich die Anwesenden nur als “Zeugen” geführt wurden, wurden alle Speichermedien und weiteres beschlagnahmt. Im Interview spricht Milena Triesch vom OAT über die Stürmung, das rabiate Vorgehen in Augsburg und Antirepressionsarbeit.
Am 1. März haben Staatsanwaltschaft, Staatsschutz und Bereitschaftspolizei euer öffentliches Treffen gestürmt. Was ist passiert?
Wie jeden zweiten Mittwoch haben wir uns für unser offenes und im Internet beworbenes Plenum im Hans-Beimler-Zentrum (HBZ) getroffen. Mit etwas Verspätung wollten wir gerade mit einem Input beginnen, als die Tür aufgerissen wurde und etwa 20 Bullen mit den Worten “Polizei! Hände hoch!” durch beide Eingänge in den Raum stürmten.

Unsere Hände mussten wir ab nun stundenlang sichtbar halten, während wir permanent gefilmt wurden. Nach mehreren Minuten ohne anwesenden Einsatzleiter wurde uns der angebliche Grund der Razzia genannt. Es handle sich um eine Durchsuchung des Hans-Beimler-Zentrums, wir seien alles nur Zeugen und Beschuldigte würde es nicht geben. Dass gerade unser Plenum gestürmt wurde, sei “reiner Zufall”.

Gleich zu Beginn wurden zwei Genoss:innen gesondert aus dem HBZ geführt und für ein Verhör mit auf eine Polizeiinspektion genommen. Über mehrere Stunden mussten wir dann mit 20 Bullen in unserem Zentrum und rund 30 weiteren um das Gebäude herum ausharren, während wir nach und nach einzeln nach draußen gebracht und durchsucht wurden.

Draußen im Hinterhof begrüßte uns dann eine mobil aufgebaute Gefangenensammelstelle, bestehend aus mehreren Tischen. Von ausnahmslos allen Anwesenden wurden technische Geräte wie Handys und Laptops beschlagnahmt, teilweise auch Kalender und Notizbücher. Die Möglichkeit, einen Rechtsbeistand oder die Eltern der teils minderjährigen Anwesenden zu kontaktieren, hatte man erst, als man mit einem Platzverweis aus der Maßnahme entlassen worden war.

Während weiterhin eine Person nach der anderen aus dem Zentrum geführt und durchsucht wurde, fuhren die Bullen dann auch noch mit einem Genossen nach Hause, um seine Wohnung zu durchsuchen. Der Genosse hatte die Demonstration gegen die AfD in Rosenheim am 28.01.2023 als Journalist begleitet und soll Fotos davon gemacht haben, wie ein Polizist mit einem Feuerlöscher angegriffen wurde. Sämtliche Speichermedien, sein Computer und sein Handy wurden beschlagnahmt.

Was wird euch vorgeworfen?
Der eigentliche Vorwurf lautete “gefährdendes Verbreiten personenbezogener Daten” im Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt. In den erst im Anschluss der Maßnahmen ausgehändigten Durchsuchungsbeschlüssen steht auch, dass gezielt wir und genau unser Plenum gestürmt werden sollten.

Bei dem Vorwurf handelt es sich um einen Angriff auf die Wohnung und den Arbeitsplatz des Augsburger AfD-Ehepaars Tim und Gabrielle Mailbeck im vergangenen November. Wichtig ist hierbei, dass nicht uns als OAT Augsburg vorgeworfen wird, das Ehepaar Mailbeck angegriffen zu haben.

Es geht darum, dass wir lediglich einen Indymedia-Artikel auf Instagram geteilt haben, in dem das AfD-Ehepaar als solches benannt und samt Wohnadresse geoutet wurde. Die Fragen an die auf der Wache verhörten Genoss:innen bezogen sich ebenfalls auf die genannten Angriffe.

Wie ordnet ihr das Vorgehen der Polizei ein?
Uns war von Beginn an klar, dass die Polizei, wie so oft, versuchen möchte, unsere junge Struktur einzuschüchtern und zu kriminalisieren. Das ist für uns in Augsburg zwar nichts Neues, doch das Vorgehen an diesem Tag stellt eine neue Stufe der Eskalation dar. Normalerweise picken die Cops sich einzelne Personen aus unseren Strukturen heraus und versuchen diese dann zu schikanieren und einzuschüchtern. So einen Angriff auf die gesamte Gruppe hat es noch nie gegeben.

Außerdem ging es auch um eine Spaltung unseres Protests und Widerstands in einen legalen und einen grenzüberschreitenden Protest. Für viele Leute ist das OAT die erste Erfahrung mit politischer Arbeit, sie organisieren sich hier und planen erste Aktionen. Dass man sich dann nach einiger Zeit auch über einen “OAT-Rahmen” hinaus weiter organisiert, ist nur natürlich, wenn man sich die Krisen in der Welt ansieht.

“DAS VORGEHEN AN DIESEM TAG STELLT EINE NEUE STUFE DER ESKALATION DAR.”

Hier wollte der Staatsschutz ein eindeutiges Zeichen setzen und jegliche Ambitionen bei jungen Genoss:innen ausbremsen und das OAT dazu drängen, sich von solchen Aktionen zu distanzieren. Dass wir das als OAT nicht machen und nach der Razzia mehr denn je nicht auf diesen Staat vertrauen, ist natürlich klar! Wir werden ohne Zweifel solidarisch hinter denjenigen stehen, die von Repression betroffen sind!

Bereits in der Vergangenheit gab es in Augsburg mehrere Hausdurchsuchungen bei linken Aktivist:innen. Wie ordnet ihr vor diesem Hintergrund den neuen Vorfall ein?
Der Augsburger Staatsschutz und die Staatsanwaltschaft fahren ein ganz klares Muster in unserer Stadt. Immer wieder werden Aktivist:innen hier vor Ort mit den nichtigsten Gründen kriminalisiert. Der Staat weiß, dass eine Organisierung zu einer echten Gefahr für ihn werden kann. Wir sind von dieser Gefahr zwar noch ein weites Stück entfernt, doch in Augsburg tut sich was. Der Staat möchte jeden noch so kleinen Ansatz einer Gegenmacht im Keim ersticken, damit sich die Leute gar nicht erst organisieren können.

Das Vorgehen der Polizei ist nicht unbedingt alltäglich in Deutschland. Handelt es sich hier um eine Augsburger Besonderheit oder würdet ihr dieses Agieren in einen bundesweiten Trend einordnen?
Natürlich geht die Polizei momentan bundesweit mit aller Härte gegen Antifaschist:innen und Revolutionär:innen vor. Das kann man beispielsweise an den verschiedenen §129er-Verfahren oder an den hohen Knaststrafen von Jo und Dy sehen. Also ja, man kann das Ganze schon in einen bundesweiten Trend einordnen.

Von einer Augsburger Besonderheit zu reden, finden wir schwierig, jedoch hat der Bundesvorstand der Roten Hilfe die Situation sehr schön beschrieben. Er schreibt, dass Augsburg schon seit mehreren Jahren für den Staat ein Experimentierfeld ist und dass in unserer Stadt immer wieder ausprobiert wird, wie weit man gehen kann.

Das fällt auch uns schon lange auf. Es fängt an bei Demonstrationen, wo konsequent jede Person, die Ordner:in sein möchte, ihre Personalien angeben muss, und es geht weiter mit Hausdurchsuchungen bei 14-Jährigen, denen vorgeworfen wird, Sprühkreide benutzt zu haben oder dem Verhören von 12-Jährigen durch den Staatsschutz. Dass uns in diesen Fällen konsequent ein Rechtsbeistand verwehrt wird und teilweise nicht einmal die Eltern der minderjährigen Personen informiert werden, ist durchaus erwähnenswert.

Auch wurde erst vor wenigen Monaten ein Genosse wegen Beleidigung verurteilt, weil er einem Polizisten in die Augen geschaut haben soll, während er auf einer Demonstration mit dutzenden weiteren Personen eine Parole gegen den Po­li­zei­ap­pa­rat mitskandierte.

Die Augsburger Allgemeine schreibt direkt am nächsten Morgen von der Verbreitung linksextremer Feindeslisten. Wie schätzt ihr die Rolle bürgerlicher Medien im Bezug auf klassenkämpferische Politik ein?
Die Augsburger Allgemeine (AZ) hat natürlich erst einmal 1:1 die Presseerklärung der Polizei abgeschrieben, was uns nicht verwundert. Allerdings veröffentlichte die AZ in Folge von Leser:innenbriefen dann auch weitere ausgewogenere Artikel. Sogar über unsere Demonstration als Reaktion auf die Razzia am Sonntag wurde deswegen zum ersten Mal größer berichtet. Insgesamt muss man sagen, dass wir als OAT Augsburg durch die Razzia eine enorme Aufmerksamkeit erfahren, was erst einmal positiv ist, selbst wenn in einigen Artikeln einiges falsch dargestellt wurde.

Außerdem versuchen wir aktuell, sehr aktiv auf die Presse zuzugehen, um unseren Fall bekannt zu machen, und hoffen auch auf etwas Druck aus der Zivilgesellschaft. Der Staatsschutz will am liebsten im Geheimen arbeiten, weswegen wir ihn und seine Praxis in die Öffentlichkeit rücken müssen. Dann wird auch der Staatsschutz in Zukunft länger darüber nachdenken, solche Razzien durchzuführen, wenn es im Anschluss einen großen Aufschrei gibt.

“DER STAATSSCHUTZ WILL AM LIEBSTEN IM GEHEIMEN ARBEITEN”

Auch Augsburgs oberster Staatsschützer ist noch nicht am Ende der Karriereleiter und muss sich hin und wieder vor seinem/seiner Vorgesetzten rechtfertigen, da passt ihm negative Presse natürlich überhaupt nicht.

Was steht momentan und in nächster Zeit im Fokus eurer Arbeit?
Nachdem wir so langsam aber sicher wieder in die Normalität zurück gefunden haben, muss es natürlich weitergehen. Wir sind zwar momentan auf die Unterstützung unserer Genoss:innen aus Bayern und Süddeutschland angewiesen, aber wir werden nicht aufhören. In der nächsten Zeit steht einiges in Augsburg und Bayern an.

Momentan konzentrieren wir uns auf den Protest gegen Chrupalla, denn der AfD-Vorsitzende kommt am 25. März nach Augsburg. Auch die Landtagswahlen hier in Bayern stehen dieses Jahr an. Wir bleiben uns treu und werden der AfD keine Ruhe lassen. Unser Fokus wird immer darauf liegen, es den Rechten und Faschist:innen so schwer wie möglich zu machen, sich in unserer Stadt und der Umgebung breit zu machen.

Habt ihr einen bestimmten Wunsch, wie Solidarität mit euch und euren Kämpfen aus anderen Städten aussehen kann?
Solidarität ist vielseitig, wir haben seit der Razzia viele Soli-Fotos, Spenden und Nachrichten bekommen. Das hat uns alle sehr gestärkt. Unser größter Wunsch ist es jedoch, dass in anderen Städten weitergemacht wird und der AfD keine Ruhe gelassen wird. Der Kampf gegen Rechts muss konsequent weitergehen. Jetzt erst recht!

Niemand sollte sich einschüchtern oder unterkriegen lassen. Die Rechten sollen merken, dass sich eine Gegenmacht aufbaut und dass, egal wo sie aufkreuzen, wir sofort da sind, um ein klares Zeichen dagegen zu setzen.

Die nächste Gelegenheit bietet sich dafür am 25. März in Augsburg, wenn die lokale AfD einen Neujahrsempfang mit Tino Chrupalla im Rathaus plant. Wir freuen uns über alle, die sich dem Protest anschließen wollen, um hier ein starkes Zeichen zu setzen – das ist der beste Weg gegen die Repression!

https://perspektive-online.net/2023/03/polizei-stuermte-offenes-antifa-treffen-augsburg-interview-unsere-stadt-ist-ein-experimentierfeld-aber-wir-lassen-der-afd-keine-ruhe/